Fachverbände für Menschen mit Behinderung

Defizite bei der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung müssen behoben werden. Dies gilt insbesondere für die Assistenz im Krankenhaus und bei einer stationären Rehabilitation wie auch für die fehlende Barrierefreiheit. Welche Maßnahmen sind in diesem Bereich geplant?

Das Gesundheitswesen muss stärker auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet werden. Die Fraktion der Freie Demokraten im Deutschen Bundestag hat dazu umfassende Vorschläge im Rahmen ihres Antrags „Umfassende Teilhabe und Inklusion für Deutschland“ (BT-Drs. 19/24886) vorgelegt.

Menschen mit Behinderungen, die ihre notwendige Assistenz über einen Pflegedienst im sogenannten Dienstleistungsmodell organisieren, sollten ungeplante Krankenhausaufenthalte mit einer Assistenz bewältigen können, wenn dies vom Krankenhauspersonal aufgrund von Personalmangel oder fehlender Sachkenntnis nicht geleistet werden kann (vgl. BT-Drs. 19/24886).

Pflegeversicherungsleistungen werden bei Menschen mit Behinderung in einer besonderen Wohnform gemäß § 43a SGB XI auf pauschal 266 Euro im Monat begrenzt und die betroffenen Versicherten dadurch erheblich benachteiligt. Ist die Abschaffung des § 43a SGB XI oder eine Erhöhung der Pauschale geplant?

Für die betroffenen Menschen mit Behinderung darf es keine Rolle spielen, ob sie im Rechtskreis der Pflegeversicherung, der Hilfe zur Pflege oder von der Eingliederungshilfe Leistungen beziehen. Sobald ein Bedarf festgestellt wurde, müssen die Leistungen unbürokratisch und tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Ob der § 43a SGB XI hierbei hinderlich im Sinne von Beschränkungen von Leistungen oder vorteilhaft im Sinne der Leistungsgewährung „aus einer Hand“ ist, sollte in der kommenden Wahlperiode erneut geprüft werden. 

Die Sicherung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung durch die Erbringung von personenzentrierten Leistungen ist das Ziel des Gesetzgebers bei der Umsetzung des BTHG. Aus diesem Grund halten die Fachverbände weitere Monitoringprojekte für notwendig. Ist in diesem Bereich etwas geplant?

Das föderale System und die Versäulung der Sozialsysteme führen beide gleichermaßen dazu, dass die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und mit vielen Detailunterschieden in den Ländern und Regionen erfolgt. Auch die Angebotsstruktur an Leistungsanbietern ist regional sehr unterschiedlich. Die Bundespolitik kann hier jedoch Einfluss nehmen, indem zum Beispiel die Maßnahmen, wie das Budget für Arbeit, die Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets als Leistungsform oder auch die Beratungsstrukturen wie die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) für Menschen mit Behinderungen konsequent gefördert werden. Außerdem muss stärker als bisher klargestellt werden, welche Ansprüche aufgrund der bundesgesetzlichen Reglungen bestehen. Es kann nicht sein, dass berechtigte Ansprüche immer öfter auf dem Rechtsweg erstritten werden müssen. 

Durch den Kostenvorbehalt beim Wunsch-und Wahlrecht und des Mangels an barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum können Menschen mit Behinderung ihren Wohn-und Lebensort nicht frei wählen. Planen Sie,diese Einschränkungen abzuschaffen und damit die freie Wahl des Wohn- und Lebensortes sicherzustellen?

Wir Freie Demokraten wollen Wahlfreiheit für Menschen mit Behinderungen. Unabhängig von der Wohnform und vom Wohnort sollen sie Anspruch auf alle Leistungen aus der Sozialversicherung haben. Damit jeder Mensch selbst über seine Angebote bestimmen kann, wollen wir das persönliche Budget einfach und unbürokratisch nutzbar machen. Damit ermöglichen wir mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen. Darüber hinaus fordern wir mehr barrierefreien oder -armen Wohnraum in Bestand und Neubau.

Durch das „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ werden bestimmte Menschen mit Behinderung von der Teilhabe am Arbeitsleben ausgeschlossen. Wird diese Zugangsbegrenzung zur WfbM, zu anderen Leistungsanbietern, zum Budget für Arbeit und zum Budget für Ausbildung aufgehoben?

Das Recht auf Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben ist heute Konsens und wichtig für die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft. Das Selbstverständnis von Menschen mit Behinderungen insgesamt und auch am Arbeitsmarkt hat sich grundlegend gewandelt. Einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu haben und für sich selbst sorgen zu können, ist für viele Menschen mit Behinderungen heute ein selbstverständlicher Wunsch. Viele Menschen mit einer Behinderung sind gut ausgebildet und für den Arbeitsmarkt unverzichtbar. Arbeitgeber müssen vorhandene Fördermöglichkeiten besser nutzen und sollten mutig und mit Weitsicht vorangehen. Das gilt auch für den Übergang von einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt. Es sind unbürokratische Lösungen und stärkere Anreize für den Arbeitgeber notwendig, zum Beispiel mit dem Budget für Arbeit. Darüber hinaus ist das Werkstattsystem ein wichtiger Bestandteil für die Teilhabe am Arbeitsleben. Viele Menschen arbeiten gerne dort und wir wollen die Entlohnung und die sonstigen Unterstützungsleistungen dort neu gestalten, um den berechtigten Wünschen und Situationen der Beschäftigten besser zu entsprechen (siehe auch Antrag „Menschenwürdige und inklusive Arbeitswelt voranbringen“, BT-Drs. 19/22474).

Um das größtmögliche Maß an Teilhabe für Menschen mit Behinderung in einer Pandemie aufrecht zu erhalten, ist es wichtig, bei Schutzmaßnahmen stets den Gesundheitsschutz mit dem Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung abzuwägen. Wie planen Sie, dieses Ziel umzusetzen?

Wir sind noch weit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt; das hat uns nicht zuletzt auch die Coronapandemie und die vielen unverhältnismäßigen Einschränkungen und Benachteiligungen der Menschen mit Behinderungen gezeigt. Teilhabe und Selbstbestimmung sind Werte, die sich in allen gesellschaftlichen Bereichen widerspiegeln müssen. Die Menschen sollen sich nicht an bestehende Strukturen anpassen, sondern umgekehrt. Maßgabe ist die Umsetzung des berechtigten Wunsches nach einem eigenständigen und selbstbestimmten Leben. Rechtliche Grundlage ist vor allem die Umsetzung des Artikels 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. 

Die Bedeutung der Digitalisierung für Menschen mit Behinderung ist besonders in der Corona-Pandemie deutlich geworden, da hierdurch (digitale) Teilhabe ermöglicht wird. Wie planen Sie, die Grundvoraussetzungen für eine digitale Teilhabe zu schaffen und Barrieren abzubauen?

Die Chancen der Digitalisierung sind immens. Für uns Freie Demokraten ist dabei klar, dass gesellschaftliche Teilhabe auch im digitalen Raum gelten muss. Bestehende rechtliche Anforderungen beispielsweise zur barrierefreien Gestaltung von Websites müssen daher konsequent umgesetzt werden. Auch die Anwendung von Apps sollte barrierefrei möglich sein. Und insbesondere für das Arbeitsleben oder im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich einer Werkstätte muss die Weiterbildung mit digitalen Kompetenzen stärker zur Anwendung kommen. Wir sprechen uns zudem für ein Recht auf Digitale Teilhabe im SGB IX aus (vgl. „Digitalen Teilhabeausweis einführen – Hürden für Menschen mit Behinderungen abbauen” BT-Drs.-19/23103).

Die Vereinsamung in den Einrichtungen der Altenpflege und der Eingliederungshilfe während der Corona-Pandemie hätte durch bessere technische Voraussetzungen für eine digitale Teilhabe sicherlich abgemildert werden können. Videotelefonie oder ein Internetzugang gehören inzwischen zum Standard in der Gesellschaft und hier darf es keine Brüche geben, wenn Menschen in besonderen Wohnformen leben. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat sich deshalb dafür eingesetzt, W-LAN zur Standardausstattung in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe und der Altenpflege zu machen (vgl. „Umfassende Teilhabe und Inklusion für Deutschland“ BT-Drs.-19/24886). 

Im Bereich der Eingliederungshilfe besteht ein Fachkräftemangel, insbesondere an Heilerziehungspfleger*innen und Heilpädagog*innen. Um die Berufsbilder zu stärken, benötigt es Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung und verbesserte Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Welche Maßnahmen planen Sie hierzu?

Wir Freie Demokraten fordern bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Darum wollen wir von der Bildung über eine bedarfsgerechte Personalbemessung bis hin zu mehr Karrierechancen dafür sorgen, dass der Beruf wieder attraktiver wird. Nur so können wir den Personalmangel an seinem Ursprung angreifen und mehr Personal in die Versorgung bringen. Geben wir den Pflegenden wieder Zeit und Raum für ihre Arbeit!

Wir fordern zudem eine Reform der Pflegeausbildung. Dazu wollen wir mehr digitale Inhalte, eine Stärkung der pflegerischen Kompetenzen und eine leistungsgerechte Durchlässigkeit in Pflegeberufen. Denn Pflege ist ein hoch anspruchsvoller Beruf: empathisch und sozial, aber gleichzeitig zunehmend durch technologische Entwicklung geprägt. Das muss sich auch in der Ausbildung wiederfinden. Wir wollen Pflegenden ihre Berufsbiographie von der Assistenzkraft bis zur Pflegeprofessur selbst in die Hand legen. Machen wir den Weg frei für diese Entwicklung! Wir setzen uns zudem für die Ausweitung von Pflegewissenschaften an den Hochschulen ein, sodass auch ein (duales) Studium für den Pflegebereich das Berufsfeld für neue Personengruppen öffnen kann. Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen darf nicht zulasten der Auszubildenden gehen. Diese müssen die Möglichkeit bekommen, adäquat praktisch ausgebildet zu werden. Sie dürfen nicht zu „Lückenbüßern” werden. Zur Berechnung des Pflegeschlüssels sollen Auszubildende künftig nicht mehr herangezogen werden.

 

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