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Welche Szenarien können Sie sich vorstellen, in denen (mitunter KI-basierte) Algorithmen unumkehrbare Entscheidungen treffen dürfen/sollten? Inwiefern sollen die Entscheidungsregeln für die Betroffenen transparent sein? Wie wird hierbei sichergestellt, dass Innovationen möglich bleiben?

Bei der Bewertung dieser Thematik sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. So ist zum Beispiel unklar, wann eine Entscheidung als „unumkehrbar" definiert werden kann, beziehungsweise sollte. Es gibt zudem viele weitere Kriterien, die in der aktuellen Debatte bezüglich der Regulierung von Algorithmen eine große Rolle spielen, wie etwa Anwendungsgebiete, Risikobehaftung, Art der Algorithmen und KI-Systeme, die Frage, ob Ermessenspielraum vorliegt.

Grundsätzlich sind algorithmische „Entscheider“ allgemein und „Künstliche Intelligenz“ (KI) im Besonderen im privatwirtschaftlichen Kontext längst in unzähligen Bereichen unseres Alltages angekommen. Deutschland muss deshalb Entwicklungen in verschiedenen Bereich durch sinnvolle institutionelle Rahmenbedingungen stützen, den Forschergeist stärken und Innovationen durch ein modernes Wettbewerbs- und Patentrecht fördern. Auch wollen wir digitale Freiheitszonen zur Förderung digitaler und innovativer Geschäftsmodelle einführen, um die Entstehung von Clustern, insbesondere bei IT-Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, zu begünstigen. Dort sollen weniger Regularien gelten. Steuerliche Forschungsförderung, bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups und weniger Bürokratie sollen Gründungen erleichtern.

Wir sind der Überzeugung, dass KI-Systeme auch im öffentlichen Bereich, beispielsweise in der öffentlichen Verwaltung, enormes transformatives Potenzial bergen und setzen uns dafür ein, es zügig zu heben, um staatliche Leistungserbringung schneller und besser zu machen. Sie können uns durch Automatisierung von Standardverfahren perspektivisch von viel Bürokratie befreien. Deshalb fordern wir eine KI-Roadmap für die öffentliche Verwaltung (BT-Drs. 19/22182).

Bei all dem gilt es, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von algorithmenbasierten Ergebnissen zu gewährleisten. Bürgerinnen und Bürger müssen KI-basierte Ergebnisse nachvollziehen können, wenn KI-Systeme dafür personenbezogene Daten verarbeiten oder die Bürgerinnen und Bürger von ihnen in anderer Weise unmittelbar betroffen sind. Dafür setzt sich die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag auf nationaler Ebene ein (vgl. BT- Drs. 19/28430) ) und begleitet aktuelle politische Prozesse zu einer KI-Regulierung auf europäischer und internationaler Ebene konstruktiv.

 

Was verstehen Sie unter Desinformation und wie genau grenzen Sie es von Satire/Meinungsfreiheit ab? Wie wollen Sie mit Desinformationskampagnen umgehen, wie mit Hass im Netz und welche Instanz sollte mit welchen Mitteln über die Einordnung entscheiden? Bitte detailliert mit Beispielen antworten!

Unter Desinformation verstehen wir Freie Demokraten die Verbreitung von inhaltlichen Kampagnen, die dazu geeignet sind durch eine Auswahl von Falschinformationen oder selektiv beziehungsweise bewusst manipulativ arrangierten Informationen Angriffe auf den demokratischen Zusammenhalt von Gesellschaften zu bewirken. Mit Desinformationskampagnen können kurzfristige Ziele, wie die manipulative Beeinflussung der öffentlichen Debatte vor einer Wahl, oder auch langfristige Ziele wie die Schwächung des Vertrauens in demokratische Institutionen insgesamt verfolgt werden. Wir wollen die liberalen Demokratien Europas dazu befähigen, Desinformation, Fake-News-Kampagnen, Propaganda sowie Manipulationen aus dem In- und Ausland besser abwehren zu können. Außerdem setzen wir uns für die Schaffung einer Bundeszentrale für digitale Bildung ein. Diese soll in drei Säulen Aufgaben der Koordination, Qualitätssicherung und Vermittlung digitaler Bildung in Deutschland übernehmen. Dabei sollen insbesondere Themen wie Desinformation, IT-Sicherheit, Datenschutz und künstliche Intelligenz, aber auch Hatespeech, Cybermobbing und Online-Sucht abgedeckt werden. Darüber hinaus brauchen wir lebenslange Lernkonzepte zur Vermittlung von Digital- und Medienkompetenz, sodass sich Personen jeglichen Alters sicher im Internet bewegen und Inhalte dem Zusammenhang entsprechend verstehen und bewerten können.

Leider nehmen Straftaten, Hass und Hetze im Internet weiter zu. Der Staat steht hier in der Pflicht, entschieden zu handeln – und Persönlichkeitsrechte sowie die freie Meinungsäußerung effektiv zu schützen. Wir Freie Demokraten sehen es primär als Aufgabe des Staates an, gegen strafbare Handlungen im Netz vorzugehen. Deshalb wollen wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) abschaffen und durch einen Regulierungsmix ersetzen, der den Schutz der Meinungsfreiheit in vollem Umfang gewährleistet. Wir wollen die Opfer von Gewalt im Internet und von Hasskriminalität außerdem in die Lage versetzen, sich zu wehren, indem sie einen wirksamen Auskunftsanspruch gegen Plattformen und Internetprovider erhalten. Mit Medienbildung bei Kindern und Jugendlichen sowie Weiterbildungen und Schulungen für Polizei und Justiz möchten wir Betroffene besser unterstützen.

Vor dem Hintergrund, dass sichere, vertrauliche Kommunikation mathematisch bewiesen nicht möglich ist, wenn es Hintertüren zum Mitlesen für Strafverfolger und Geheimdienste gibt: Sind Sie für die Abschaffung des elektronischen Briefgeheimnisses zugunsten einer Strafverfolgung? Warum?

Wir Freie Demokraten setzen uns für ein Recht auf Verschlüsselung ein und fordern eine grundsätzliche Verschlüsselung elektronischer Kommunikation. Jede Einschränkung des Einsatzes von Kryptographie und jede Verpflichtung zum Offenhalten von IT-Sicherheitslücken lehnen wir ab. Bei der Verschlüsselung von Daten und des Netzverkehrs geht es um den Schutz des Eigentums, der Privatsphäre und der Vertraulichkeit der Kommunikation. Zum Schutz der Privatsphäre gehört auch, dass zur straf- und zivilrechtlichen Verfolgung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen die Ermittlung der Identität von Kommunikationsteilnehmern ermöglicht werden kann. Statt der Ausnutzung von Sicherheitslücken fordern wir eine Priorität für die IT-Sicherheit und ein klar geregeltes Schwachstellenmanagement. Der Staat darf keine Sicherheitslücken für Ermittlungszwecke aufkaufen. Wenn einer staatlichen Stelle Sicherheitslücken bekannt werden, muss sie diese umgehend dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) melden, welches eine Schließung der Lücke durch den Hersteller herbeiführt oder, wenn dies nicht gelingt, die Lücke nach den allgemeinen Grundsätzen der Cybersicherheit koordiniert veröffentlicht.

Wie definieren Sie Internetkriminalität? Mit welcher Ausstattung und personellen Maßnahmen sollen Strafverfolgungsbehörden unterstützt werden, um der Internetkriminalität grundsätzlich Herr zu werden? Welche Vorhaben möchten Sie zu dem Thema in der nächsten Legislaturperiode umsetzen?

Der Begriff Internetkriminalität ist nicht abschließend definiert. Gewöhnlich werden damit alle Delikte bezeichnet, deren Tatort, Tatmittel oder Tatobjekt in Verbindung mit dem Internet stehen. Eine trennscharfe Abgrenzung zum älteren Begriff der Computerkriminalität ist nicht immer möglich. Zur effektiven Bekämpfung von Internetkriminalität und allen weiteren Kriminalitätsformen fordern wir Freie Demokraten eine bessere und funktionale Personal- und Sachausstattung für die Polizei. Dafür wollen wir entsprechende Mittel bereitstellen und die Infrastruktur schaffen. Insbesondere wollen wir mit einem Digitalpakt dafür sorgen, dass Polizistinnen und Polizisten in Deutschland mit dem neuesten Stand der Technik und mit kompatiblen IT-Infrastrukturen ausgerüstet sind. Denn die besten Gesetze helfen nicht weiter, wenn sie mangels Personals, durch fehlende Ausrüstung oder aufgrund dysfunktionaler IT-Infrastruktur nicht durchgesetzt werden können. Wir Freie Demokraten fordern, der Bekämpfung von Gewalt im Internet Priorität einzuräumen. Ergänzend zu spezialisierten Kräften in Polizei und Justiz sowie Schwerpunktstaatsanwaltschaften sollen in allen Bundesländern elektronische Verfahren zur Stellung von Strafanzeigen, die auch anonyme Anzeigen sowie Anzeigen von Nichtregierungsorganisationen zulassen, eingeführt werden und über Zentralstellen laufen. Um Straftaten insbesondere gegenüber Frauen besser zu bekämpfen, müssen geschlechterspezifische digitale Straftaten in Kriminalitätsstatistiken aufgenommen werden. So können konkrete Handlungsbedarfe abgeleitet und umgesetzt werden.

Sollte der Staat in der Pflicht sein, den Menschen parallel analoge und digitale Lösungen anzubieten (Impfausweis vs. digitales Impfzertifikat)? Inwiefern darf ein digitales Angebot durch ihn Zugangsvoraussetzung zum angebotenen Service sein? Wie stellt er Barrierefreiheit sicher?

Grundsätzlich gilt: staatliche Leistungen und die Frage, wer anspruchsberechtigt ist, muss sich immer am Menschen orientieren, nicht daran, über welche technische Ausstattung jemand verfügt. Das ergibt sich schon aus dem Grundgesetz und dem Grundsatz der Gleichbehandlung.

Dementsprechend gilt auch: immer wenn der Staat Leistungen anbietet, die nicht aus bestimmten Gründen ausschließlich einen Personenkreis, der in Besitz eines bestimmten technischen Endgeräts ist, betreffen, müssen alle Anspruchsberechtigten prinzipiell und unabhängig von ihrer technischen Ausstattung Zugang zu den betreffenden Leistungen haben. Allein deshalb sollten auch analoge Lösungen vorgehalten werden.

Wenn der Staat digitale Lösungen anbietet ist es, vom Grundsatz der Gleichbehandlung ausgehend, weiterhin wichtig, diese möglichst barrierefrei auszugestalten. Das heißt, es sollte mindestens auf möglichst weitreichende Endgeräte- und Betriebssystemkompatibilität, sowie größtmögliche Nutzerfreundlichkeit geachtet werden. Ferner sollten staatliche, digitale Lösungen nach Möglichkeit quelloffen sein, damit größtmögliche Transparenz gewährleistet ist und die Zivilgesellschaft eingebunden ist und Verbesserungsvorschläge machen kann.

Angenommen Ihnen steht in der kommenden Legislaturperiode ein zusätzliches Budget von 1 Mrd. Euro für die digitale Transformation der Verwaltung zur Verfügung: Wie viel Prozent davon würden Sie für welche konkreten Maßnahmen ausgeben? Bitte geben Sie die Aufteilung möglichst detailliert an

Die Digitalisierung wird für uns Freie Demokraten auch in der kommenden Legislaturperiode eine zentrale Rolle spielen. Daher fordern wir ein Ministerium für digitale Transformation. Um Synergieeffekte zu nutzen und eine schlankere und effizientere Regierung zu gestalten, wollen wir Kompetenzen in einem Ministerium bündeln und es eng mit den anderen Regierungsressorts verknüpfen.

Der konkrete Finanzierungsbedarf einzelner Maßnahmen der digitalen Transformation ist zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer zu bestimmen. Denn aktuell steht weder abschließend fest, welche Mittel in der nächsten Legislaturperiode grundsätzlich im Rahmen der digitalen Transformation der Verwaltung zur Verfügung stehen werden, noch wie genau diese dann auf einzelne Projekte verteilt werden sollen.

Wir wollen zudem durch eine umfassende Föderalismus- und Verwaltungsreform einen modernen und handlungsfähigen Staat schaffen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass unklare Zuständigkeiten, eine erdrückende Bürokratie und digitale Defizite bei den Behörden schnelle und pragmatische Lösungen verhindern. Es geht nicht nur um die Digitalisierung von Prozessen, sondern vor allem um einen Mentalitätswandel. Um das Megaprojekt der Verwaltungsmodernisierung zu bewältigen, setzen wir auf eine agile Herangehensweise, die arbeitsfähige Ergebnisse vor starren Strategien priorisiert. Um Anreize für die digitale Transformation von Prozessen und Arbeitsweisen zu schaffen, sollen durch die Digitalisierung erreichte Einsparungen („Digitale Dividende“) für Investitionen in der jeweiligen öffentlichen Stelle verbleiben.

In welchen Bereichen sollten neue Technologien (KI-gestützte Videosysteme mit Gesichts-/Verhaltenserkennung) zur Prävention und Verfolgung von Straftaten genutzt werden? Wo ist eine Grenze zum Recht auf Privatsphäre zu ziehen? Wie dürfen die Daten verwendet werden? Wer kontrolliert dies?

Technische Hilfsmittel können Polizeipräsenz und Polizeiarbeit nicht ersetzen, jedoch punktuell sinnvoll unterstützen. Systeme basierend auf künstlicher Intelligenz oder maschinellem Lernen wollen wir Freie Demokraten insbesondere einsetzen, um Routinetätigkeiten zu automatisieren und Analysetätigkeiten bei datenintensiven Delikten zu unterstützen. Wir Freie Demokraten fordern ein Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum und lehnen dementsprechend den Einsatz automatisierter Gesichtserkennung ab. Videoüberwachung ist kein Ersatz für Beamtinnen und Beamte und kein Allheilmittel. Durch den Einsatz von Software zur automatisierten und massenhaften Gesichtserkennung im öffentlichen Raum droht eine Totalüberwachung. Eine flächendeckende Videoüberwachung lehnen wir daher ab und sehen auch die Ausweitung privater Videoüberwachung, die dann für staatliche Zwecke nutzbar gemacht wird, kritisch. Eine intelligente Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten kann aber eine sinnvolle Ergänzung zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sein, wenn sie verantwortungsvoll und nicht als Ersatz für Polizeipräsenz eingesetzt wird. Das Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum gilt auch für den digitalen öffentlichen Raum.

Wie wollen Sie mit Hilfe von digitaler Transformation sicherstellen, dass Deutschland bei einer nächsten Krise (Naturkatastrophe, Wirtschaftskrise, militärische Ereignisse usw) besser vorbereitet ist? Welche Dimensionen umfasst Ihr Krisenkonzept? Was sind die primären Schritte?

Die Corona-Krise sowie die Flutkatastrophe haben bundesweit Digitalisierungsdefizite offengelegt und so aufgezeigt, was die Bundesregierung und die Länderverwaltungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten versäumt haben. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat deshalb bereits im letzten Jahr auf die Einrichtung einer Lessons-Learned-Task-Force gedrängt, die auf Ebene des Bundeskanzleramtes die wichtigsten digitalen Schwachstellen im öffentlichen Sektor systematisch zusammenträgt und aufarbeitet (BT-Drs. 19/24632). Darüber hinaus fordern wir die Einsetzung einer Föderalismus-Kommission, um Verantwortlichkeiten und Verfahren klarer zu gestalten.

Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat darüber hinaus „10 Punkte für ein sicheres und nachhaltiges Klima(folgen)Management“ mit konkreten Vorschlägen zu Hilfeleistung, Katastrophenschutz, Klimaanpassung und -schutz erarbeitet. Zudem hat sie wiederholt Initiativen in den Bundestag eingebracht (vgl. etwa BT-Drs. 19/19130, 19/8541, 19/19460): Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) muss zu einer Zentralstelle im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz ausgebaut werden. Die Umsetzung der Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) muss zügig vorangetrieben werden. Dies betrifft insbesondere die Fachplanungen und Umsetzung in Bezug auf Cyber-Angriffe, hybride Bedrohungen und Angriffe mit terroristischen Mitteln. Notwendig ist auch, eine strategische Reserve an Ressourcen auf Bundesebene im Bevölkerungsschutz zu schaffen und ein Konzept für die Risiko-und Krisenkommunikation zu entwickeln, das insbesondere darauf abzielt eine einheitliche und transparente Informationsvermittlung über analoge und digitale Medien im Krisenfall durch die zuständigen Stellen zu gewährleisten. Dabei sollte die Entwicklung und der Ausbau von neuen Warntechnologien (zum Beispiel Notfall-Apps wie Katwarn, NINA oder Biwapp) gefördert werden. Insbesondere ist auch endlich ein bundesweites Warnsystem auf Basis von Cell Broadcast einzuführen. Wichtig ist auch, dass unter Einbindung der Forschungseinrichtungen des Bundes Vorhaben gefördert werden, die den Nutzen von modernen Technologien, wie zum Beispiel Drohnen, für den Einsatz in Krisensituationen erforschen und auswerten.

IT-Sicherheit und Katastrophenschutz – insbesondere im Bereich kritischer Infrastruktur – sind dabei nicht zu trennen. Wir fordern daher auch eine tatsächlich umsetzbare und agile Cybersicherheitsstrategie.

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