djo - Deutsche Jugend in Europa, Bundesverband e.V.

Zahlreiche Studien verweisen auf die eklatanten Defizite im Bereich der Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Wie planen Sie gegen die strukturelle Bildungsungerechtigkeit in Deutschland vorzugehen?

Bildung ist die elementare Voraussetzung für individuelles Vorankommen und ein selbstbestimmtes Leben. Die Chance zum sozialen Aufstieg hängt heute mehr denn je von der Bil­dung ab. Wir Freie Demokraten wollen, dass jeder Mensch sein volles Potential ausschöpfen kann – und das ein Leben lang. Deshalb arbeiten wir dafür, dass modernste Bildung in Deutschland zum Standard wird.

Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrem Elternhaus oder ihrer Herkunft Zugang zu weltbester Bildung zu ermöglichen ist uns Freien Demokraten daher ein besonders wichtiges Anliegen.  Daher setzen wir Freie Demokraten uns für den Aufbau von Talentschulen mit modernster Pädagogik und bester Ausstattung in ganz Deutschland ein. Die Talentschulen wollen wir insbesondere in kinderreichen Stadtteilen und in Regionen mit großen sozialen Herausforderungen einrichten und so besonders Kindern aus finanziell benachteiligten Familien bessere Zukunftschancen bieten. Dabei orientieren wir uns am erfolgreichen Konzept der Talentschulen in Nordrhein-Westfalen.

Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, Initiativen in Form von Aufstiegspatenschaften einzubinden, um Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern zu helfen, den eigenen Weg zu beruflichen Bildungsabschlüssen oder an die Hochschule zu gehen. Durch die Beratung und Unterstützung für die eigenen Lebens- auf Aufstiegspläne kann vor allem Jugendlichen aus nichtakademischen Elternhäusern der Weg an die Hochschule geebnet werden.

Darüber hinaus streiten wir für einen zukunftsfähigen Bildungsföderalismus, der Bedingung für weltbeste Bildung in Deutschland sein muss. Neben bestmöglicher digitaler Ausstattung und Schulung durch einen Digitalpakt 2.0 fordern wir mehr Autonomie für Schulen, damit diese im Rahmen geltender Bildungsstandards individueller auf einzelne Schülerinnen und Schüler eingehen können. Für Menschen mit Behinderung oder Lernschwäche und ihre Familien fordern wir Wahlfreiheit zwischen Regelunterricht und speziellen Unterrichtsformen.

Junge Menschen stellen im Kontext der Corona-Krise eine vulnerable Gruppe dar. Durch die Krise wird ihr zukünftiger Lebensweg in vielerlei Hinsicht erschwert. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um den Nachteilen der Corona-Pandemie entgegenzutreten?

Wir Freie Demokraten wollen verhindern, dass Kinder und Jugendliche zum Verlierer dieser Pandemie werden. Deshalb hat die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag eine Initiative eingebracht, in der sie konkrete Lernstandserhebungen und ein Chancenaufholprogramm fordert (vgl. „Chancen-Aufholprogramm: Lernrückstände erheben, Corona-Nachteile für Kinder und Jugendliche verhindern“ BT-Drs. 19/27808). Dabei geht es nicht nur um Unterrichtsstoff, sondern auch um die Entwicklung von Sprache und Persönlichkeit. Kurzfristig soll die Unterstützung durch studentische Lern-Buddys Lernverluste abfedern. Um die Corona-Defizite auszugleichen, brauchen wir aber vor allem langfristige Lösungen und Konzepte. Dazu sollen die Lernrückstände und Kompetenzverluste verlässlich und systematisch erhoben werden. Mit diesem Wissen wollen wir ein Chancen-Aufholprogramm aufsetzen, das Schülerinnen und Schüler bestmöglich fördert.

Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat darüber hinaus gefordert, dass in Bildungseinrichtungen zusätzliches psychologisches und pädagogisches Personal digital und physisch sowie während und nach der Corona-Pandemie zur Verfügung steht, um negative Folgen der Corona-Krise zu erkennen und professionell aufzuarbeiten (vgl. „Hilfeplan für die physische und psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen“ BT-Drs. 19/27810).

Die Coronakrise hat außerdem gezeigt, dass die finanziellen Mittel für WLAN und Hardware allein nicht ausreichend sind, um im Notfall digitalen Unterricht von zu Hause aus zu ermöglichen. Wir Freie Demokraten fordern daher einen Digitalpakt 2.0, der die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten der Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbereich vollständig nutzt. Zusätzlich zur Technik muss auch in IT-Administratorinnen und IT-Administratoren, Dienstgeräte für Lehrkräfte, digitales Lernmaterial sowie Fortbildungen investiert werden. Unser Ziel zur Sicherung der Chancen junger Menschen ist daher, dass Schulen digital gestütztes Lernen in Präsenz genauso anbieten können wie Lernen auf Distanz.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, die in ihrer Arbeit Rechtsextremismus und Gewalt entgegenwirken, leisten einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung des demokratischen Zusammenlebens. Plant Ihre Partei Maßnahmen, um zivilgesellschaftliche Akteure zu stärken? Welche sind diese?

Unsere Demokratie und unsere Freiheit sind bedroht durch Extremismus, durch Populismus und durch Gleichgültigkeit. Für uns Freie Demokraten ist es daher eine Kernaufgabe, die liberale Demokratie mit Leben zu erfüllen, sie fortzuentwickeln und zu verteidigen. Wir Freie Demokraten machen uns deswegen stark für unsere freiheitliche Gesellschaft und gegen Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Homophobie.

Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat daher einen Aktionsplan zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und rechtsextremer Gewalt (BT-Drs. 19/17743) vorgelegt. Darin setzen wir uns für die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Gruppen ein. Wir fordern darin unter anderem ein finanzielles Sofortprogramm gegen Antisemitismus und Rassismus, um sinnvolle Projekte zur Aufklärung, Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus finanziell auf eine stabile Grundlage zu stellen. 

Der Bund sollte darüber hinaus die Präventionsarbeit und funktionierende Aussteigerprogramme zu unterschiedlichen Extremismusformen auf eine verlässliche finanzielle Grundlage stellen.

In Deutschland lebende EU-Bürger_innen können nur auf kommunaler Ebene wählen, Menschen mit Migrationsgeschichte aus einem Nicht-EU-Staat werden von Wahlen meist ausgeschlossen. Wie stehen Sie zu einer Ausweitung des Wahlrechts zugunsten von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit?

Wir Freie Demokraten begreifen die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit als Ergebnis und Ziel einer gelungenen Integration in die deutsche Gesellschaft. Es ist für das Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland wertvoll, wenn Menschen, die in Deutschland geboren sind oder ihr ganzes Leben in Deutschland verbringen werden, über eine Einbürgerung auch rechtlich Teil des Staatsvolkes werden. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht sollte im Fall einer Einbürgerung grundsätzlich auch die Mehrstaatigkeit zulassen. Ab der Enkelgeneration der Ersteingebürgerten sollten sich Menschen dann für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen, außer wenn mit dem Verlust der Aufgabe der zweiten Staatsangehörigkeit rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile verbunden sind, sie nicht auf sie verzichten können oder es sich um die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates handelt. Wir fordern für Einwanderinnen und Einwanderer zudem einen vereinfachten Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit nach insgesamt vier Jahren.

Für uns Freie Demokraten ist die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit einschließlich des damit verbundenen Wahlrechts das Ergebnis und Ziel einer gelungenen Integration. Wir fordern daher die vereinfachte Einbürgerung nach bereits vier Jahren (s.o.) und setzen uns außerdem dafür ein, dass das deutsche Staatsangehörigkeitenrecht im Fall einer Einbürgerung grundsätzlich auch die Mehrstaatigkeit zulässt. Die Einführung eines solchen liberalen Staatsangehörigkeitenrechts würde die praktische Relevanz eines verfassungsrechtlich umstrittenen Ausländerwahlrechts nach unserer Überzeugung insgesamt bedeutend relativieren.

Wie plant ihre Partei die Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu stärken und Hürden für Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte abzubauen?

Wir setzen uns für die Möglichkeit eines „Spurwechsels“ zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt für gut integrierte Schutzsuchende ein. Denn wer einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder sich in einer Qualifikationsphase (zum Beispiel Ausbildung oder Studium) befindet, sollte nicht ausgewiesen werden. Zudem wollen wir bürokratische Hürden bei der Arbeitsaufnahme, wie die Vorrangprüfung oder die Sperrfrist für Asylbewerber, abbauen. Gerade die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit erleichtert aus unserer Sicht auch erheblich die Integration und beschleunigt das Erlernen der deutschen Sprache. Wir Freie Demokraten fordern zudem, dass abgelehnte Anträge zur Gleichwertigkeitsfeststellung von ausländischen Berufsabschlüssen nach Ablauf einer angemessenen Sperrfrist erneut überprüft werden können, um mehr Chancengerechtigkeit für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herzustellen.

Die Wohnsituation in Sammelunterkünften widerspricht in vielen Punkten den Standards der UN-Kinderrechtskonvention. Wie positioniert sich Ihre Partei hinsichtlich der häufig formulierten Forderung nach einer sofortigen dezentralen Unterbringung für Geflüchtete in Deutschland?

Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat vorgeschlagen, das gesamte Anerkennungsverfahren in zentralen Unterbringungseinrichtungen durchzuführen (BT-Drucksache 19/9924). Der Schutzanspruch sowie etwaige Rechtsmittel gegen einen Ablehnungsbescheid können so schnell geprüft werden. Das Ziel sollte es sein, eine rechtsförmliche Entscheidung binnen weniger Wochen zu treffen und das Asylverfahren innerhalb von drei Monaten rechtskräftig abzuschließen, wobei auch die Möglichkeiten beschleunigter Verfahren zwingend genutzt werden sollten. Bereits während dieser Zeit sollen Sprach- und Integrationskurse durchgeführt werden und eine Basisbeschulung der Kinder sichergestellt werden. Antragssteller sollten bis zum Abschluss des Verfahrens in der zentralen Unterbringungseinrichtung verbleiben und bei einem stattgebenden Asylbescheid dezentral auf die Kommunen verteilt werden.

Antisemitismus tritt immer offener zu Tage. Welche politischen Bildungskonzepte zu NS und Shoa in der Einwanderungsgesellschaft sollten daher angestoßen werden?

Wir Freie Demokraten fordern ein entschiedenes Vorgehen gegen jede Form des Antisemitismus. Jüdisches Leben in Deutschland und Europa ist für uns integraler Bestandteil unserer Zivilgesellschaft. Politik und Sicherheitsbehörden müssen die spezifische Gefährdung jüdischen Lebens ernst nehmen und sich ihr entschieden entgegenstellen. Es darf keine Toleranz gegenüber irgendeiner Form des Antisemitis­mus geben. Jüdische Einrichtungen müssen durch staatliche Maßnahmen effektiv geschützt werden. Dabei muss auf die Sicherheitsbedenken der Gemeinden eingegangen werden. In Polizei und Justiz braucht es Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, um antisemitisch motivierte Gefahren und Taten aufzuarbeiten. In der Schule braucht es Lehrerinnen und Lehrer sowie Lernmaterialien, um Alltags-Antisemitismus zu entlarven und um antisemitischen Vorurteilen sowie Hass vorzubeugen. In der Wirtschaft werden wir durchsetzen, dass für antisemitische und israelfeindliche Geschäftspraktiken, wie sie beispielsweise im Luftreiseverkehr vorkommen, auf deutschen Märkten kein Platz ist. Dabei sollte die Definition des Antisemitismus der International Holocaust Remembran­ce Alliance Orientierungspunkt sein. Wir beobachten die Aktivitäten von BDS (Boycott, Disinventions, Sanctions) mit großer Sorge und treten ihnen klar entgegen. Dazu gehören für uns auch eine Prüfung des Verbots des Al-Quds-Marsches in Berlin sowie härtere strafrechtliche Sanktionen für das Ver­brennen von Israel-Fahnen als Ausdruck von israelbezogenem Antisemitismus. Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar soll aufgewertet werden, indem wir eine bundesweite Schweigeminute am Vorbild des israelischen Jom haScho’a einführen.

In den letzten Jahren gab es zahlreiche Initiativen zur Gründung neuer bilateraler Jugendwerke. Wir sehen diese Entwicklung kritisch. Die Träger im Internationalen Jugendaustausch haben durch die Corona-Krise zudem stark gelitten. Wie beabsichtigen Sie den Internationalen Jugendaustausch zu stärken?

Wir Freie Demokraten wollen bis 2030 mindestens 20 Prozent aller Auszubildenden eine persönliche Auslandserfahrung ermöglichen. Zugleich wollen wir europäische Jugendliche bei einer Ausbildung in Deutschland mit einem Programm unterstützen. In einer globalisierten Arbeitswelt werden sprachliche und interkulturelle Kompetenzen immer wichtiger. Analog zum Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) braucht es einen Deutschen Beruflichen Austauschdienst, der Auszubildende, Betriebe und Berufsschulen bei Auslandsaufenthalten unterstützt. Die Programme „Erasmus+“ und „AusbildungWeltweit“ wollen wir ausbauen. Internationale Wahl- und Zusatzqualifikationen sollen in Aus- und Fortbildungsordnungen verankert und neue internationale Berufe geschaffen werden. Zudem müssen die in der Kopenhagener Erklärung vereinbarten Ziele wie die Anerkennung von Qualifikationen innerhalb der EU konsequent umgesetzt werden. 

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