AWO Bundesverband e.V.

Welche Bedeutung hat die Freie Wohlfahrtspflege für ihr Sozialstaatsverständnis und welche konkreten Schritte zur Stärkung des Subsidiaritätsprinzips schlägt ihre Partei vor?

Die Freie Wohlfahrtspflege ist eine unverzichtbare Säule unseres Sozialsystems. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind in unserer Gesellschaft Vorbilder, nicht nur in dem was sie tun, sondern auch in der Art, wie sie es tun. Sie tragen damit ganz wesentlich zum sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei.

Subsidiarität ist ein grundlegendes Prinzip unseres sozialen Sicherungssystems und ein wesentliches Qualitätsmerkmal. Hierdurch werden passgenaue und bedarfsgerechte Hilfen für Menschen mit Unterstützungsbedarf ermöglicht. Darüber hinaus fördert das Subsidiaritätsprinzip das ehrenamtliche Engagement und damit die Verankerung sozialer Verantwortung in der Gesellschaft.

Welches Reformmodell schlagen Sie vor, um der finanziellen Belastung von Pflegebedürftigen zu begegnen, die Attraktivität des Pflegeberufes zu steigern (bspw. durch flächendeckende Tarifverträge) und die Finanzierung von Pflege solidarisch und zukunftsfest auszugestalten?

Wir Freie Demokraten setzen uns für eine nachhaltige, generationengerechte Finanzierung der Pflege ein. An der Pflegeversicherung als Teilleistung ist festzuhalten und sie ist zudem durch Kapitaldeckungselemente zu ergänzen. Wie auch bei der Rente wollen wir ein Drei-Säulen-Modell für die Pflege einführen – bestehend aus der sozialen Pflegeversicherung sowie aus privater und betrieblicher Vorsorge. Insbesondere der Ausbau von betrieblichen Modellen zur Pflegezusatzvorsorge ist zu unterstützen. Eigenverantwortung endet nicht bei der Pflegebedürftigkeit. Mit Blick auf den demographischen Wandel sowie die Entwicklung der Sozialabgaben ist es unvertretbar, die Pflegefinanzierung allein auf zukünftige Generationen abzuwälzen.

Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Darum wollen wir von der Bildung über eine bedarfsgerechte Personalbemessung bis hin zu mehr Karrierechancen dafür sorgen, dass der Beruf wieder attraktiver wird. Nur so können wir den Personalmangel an seinem Ursprung angreifen und mehr Personal in die Versorgung bringen. Geben wir den Pflegenden wieder Zeit und Raum für ihre Arbeit.

Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Prävention und den Schutz vor Gewalt für die unterschiedlichen von Gewalt betroffenen bzw. bedrohten Gruppen zu verbessern, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, bei Beziehungsgewalt gegenüber Frauen und im digitalen Netz?

Wir Freie Demokraten fordern, dass die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt schnell, umfassend und wirksam umgesetzt wird. Wir wollen Betroffenen anzeigeunabhängig, kostenlos und anonym die Spurensicherung bei sexueller oder sexualisierter Gewalt ermöglichen. Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei Polizei und Justiz müssen nach gemeinsamen Standards aus- und weitergebildet werden. Wir setzen uns für einen bedarfsgerechten Ausbau von Frauenhausplätzen, eine bundesweit einheitliche Finanzierung sowie ein nationales Online-Register ein.

Zudem fordern wir, der Bekämpfung von Gewalt im Internet Priorität einzuräumen. Ergänzend zu spezialisierten Kräften in Polizei und Justiz sowie Schwerpunktstaatsanwaltschaften sollen in allen Bundesländern elektronische Verfahren zur Stellung von Strafanzeigen, die auch anonyme Anzeigen sowie Anzeigen von Nichtregierungsorganisationen zulassen, eingeführt werden und über Zentralstellen laufen. Um Straftaten insbesondere gegenüber Frauen besser zu bekämpfen und konkrete Handlungsbedarfe abzuleiten, müssen geschlechterspezifische digitale Straftaten in Kriminalitätsstatistiken aufgenommen werden. Wir wollen die Opfer von Gewalt im Internet und von Hasskriminalität in die Lage versetzen, sich zu wehren, indem sie einen Auskunftsanspruch gegen Plattformen und Internetprovider erhalten. Mit Medienbildung bei Kindern und Jugendlichen sowie Weiterbildungen und Schulungen für Polizei und Justiz möchten wir Betroffene besser unterstützen.

 

Was plant Ihre Partei zur Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft?

Wir Freie Demokraten fordern ein integrationspolitisches Leitbild. Dieses umfasst das Grundgesetz mit seinem Grundrechtekatalog, ist religionsunabhängig und spiegelt die gesellschaftliche Vielfalt in Einheit wider. Es soll die Prinzipien Weltoffenheit, Toleranz und Eigenverantwortung als Grundlage der Integration betonen und aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland heraus verstehbar machen. Sprach- und Integrationskurse müssen daher vom ersten Tag an flächendeckend und kostenlos angeboten, aber auch angenommen werden. Ziel der Integrationskurse muss es vor allem sein, den Respekt vor unserer Rechtsordnung und Demokratie zu vermitteln, insbesondere die Gleichheit von Frau und Mann, die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten, sowie die Toleranz gegenüber allen Formen des Glaubens und des Nichtglaubens.

Wir wollen eine Integrationspolitik, die Vielfalt begrüßt und daher Einwanderinnen und Einwanderer einlädt, Teil unserer Gesellschaft zu werden, ihnen aber auch eine eigene Integrationsleistung abverlangt. Wir wollen die Chancen der Einwanderung für Deutschland nutzen, denn unser Land ist auf Einwanderung angewiesen. Integration ist der Schlüssel dafür, dass Einwanderinnen und Einwanderer zu einem Teil unserer Gesellschaft werden und zu ihrem Gelingen beitragen. Deshalb wollen wir Integration fördern: durch Angebote zum Erlernen unserer Sprache und unserer Gesellschaftsordnung, Integrationspaten nach kanadischem Vorbild sowie zusätzliche Integrationsmaßnahmen, die sich gezielt an Frauen, Kinder und Senioren, aber auch an besonders schutzbedürftige Personengruppen richten. Bürokratische Hürden beim Einwanderungs- und Integrationsprozess sowie bei der Arbeitsaufnahme, wie die Vorrangprüfung oder die Sperrfrist für Asylbewerber, müssen abgebaut und Partnerschaften mit Herkunftsländern geschlossen werden. Mit ausgewählten Partnerländern sind Anwerbestrategien vor Ort zu entwickeln, zum Beispiel mit Sprachkursen und Vorbereitungskursen auf das Leben in Deutschland.

Mit welchen Maßnahmen wird ihre Partei gewährleisten, dass Deutschland seine Klima- und Nachhaltigkeitsziele einhält und wie werden Sie dabei eine faire Verteilung der Lasten und damit Teilhabe sowie Akzeptanz für die Klima- und Nachhaltigkeitsziele gewährleisten?

Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Packen wir es richtig an, kann er aber auch zu einer unserer größten Chancen werden. Wir brauchen Forschung, Wissenschaft, Innovationen und die vielen klugen Ideen der Menschen. Neue Technologien führen dazu, Energie bezahlbar umwandeln und gleichzeitig das Klima schützen zu können. Auch bei der Lösung für komplexe Umweltprobleme setzen wir auf die Kreativität der Vielen und den Wettbewerb der besten Ideen.

Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf einem globalen, alle Wirtschaftsbereiche einschließenden Emissionshandel, mit dem die Gesamtheit aller nationalen Minderungsziele im Rahmen des Pariser Abkommens erreicht werden kann. Wir wollen die Schädigung der Weltmeere durch Vermüllung, Schadstoffemissionen und Übernutzung durch eine konsequente und globale Anwendung des Verursacherprinzips, geschlossene Rohstoffketten, innovative Verfahren zur Prävention und zur Beseitigung von Meeresverschmutzungen kontinuierlich reduzieren. Wir werden die natürliche CO2-Bindung von Böden und Wäldern angemessen honorieren und die Artenvielfalt über den Ausbau sowie die Modernisierung des Vertragsnaturschutzes stärken. Dabei setzen wir auf einen regelbasierten Freihandel als effektiven Wohlstandsmotor und günstige Rahmenbedingungen für einen Wettbewerb nachhaltiger technologischer Innovationen. Wir wollen einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einer Gleichstellung der Geschlechter und menschenwürdiger Arbeit für alle. Wir setzen auf inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung in Deutschland und weltweit. 

Welche Konzepte hat Ihre Partei, um Kinderarmut abzubauen, benachteiligten Menschen den Erst- oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen und mit Armut einhergehende soziale Problemlagen, etwa in den Bereichen Wohnen, Gesundheit und Teilhabe umfassend und bedarfsgerecht zu bekämpfen?

Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, Initiativen in Form von Aufstiegspatenschaften einzubinden, um Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern zu helfen, den eigenen Weg zu beruflichen Bildungsabschlüssen oder an die Hochschule zu gehen. Durch die Beratung und Unterstützung für die eigenen Lebens- auf Aufstiegspläne kann vor allem Jugendlichen aus nichtakademischen Elternhäusern der Weg an die Hochschule geebnet werden. Darüber hinaus wollen wir Freie Demokraten ein Kinderchancengeld. Es besteht aus: Grundbetrag, Flexibetrag und nichtmateriellem Chancenpaket. Die Angebote für bessere Chancen, Bildung und Teilhabe werden ausgeweitet und können von Kindern und Jugendlichen selbstständig über ein Kinderchancenportal kinderleicht abgerufen werden. Das Kinderchancengeld ist einfach, digital und ermöglicht echte Aufstiegschancen.

Wir Freie Demokraten wollen das Liberale Bürgergeld. Wir wollen steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. Selbst verdientes Einkommen soll geringer als heute angerechnet werden. So möchten wir das Steuer- und Sozialsystem verbinden. Die Grundsicherung muss unbürokratischer, würdewahrender, leistungsgerechter, digitaler und vor allem chancenorientierter werden. Daneben sollte der Passiv-Aktiv-Tausch weiterentwickelt werden, bei dem Gelder, die eine Leistungsempfängerin oder ein Leistungsempfänger erhält, in Lohnkostenzuschüsse für einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz umgewandelt werden können.

Wie plant Ihre Partei das soziale und nachhaltige Europa zu stärken, die Grundsätze der ESSR umzusetzen, die gemeinnützige Sozialwirtschaft EU-weit zu fördern sowie die partnerschaftliche Entwicklung und Umsetzung von EU-Förderprogrammen und den Zugang zu EU-Fördermitteln zu verbessern?

Wir Freie Demokraten wollen eine Neuaufstellung der europäischen Kohäsions- und Innovationspolitik. Bewährte Instrumente wie „Horizon 2020“ oder auch die Europäische Investitionsbank wollen wir schlagkräftiger machen. Die europäische Innovationspolitik soll gezielt schwächeren Regionen zugutekommen, um dort ineffiziente Strukturen zu überwinden. Dabei muss das europäische Prinzip gelten: Der Erfolg der Starken fördert das Aufholen der Schwächeren. Gemeinsame Maßnahmen zur Überwindung der schwersten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg sind für uns Teil des Friedensprojekts der europäischen Einigung. Die wirtschaftliche Erholung aller Mitgliedstaaten muss ein zentrales Ziel der europäischen Politik sein.

Wie wird Ihre Partei sicherstellen, dass die Engagementinfrastruktur der Vereine, Freiwilligenagenturen oder Mehrgenerationenhäuser langfristig und angemessen finanziert wird und sich mehr Menschen unabhängig von ihrem Bildungshintergrund, ihrer Herkunft oder Einkommenssituation engagieren können?

Ehrenamt ist mehr als nur Freizeit. Das freiwillige Engagement tausender Bürgerinnen und Bürger ermöglicht Millionen von Menschen freie Entfaltung, Selbstwirksamkeit und vor allem Kindern und Jugendlichen wertvolle Lernprozesse. Es bringt Menschen unabhängig ihres sozialen und kulturellen Hintergrundes zusammen, stiftet Gemeinschaft und fördert Toleranz. Deshalb wollen wir Freie Demokraten das Ehrenamt von Bürokratie und möglichen Haftungsrisiken entlasten. Den Zugang zu neuen digitalen Lösungen für Vereine wollen wir vereinfachen, etwa in den Bereichen Akquise und Verwaltung. Bei unserem Konzept des elternunabhängiges Baukasten-BAföG, sollen 200 Euro bei ehrenamtlichem Engagement oder Nebentätigkeiten als Zuschuss gewährt werden. Zudem wollen wir die Übungsleiter- und Ehrenamtspauschale angemessen erhöhen. Den Bundesfreiwilligendienst (BFD) wollen wir ebenfalls attraktiver machen. Dazu fordern wir ein mit dem Freiwilligen Wehrdienst vergleichbares Entgelt, die Eröffnung von Teilzeitmodellen für den BFD, die Öffnung für neue Zielgruppen sowie die weitere Stärkung des Freiwilligen Digitalen Jahres.  

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