Kassenärztliche Bundesvereinigung
Eine Reform zur sektorenübergreifenden Notfallversorgung steht immer noch aus. Sieht Ihre Partei Wege, wie die Notfallversorgung künftig besser gesteuert werden kann?
Wir wollen die künstliche Sektorenbarriere zwischen dem ambulanten und dem stationären Versorgungsbereich konsequent abbauen und die Verzahnung und Vernetzung aller Versorgungsbereiche weiterentwickeln. Den Rettungsdienst wollen wir modernisieren und insbesondere die Notfallversorgungsstrukturen bedarfsgerechter und vernetzter gestalten. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat zu diesem Themenkomplex einen eigenen Antrag mit dem Titel "Notfallversorgung neu denken – Jede Minute zählt“ (BT-Dr. 19/16037) in den Bundestag eingebracht. Ziel war es, dass Integrierte Notfallzentren (INZ) als zentrale, jederzeit zugängliche Einrichtungen der medizinischen Notfallversorgung geschaffen werden. Die INZ werden dabei von den Krankenhäusern und den Kassenärztlichen Vereinigungen errichtet und unter Leitungsverantwortung hinreichend fachlich qualifizierter ärztlicher Kräfte der Kassenärztlichen Vereinigungen betrieben und dabei strukturell derart an ein Krankenhaus angebunden, dass sie als erste Anlaufstelle von Hilfesuchenden im Notfall wahrgenommen werden.
In der ambulanten Versorgungslandschaft ist zu beobachten, dass Investorengruppen kleinere Kliniken aufkaufen und über diese Kliniken ein MVZ gründen. Wie steht Ihre Partei zu dieser Entwicklung und der damit zusammenhängenden Ambulantisierung der Gesundheitsversorgung?
Generell setzen wir Freie Demokraten uns für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung ein. Diese wird von den freiberuflich tätigen Ärztinnen und Ärzten sowie Zahnärztinnen und Zahnärzten deshalb besonders patientenorientiert erbracht, weil sie die Therapieentscheidungen allein auf medizinischer Grundlage treffen. An diesem Prinzip wollen wir auch in Zukunft festhalten. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) können zur Verbesserung der Versorgung beitragen. Es bedarf jedoch klarer Regeln, die sicherstellen, dass die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte in medizinischen Fragen weisungsfrei handeln dürfen. Auch müssen die Wettbewerbsbedingungen zwischen niedergelassenen Ärzten und MVZ fair gestaltet sein.
Die KBV veröffentlicht seit 2016 einen Bürokratieindex für die vertragsärztliche Versorgung. 2020 ist der Bürokratieaufwand erneut gestiegen; zusätzlich belastet die Coronavirus-Pandemie mit komplexen Regelungen. Welche Pläne hat Ihre Partei, um den Bürokratieaufwand in den Praxen zu reduzieren?
Wir Freie Demokraten setzen uns entschieden dafür ein, die Bürokratie im Gesundheitswesen abzubauen. Schon jetzt ist die Bürokratie in den Praxen enorm. Von ihrer Arbeitszeit müssen Ärztinnen und Ärzte einen viel zu großen Anteil für Verwaltung und Bürokratie aufwenden. Diese wertvolle Zeit muss den Ärzten und Praxisangestellten wieder für die Behandlung von Patienten zur Verfügung stehen. Bereits im Antrag "Ambulante ärztliche Versorgung verbessern, Bürokratie abbauen, Budgetierung aufheben" (BT-Drs. 19/4833) hat sich die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag für einen Bürokratieabbau eingesetzt.
Sind die bereits bestehenden gesetzlichen Vorgaben bei den Themen Datenschutz und Datensicherheit im Gesundheitswesen ausreichend oder gibt es hier – zum Beispiel im Bereich elektronische Patientenakte – noch gesetzlichen Regelungsbedarf?
Wir Freie Demokraten wollen die Digitalisierung im Gesundheitswesen durch klare und transparente Rahmenbedingungen voranbringen. Dazu benötigen wir offene Standards, Interoperabilität und Datensicherheit. Die Vernetzung zwischen allen Gesundheitsakteuren sowie Patientinnen und Patienten muss digital ausgestaltet sein. Nur so ist eine schnelle Verfügbarkeit der Patientinnen- und Patientendaten sicherzustellen. Die Digitalisierung ist kein Wert an sich, sondern sie hat das Potential, die Gesundheitsversorgung und den Arbeitsalltag von allen Gesundheitsakteuren zu erleichtern.
Wir haben deshalb die (leider viel zu spät in die Wege geleitete) Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) begrüßt. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat hier das Opt-out-Modell gefordert. Die Nutzung bliebe natürlich freiwillig. Der Versicherte müsste aber nicht aktiv werden, um seinen Zugang zu erhalten.
In einem Entschließungsantrag zum Patientendaten-Schutz-Gesetz (BT-Drs. 19/20758) hat die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass Gesundheitsdaten zu keinem Zeitpunkt Rückschlüsse auf einzelne Personen ermöglichen. Die Datenhoheit gehört in die Hand der Patienten.
Sind Instrumente wie die Bedarfsplanung oder Budgetierung in der vertragsärztlichen Versorgung bei der Bekämpfung des Ärztemangels noch zeitgemäß und wenn nein, welche Reformen schlagen Sie in diesen Bereichen vor?
Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, dass die ärztliche Behandlung leistungsgerecht vergütet wird. Das ist seit Einführung der Budgetierung nicht der Fall. Denn durch diese Deckelung wird die geleistete Arbeit nicht mehr vollständig bezahlt. Wir sind der Auffassung, dass kein Arzt bestraft werden darf, der sich intensiv um seine Patientinnen und Patienten kümmert. Am Ende sind es die Patientinnen und Patienten, die von der Therapiefreiheit der Behandlung ohne Budgetierungszwang profitieren. Im Antrag "Ambulante ärztliche Versorgung verbessern, Bürokratie abbauen, Budgetierung aufheben" (BT-Drs. 19/4833) hat sich die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag für diese Ziele eingesetzt.
Für die Niederlassungsfreiheit als Regelfall und mehr regionale Verantwortung hat sich Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag ebenfalls mit einem Antrag (BT-Drs. 19/6417) ausgesprochen.
Bei der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie spielen die niedergelassene Ärzteschaft wie auch die Psychotherapeuten eine herausragende Rolle. Wie kann die Politik helfen, damit der Beruf des niedergelassenen Arztes bzw. der niedergelassenen Ärztin mehr Wertschätzung erfährt?
Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte wie auch die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben bei der Bewältigung der Pandemie eine hervorragende Arbeit geleistet. Wir sehen unsere Aufgabe darin, die politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Ärztinnen und Ärzte gern ihrem Beruf nachgehen können. Dazu gehört z. B. die Garantie der Therapiefreiheit. Wertschätzung der Arbeit fängt aber schon damit an, dass wir Ärztinnen und Ärzte vor überbordender Bürokratie und Berichtspflichten entlasten. Wir sind der Ansicht, dass den Ärztinnen und Ärzten wieder mehr Zeit für Ihre Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen sollte.
Die Arztzeit zur Behandlung der Patienten wird knapper. Teilweise können schon jetzt freiwerdende Arztsitze auf dem Land nicht mehr besetzt werden. Welche Maßnahmen schlägt Ihre Partei vor, um die Situation zu verbessern und den ärztlichen Nachwuchs für die Arbeit auf dem Land zu begeistern?
Wir Freie Demokraten wollen die Attraktivität des ländlichen Raums für Ärztinnen und Ärzte erhöhen. Damit auch in Zukunft ausreichend Haus- und Fachärzte für die Patientinnen und Patienten da sind, müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Wir benötigen motivierten und gut ausgebildeten medizinischen Nachwuchs und Entbürokratisierung, leistungsgerechte Vergütung und flexible Niederlassungsmöglichkeiten in der ambulanten Versorgung. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat bereits 2018 zu diesem Themenkomplex einen eigenen Antrag mit dem Titel "Regionalisierung der Bedarfsplanung, Niederlassungsfreiheit als Regelfall“ (19/6417) in den Bundestag eingebracht. Ziel dieses Antrags ist es, durch eine Regionalisierung die Niederlassungsfreiheit für Ärztinnen und Ärzte zu stärken. Gleichzeitig sollen Strukturzuschläge eingeführt werden, um mit Vergütungsanreizen die Niederlassung in ländlichen und strukturschwachen Gebieten attraktiver zu machen.
Die Psyche sei ein „vergessener Aspekt von COVID-19“, sagte die WHO-Direktorin für psychische Gesundheit, Devora Kestel. Haben Sie in Ihrer Partei einen Plan, die psychotherapeutische Versorgung dem stetig zunehmenden Bedarf anzupassen und langen Wartezeiten vorzubeugen?
Wir Freie Demokraten sind der Ansicht, dass die psychischen Folgen der Pandemie von der Bundesregierung zu spät in den Blick genommen wurden. Wir wollen die Wartezeiten auf einen Therapieplatz reduzieren, den Ausbau von Therapieplätzen fördern, Prävention und Aufklärung stärken sowie die Ausbildung der psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weiterentwickeln. Die Anzahl der Kassensitze für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wollen wir deutlich erhöhen. Ebenso wollen wir mehr Studienplätze für Psychologie und Psychotherapie schaffen. Schulpsychologische Beratungsangebote wollen wir ausbauen.
Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat mit dem Antrag "Zeitnahe psychotherapeutische Versorgung während der COVID-19-Pandemie sicherstellen" (BT-Drs. 19/19416) bereits im Mai 2020 Maßnahmen gefordert, um den Zugang zu erleichtern und Wartezeiten zu verkürzen.