Deutsche Kinderhilfe - Die Kindervertretung e. V.

Die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz ist in der 19. Legislaturperiode gescheitert. Welche Schritte werden Sie unternehmen, um einen Konsens zu erreichen?

Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestagt hat sich an den Gesprächen über eine Grundgesetzänderung zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz konstruktiv beteiligt und einen eigenen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht (vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Artikel 6“ BT-Drs.-19/28440). Wir erkennen an, dass sich in den mehr als siebzig Jahren seit Inkrafttreten des Grundgesetzes unsere Perspektive auf Kinder erheblich verändert hat. Diese Entwicklung sollte auch vom Grundgesetz selbst nachvollzogen werden. Für uns ist dabei wichtig, dass sich der Staat niemals als stiller Miterzieher in die Familie einmischen darf, indem er die „richtige“ Erziehung durchsetzt, sondern nur dann eingreift, wenn das Kindeswohl objektiv in Gefahr ist. Eine Neuregelung sollte Kinder als Grundrechtsträger ins Zentrum stellen und nicht nur den staatlichen Schutzauftrag und eine Pflicht zur Förderung über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus noch einmal einseitig betonen. Zudem sollte das Kindeswohl bei allen staatlichen Entscheidungen, die es unmittelbar betrifft, „besonders“ berücksichtigt werden. Wichtig ist uns auch, dass Kinder in Verfahren, die sie selbst betreffen, entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife angehört werden müssen. Schließlich sollte im Zuge einer Grundgesetzänderung auch das Diskriminierungsverbot „uneheliche[r] Kinder“ in Artikel 6 Absatz 5 Grundgesetz zeitgemäß angepasst werden, um damit die Vielfalt gelebter Familienkonstellationen und -realitäten im Grundgesetz besser abzubilden. Denn für uns Freie Demokraten ist klar, dass die Beziehung der Eltern zueinander keine Auswirkungen auf die Stellung des Kindes haben darf.

Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie schnell die Rechte von Kindern und ihre Interessen aus dem Blick geraten. Wie positionieren Sie sich zu der Forderung nach einer*m Bundeskinderbeauftragten, die*der sich als übergeordnete Stelle für die Rechte der Kinder einsetzt?

Wir Freie Demokraten wollen verhindern, dass Kinder und Jugendliche zu den Verlierern dieser Pandemie werden. Deshalb hat die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag eine Initiative eingebracht, in der sie konkrete Lernstandserhebungen und ein Chancenaufholprogramm fordert (vgl. „Chancen-Aufholprogramm: Lernrückstände erheben, Corona-Nachteile für Kinder und Jugendliche verhindern“ BT-Drs.-19/27808). Dabei geht es nicht nur um Unterrichtsstoff, sondern auch um die Entwicklung von Sprache und Persönlichkeit. Um die Corona-Defizite auszugleichen brauchen wir vor allem langfristige Lösungen und Konzepte. Dazu sollen die Lernrückstände und Kompetenzverluste verlässlich und systematisch erhoben werden. Mit diesem Wissen wollen wir ein Chancen-Aufholprogramm aufsetzen, das Schülerinnen und Schüler bestmöglich fördert.

Wir wollen, dass in Bildungseinrichtungen zusätzliches psychologisches und pädagogisches Personal digital und physisch sowie während und nach der Corona-Pandemie zur Verfügung steht, um negative Folgen der Corona-Krise zu erkennen und professionell aufzuarbeiten (vgl. „Hilfeplan für die physische und psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen“ BT-Drs.-19/27810).

Um die Zukunftschancen junger Menschen nicht noch mehr aufs Spiel zu setzen, gilt es nun unmittelbar dafür zu sorgen, dass es nicht erneut zu allgemeinen Schulschließungen kommt. Der Bund und die Länder müssen fortan garantieren, dass der Unterricht wieder flächendeckend stattfindet. Die kurzfristige Ausstattung aller Klassenräume mit wirksamen Luftfilteranlagen ist dafür dringend notwendig. Etwaige bürokratische Hürden bei der Beantragung von Fördermitteln müssen abgebaut werden, damit die Mittel zeitnah bei allen Schulen ankommen.

Sexueller Missbrauch von Kindern ist neu, mit einer Strafandrohung von mind. 1 Jahr, zu einem Verbrechen, einem besonders schweren Rechtsbruch geworden. Schwere und schwerste Gewalt gegen Kinder wird dagegen nur Misshandlung genannt und ist nur ein Vergehen. Welchen Nachbesserungsbedarf sehen Sie?

Wir wollen Kindesmissbrauch - gleich ob in der digitalen oder der "realen" Welt - effektiv bekämpfen und setzen hierbei verstärkt auf präventive Maßnahmen. Unser oberstes Ziel ist es, Kindesmissbrauch bereits im Ansatz zu verhindern und solche Taten gar nicht erst geschehen zu lassen. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat hierzu jüngst ein umfassendes Positionspapier mit konkreten Präventionsmaßnahmen erarbeitet (vgl. „Präventive Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch fördern“ Beschluss der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag vom 27.10.2020). Wir wollen u.a. eine bessere sachliche und personelle Stärkung der Jugendämter, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden - gerade auch im IT-Bereich, um auch in der digitalen Welt effektiv gegen Kindesmissbrauch vorgehen zu können. So dauert mangels IT-Fachkräften die Auswertung digitaler Beweismittel häufig viel zu lange. Dringend erforderlich sind aber auch spezielle Fortbildungsangebote für die in diesem Bereich tätigen Beschäftigten in Jugendämtern, Polizei und vor allem der Justiz, aber auch im Bereich der frühkindlichen Bildung, der Schule und im Sport, um Fälle von Kindesmissbrauch bereits im Ansatz erkennen und verhindern zu können.

Bei häuslicher Gewalt geraten Kinder häufig aus dem Blick, obwohl das Erleben von Gewalt negative Auswirkungen auf sie hat. Laut Istanbul-Konvention sind die Rechte betroffener Kinder sicherzustellen. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie betroffene Kinder besser schützen und unterstützen?

Wir Freie Demokraten fordern, dass die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt schnell, umfassend und wirksam umgesetzt wird. Bund und Länder müssen hier intensiver zusammenarbeiten. Gerade während der Corona-Pandemie haben wir einen besorgniserregenden Anstieg von Fällen häuslicher Gewalt und die Verlagerung von Straftaten in den digitalen Raum erlebt. Die Behörden müssen daher ihre Anstrengungen intensivieren, um insbesondere Frauen und Kinder besser zu schützen. Wir wollen Betroffenen anzeigeunabhängig, kostenlos und anonym die Spurensicherung bei sexueller oder sexualisierter Gewalt ermöglichen. Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei Polizei und Justiz müssen nach gemeinsamen Standards aus- und weitergebildet werden. Wir setzen uns für einen bedarfsgerechten Ausbau von Frauenhausplätzen, eine bundesweit einheitliche Finanzierung sowie ein nationales Online-Register ein. Außerdem wollen wir eine besser ausgebaute und institutionalisierte präventive und sowie repressive Täter- und Täterinnenarbeit. 

Wir fordern zudem, der Bekämpfung von Gewalt im Internet Priorität einzuräumen. Ergänzend zu spezialisierten Kräften in Polizei und Justiz sowie Schwerpunktstaatsanwaltschaften sollen in allen Bundesländern elektronische Verfahren zur Stellung von Strafanzeigen, die auch anonyme Anzeigen sowie Anzeigen von Nichtregierungsorganisationen zulassen, eingeführt werden und über Zentralstellen laufen. Wir wollen die Opfer von Gewalt im Internet und von Hasskriminalität in die Lage versetzen, sich zu wehren, indem sie einen Auskunftsanspruch gegen Plattformen und Internetprovider erhalten. Mit Medienbildung bei Kindern und Jugendlichen sowie Weiterbildungen und Schulungen für Polizei und Justiz möchten wir Betroffene besser unterstützen.

Finden Sie das „Corona-Aufholpaket“ ausreichend, um pandemiebedingte Lernrückstände aller Schüler*innen, auch jener, die individuelle Förderung benötigen oder einen besonderen Förderbedarf haben, aufzuholen? Falls nicht, mit welchen Maßnahmen wollen Sie diese Schüler*innen unterstützen?

Angesichts der Auswirkungen des Schul- und Teilhabe-Lockdowns für Kinder und Jugendliche, können die im sog. „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche" zur Verfügung gestellten Gelder des Bundes nur ein Anfang sein. Insgesamt ist das Paket zu klein und nicht zielgenau. Zur Bewältigung der aufgrund von Schulschließungen entstandenen Herausforderungen setzen wir Freie Demokraten uns für folgende Maßnahmen ein: 

1) Um die aufgrund der Schulschließungen entstandenen Probleme zielgerichtet anzugehen, braucht es eine bundesweit angelegte wissenschaftliche Bestandsaufnahme zur psychischen und physischen Gesundheit sowie eine Erhebung der Lern- und Kompetenzstände der Schülerinnen und Schüler (vgl. BT-Drs.19/30747). 

2) Zur Bewältigung der besonderen Lage für die psychische Gesundheit von Kindern muss kurzfristig in Bildungseinrichtungen zusätzliches psychologisches und pädagogisches Personal digital und physisch sowie während und nach der Corona-Pandemie zur Verfügung stehen, um negative Folgen der Corona-Krise zu erkennen und professionell aufzuarbeiten. (vgl. BT-Drs.-19/27810).

3) Um entstandene Lernrückstände aufzuholen, schlagen wir ein Lernbuddy-Programm vor. Dabei sollen Lehramts- und Fachstudierende Schülerinnen und Schüler unterstützen, verpasste Inhalte nachzuholen (vgl. BT-Drs.-19/26880). Außerdem brauchen Schülerinnen und Schülern unkomplizierte Wege, das Schuljahr zu wiederholen, ohne dass dies auf die Verweildauer insbesondere in der gymnasialen Oberstufe angerechnet wird.

Darüber hinaus braucht es aus unserer langfristige Sicht Impulse, um das Bildungssystem insgesamt zu modernisieren. Nur so ermöglichen wir, dass entstandene Lernlücken für keine Schülerin und keinen Schüler zum dauerhaften Bruch in der Bildungsbiografie werden. Dabei setzen wir uns unter anderem für einen Digitalpakt 2.0 ein, der die digitale Weiterbildung von Lehrkräften im Bereich digitaler Methodik und Didaktik zu finanziert. 

Familien mit niedrigem Einkommen und ihre Kinder wurden von der Corona-Krise am härtesten getroffen. Ihre Wahrscheinlichkeit, arm zu bleiben, stieg von 40 auf 70 % an. Die Zahl armutsgefährdeter Kinder steigt. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie dieser alarmierenden Entwicklung begegnen?

Unser Konzept gegen Kinderarmut ist das Kinderchancengeld. Es besteht aus einem Grundbetrag, einem Flexibetrag und einem nichtmateriellem Chancenpaket. Die Angebote für bessere Chancen, Bildung und Teilhabe werden ausgeweitet und können von Kindern und Jugendlichen selbstständig über ein Kinderchancenportal kinderleicht abgerufen werden. Das Kinderchancengeld ist einfach, digital und ermöglicht echte Aufstiegschancen.

Die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes wollen wir deutlich erhöhen und die Verfahren entbürokratisieren sowie digitalisieren. Wir setzen uns ebenso sehr dafür ein, Initiativen in Form von Aufstiegspatenschaften einzubinden, um Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern zu helfen, den eigenen Weg zu beruflichen Bildungsabschlüssen oder an die Hochschule zu gehen. Durch die Beratung und Unterstützung für die eigenen Lebens- auf Aufstiegspläne kann vor allem Jugendlichen aus nichtakademischen Elternhäusern der Weg an die Hochschule geebnet werden.

Wie stehen Sie zu der Forderung, an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation verbindlich zu regeln, um sie vor der Entwicklung ungesunder Ernährungsgewohnheiten, ernährungsbedingter Erkrankungen und Adipositas besser zu schützen?

Wir Freie Demokraten wollen das Präventionsgesetz reformieren. Wir setzen auf Überzeugung statt Bevormundung. Wir wollen Kindern und Jugendlichen bereits in Kindergärten, Schulen und in der Ausbildung einen gesunden Lebensstil vermitteln und damit die Verhütung von Krankheiten ermöglichen. Im Sinne eines lebenslangen Gesundheitslernens sollen aber auch Erwachsene entsprechende Informationen erhalten können. Der Prävention, Krankheitsfrüherkennung und Gesundheitsförderung kommen eine wichtige Bedeutung zu, die nicht nur das Gesundheitswesen umfasst, sondern altersunabhängig die gesamte Gesellschaft.

Kinder und Jugendliche sollten gemäß UN-KRK an politischen Prozessen, die Sie betreffen, altersangemessen partizipieren können. Wie wollen Sie eine wirkungsvolle Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Bundesebene verankern? Wie sollen sie in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden?

Wir Freie Demokraten fordern eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament. Die Ausweitung des Wahlrechts war stets Zeichen des gesellschaftlichen Fortschritts und das Recht zu wählen ist der Schlüssel zur politischen Partizipation. Junge Menschen nehmen bereits in vielen Lebensbereichen Verantwortung wahr, werden aber von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Dabei sind sie diejenigen, die am längsten von politischen Entscheidungen beeinflusst werden und für uns wäre das Wahlrecht ab 16 gelebte Generationengerechtigkeit. Voraussetzung ist allerdings die politische Bildung an allen Schulformen zu verstärken. Deshalb fordern wir eine „Exzellenz-Initiative Politische Bildung“ des Bundes, die besonders wirkungsvolle Programme politischer Bildung öffentlich würdigt, finanziell fördert und zu ihrer Verbreitung ermutigt. Jede Schule soll ein dezentral selbst verantworteter Lernort sein, an dem Kinder und Jugendliche jene kritische Urteilsfähigkeit lernen, mit der sie einen Unterschied für ihre Lebenswelt machen können. Politische Bildung muss bereits im Sachunterricht der Primarstufe verankert sein. Politische Bildung steht in Zeiten der Digitalisierung, Zuwanderung und des Populismus vor der Herausforderung, Wissen und Handwerk für eine weltoffene Demokratie zu vermitteln. Dazu gehört die Bildung zu Fluchtursachen, aber auch zur Befähigung, Quellen kritisch zu hinterfragen. Unser Ziel muss sein, allen Menschen echte Medienpartizipation zu ermöglichen.

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