Lebenshilfe Bundesgeschäftsstelle Berlin

Inwieweit werden Sie die Partizipation von Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände an Gesetzgebung – Vorbereitung, Beratung und Evaluation – wie in der Behindertenrechtskonvention vorgeschrieben sicherstellen?

Die Fraktion der Freien Demokraten hat sich bereits in der jetzt endenden Wahlperiode mehrfach dafür eingesetzt, dass Menschen mit Behinderungen wie auch ihre Verbände nicht übergangen werden.  So hat die FDP-Bundestagsfraktion beispielsweise erreicht, dass es eine Öffentliche Anhörung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gibt. Vor dem Hintergrund der immensen Herausforderungen im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe sind wir Freie Demokraten zudem davon überzeugt, dass es eine Inklusions-Enquete in der kommenden Legislaturperiode braucht. In ihr sollen Abgeordnete gemeinsam mit externen Sachverständigen die aktuellen Herausforderungen im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe systematisch aufarbeiten und hieraus die entsprechend notwendigen Empfehlungen ableiten.

Welche gesetzlichen Maßnahmen halten Sie für erforderlich, um Barrierefreiheit im privaten Sektor (Gaststätten, Mobilität, Freizeit) zu befördern und welche, um die Teilhabe an der Digitalisierung von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen?

Viele Menschen denken, dass Inklusion und Barrierefreiheit ein Thema ist, dass sie nicht betrifft. Das ist ein Irrglaube. Von ihr profitieren Menschen mit Behinderungen, Familien mit Kindern, ältere Menschen und letztlich wir alle, denn Einschränkungen der Mobilität oder in der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfährt zeitweise jede und jeder Einzelne. Hier ist gesellschaftliches Umdenken und Verinnerlichung des Inklusionsgedankens wichtig. Eine freie Gesellschaft ist inklusiv. Dafür muss sie auch barrierefrei sein und zwar in allen Bereichen.

Die Freien Demokraten fordern, dass der Begriff der angemessenen Vorkehrungen in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen wird. Wir wollen, dass Private, die Dienstleistungen für die Allgemeinheit erbringen, angemessene Vorkehrungen treffen, um Barrierefreiheit sicherzustellen (vgl. „Umfassende Teilhabe und Inklusion für Deutschland“ BT-Drs.-19/24886).

Die Chancen der Digitalisierung sind immens. Für uns Freie Demokraten ist dabei klar, dass gesellschaftliche Teilhabe auch im digitalen Raum gelten muss. Bestehende rechtliche Anforderungen beispielsweise zur barrierefreien Gestaltung von Websites müssen daher konsequent umgesetzt werden. Auch die Anwendung von Apps sollte barrierefrei möglich sein. Und insbesondere für das Arbeitsleben oder im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich einer Werkstätte muss die Weiterbildung mit digitalen Kompetenzen stärker zur Anwendung kommen. Wir sprechen uns zudem für ein Recht auf Digitale Teilhabe im SGB IX aus (vgl. „Digitalen Teilhabeausweis einführen – Hürden für Menschen mit Behinderungen abbauen” BT-Drs.-19/23103).

Die Vereinsamung in den Einrichtungen der Altenpflege und der Eingliederungshilfe während der Corona-Pandemie hätte durch bessere technische Voraussetzungen für eine digitale Teilhabe sicherlich abgemildert werden können. Videotelefonie oder ein Internetzugang gehören inzwischen zum Standard in der Gesellschaft und hier darf es keine Brüche geben, wenn Menschen in besonderen Wohnformen leben. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat sich deshalb dafür eingesetzt, W-LAN zur Standardausstattung in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe und der Altenpflege zu machen (vgl. „Umfassende Teilhabe und Inklusion für Deutschland“ BT-Drs.-19/24886).

 

Was werden Sie tun, damit die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe endlich inklusiv werden und die Leistungen der Eingliederungshilfe für Minderjährige frei von der Einkommens- und Vermögensheranziehung der Eltern werden?

Das mit dem Bundesteilhabegesetz die Anrechnung von Einkommen und Vermögen deutlich verbessert und auch mit dem Angehörigenentlastungsgesetz wirksame Entlastungen erreicht wurden, können nur erste Schritte sein. Gerade die Eltern von schwerstmehrfachbehinderten Kindern müssen zukünftig besser unterstützt werden durch transparente und unbürokratische Bewilligungen von Leistungen. Eine Eigenbeteiligung kann in vielen Fällen unbillige Härten mit sich bringen, die überprüft werden müssen.

Was werden Sie tun, damit Familien mit Angehörigen mit Behinderung künftig über eine Lohnersatzleistung mehr Entlastung in schwierigen Lebensphasen erfahren und über niedrigschwellige alltagspraktische Familienentlastung ihre Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert wird?

Die in der Corona-Pandemie zur Verfügung stehenden Leistungen wie das ausgeweitete Kinderkrankengeld wirken zu zögerlich, da der Anspruch auch für Eltern von erwachsenen behinderten Kindern lange Zeit einerseits unklar und außerdem bis heute zu wenig bekannt ist. Und auch die viel zu spät beschlossene Assistenz im Krankenhaus weist noch Lücken auf, insbesondere für die Familien, die keine Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen. 
Weiterer Handlungsbedarf besteht, da Beschäftigte im Budget für Arbeit keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder andere Leistungen nach dem SGB III haben. Die Budgetnehmer, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sollten daher die Option haben, in die Arbeitslosenversicherung einbezogen zu werden. Die aktuelle Krise zeigt, dass mit dem fehlenden Versicherungsschutz ansonsten erhebliche Nachteile verbunden sein können. 

Darüber hinaus fordern wir den Ausbau von Kurzzeitpflegeplätzen. Denn pflegende Angehörige sind eine tragende Säule der pflegerischen Versorgung in unserem Land. Sie benötigen dringend mehr Unterstützung und niedrigschwellige Beratungsangebote. Kurzzeitpflegeplätze sollten über ein Online-Register einsehbar sein. Auch in der häuslichen Versorgung kann mit digitalen Anwendungen und Telepflege eine Entlastung geschaffen werden. Gerade in ländlichen Gebieten könnten wir dadurch eine gute Versorgung im gewohnten Umfeld länger möglich machen.

Welche Maßnahmen wollen Sie treffen, damit künftig Menschen mit Behinderung von ihrem Entgelt der WfbM leben können und mehr Wahlmöglichkeiten für einen Arbeitsplatz außerhalb der WfbM entstehen?

Das Recht auf Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben ist heute Konsens und wichtig für die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft. Das Selbstverständnis von Menschen mit Behinderungen insgesamt und auch am Arbeitsmarkt hat sich grundlegend gewandelt. Einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu haben und für sich selbst sorgen zu können, ist für viele Menschen mit Behinderungen heute ein selbstverständlicher Wunsch. Viele Menschen mit einer schweren Behinderung sind gut ausgebildet und für den Arbeitsmarkt unverzichtbar. Arbeitgeber müssen vorhandene Fördermöglichkeiten besser nutzen und sollten mutig und mit Weitsicht vorangehen. Das gilt auch für den Übergang von einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt. Es sind unbürokratische Lösungen und stärkere Anreize für den Arbeitgeber notwendig, z.B. mit dem Budget für Arbeit. Auch sprechen wir uns für eine Genehmigungsfiktion von vier Wochen für Anträge bei den Integrationsämtern aus, was bessere Planungssicherheit für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber bedeuten würde. Darüber hinaus ist das Werkstattsystem ein wichtiger Bestandteil für die Teilhabe am Arbeitsleben. Viele Menschen arbeiten gerne dort und wir wollen die Entlohnung und die sonstigen Unterstützungsleistungen dort neu gestalten, um den berechtigten Wünschen und Situationen der Beschäftigten besser zu entsprechen (vgl. „Menschenwürdige und inklusive Arbeitswelt voranbringen” BT-Drs.- 9/22474).

Werden Sie sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung in gemeinschaftlichen Wohnformen künftig auch die Regelbedarfsstufe 1 erhalten?

Menschen mit Behinderung in gemeinschaftlichen Wohnformen werden aktuell der Regelbedarfsstufe 2 zugeordnet. Das ist nicht gerechtfertigt, da die in gemeinsamen Haushalten in der Regel möglichen Einsparungen hier nicht angenommen werden können. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat deshalb in der zu Ende gehenden Wahlperiode einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Zuordnung in die Regelbedarfsstufe 1 vorsah (vgl.  „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ BT-Drs.-19/23938).

Werden Sie sich einerseits für die Aufhebung der Sonderregelung des § 43a SGB XI und damit für die Gleichbehandlung der Menschen mit Behinderung durch die Pflegeversicherung und andererseits gegen eine Verkürzung der flexibel stundenweise einsetzbaren Verhinderungspflege einsetzen?

Für die betroffenen Menschen mit Behinderung darf es keine Rolle spielen, ob sie im Rechtskreis der Pflegeversicherung, der Hilfe zur Pflege oder von der Eingliederungshilfe Leistungen beziehen. Sobald ein Bedarf festgestellt wurde, müssen die Leistungen unbürokratisch und tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Ob der § 43a SGB XI hierbei hinderlich i.S. von Beschränkungen von Leistungen oder vorteilhaft i.S. der Leistungsgewährung „aus einer Hand“ ist, sollte in der kommenden Wahlperiode erneut geprüft werden. 
Als Freie Demokraten fordern, dass alle finanziellen Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege unbürokratisch zusammengeführt werden. So kann jeder Mensch mit Pflegebedarf seine Versorgung individuell planen und dabei auch die Menschen in seinem Umfeld miteinbeziehen (vgl. „Gute Rahmenbedingungen in der Kurzzeitpflege verwirklichen“ BT-Drs.-19/16039).
 

Wie wollen Sie sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung und Migrations- oder Fluchthintergrund, die für Sie erforderliche Sprachmittlung bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen finanziert bekommen?

Als Rechtsstaats- und Bürgerrechtspartei ist es für die Freien Demokraten selbstverständlich, dass zur Anspruchsprüfung und zur Inanspruchnahme festgestellter Bedarfe der Teilhabe und anderer Sozialleistungen eine Sprachmittlung und Gebärdensprachdolmetschung zur Verfügung stehen muss, sofern sie nicht anderweitig gewährleistet werden kann. 

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