Antragsbuch für den 76. Ordentlichen Bundesparteitag

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Die Freiheit, zu irren – und das Recht, es zu sagen

Die Freiheit, zu irren – und das Recht, es zu sagen

Die Meinungsfreiheit ist kein beliebiges Bürgerrecht unter vielen – sie ist das Fundament jeder freien und offenen Gesellschaft. Sie erlaubt nicht nur die Artikulation individueller Gedanken, sondern schafft auch den Raum für gesellschaftlichen Fortschritt durch öffentliche Debatte, Widerspruch und Kritik. Um es mit den Worten von John Stuart Mill zu sagen. „Wäre es nicht erlaubt gewesen, sogar das System Newtons in Zweifel zu ziehen, so würde die Menschheit sich seiner Wahrheit nicht so sicher fühlen, wie sie heute tun darf. Unsere gesichertsten Überzeugungen haben keine verlässlichere Schutzwache als eine ständige Einladung an die ganze Welt, sie als unbegründet zu erweisen.“

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist nicht nur abstrakt in Art. 5 Abs. 1 1. Alt. GG normiert, sondern wird durch eine lebendige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeformt und so als wehrhafte Grundrechtsposition ausgestaltet. „Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205])“. Die Meinungsfreiheit ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit.

Wer die freie Rede einschränkt – sei es aus politischer Fürsorge, moralischer Empörung oder zur vermeintlichen Wahrung der öffentlichen Ordnung – überschreitet eine gefährliche Schwelle: Die Grenze zwischen freier Debatte und gelenkter Kommunikation ist oft schmal. Sobald bestimmte Ansichten staatlich privilegiert oder andere systematisch unterdrückt werden, verwandelt sich das Gemeinwesen von einer offenen in eine gelenkte Gesellschaft. Die Freiheit, sich zu äußern, ist dann nicht mehr Ausdruck persönlicher Autonomie, sondern wird zum Gnadenrecht, das vom Zeitgeist oder der politischen Mehrheitsmeinung abhängig ist.

Die Meinungsfreiheit in Deutschland steht dabei in der Wahrnehmung vieler Bürgerinnen und Bürger zunehmend unter Druck: Seit 2010 erleben wir eine aus liberaler Perspektive besorgniserregende Erosion von Zustimmungswerten zur Meinungsfreiheit. So haben mittlerweile etwas weniger als 50 Prozent der Deutschen das Gefühl, dass sie mit der freien Meinungsäußerung vorsichtig sein müssen. Für uns als Freie Demokraten ist klar: Dieser Zustand ist vollkommen inakzeptabel. Denn: Freiheit ohne Meinungsfreiheit bleibt eine leere Hülle.

In der jüngsten Vergangenheit sind verstärkt gesetzgeberische Tendenzen zu beobachten, welche die Verantwortung für die Sicherung oder Begrenzung von Meinungsfreiheit auf private Akteure verlagern. Anstatt die öffentliche Debatte durch Vertrauen in die Urteilskraft freier Bürger zu stärken, wird der Diskursraum daneben zunehmend durch regulatorische Eingriffe vorstrukturiert. Dabei entstehen gefährliche Asymmetrien: Wenn bestimmte Gruppen – etwas politische Entscheidungsträger – durch besondere Schutzvorschriften wie § 188 rechtlich privilegiert werden, wird das Prinzip gleichberechtigter Rede ausgehöhlt.

Meinungsfreiheit darf nicht zu einem fragilen Gut verkommen, das nur unter Bedingungen und Sonderregeln gilt. Greift der Staat in den grundrechtlich geschützten Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein, so ist dieser stets in der Rechtfertigungspflicht. Es ist Zeit für einen Kurswechsel: Weg von der vorsorglichen Regulierung des Sagbaren, hin zu einer freiheitlichen Ordnung, die auch die Zumutungen der Freiheit aushält. Wir wollen die Voraussetzungen für offenen Diskurs wiederherstellen – durch rechtliche Gleichbehandlung, klare Regeln und einer Rückbesinnung auf das Vertrauen in den freien Bürger.

Konkret fordern wir daher:

  • Den § 188 wollen wir abschaffen. Kritik an Politikern ist nicht schützenswerter als Kritik an normalen Bürgern. Es gibt nur eine Meinungsfreiheit – oder eben keine.
  • Das Strafrecht muss bei schwerwiegenden Rechtsgutsverletzungen greifen – also insbesondere bei der Androhung von körperlicher Gewalt und zum Schutz des Eigentums. § 185 als Ehrschutz betreffende Strafnorm stellt aus unserer Sicht eine verbale Kränkung, aber keine schwerwiegende Rechtsgutsverletzung dar. § 185 StGB wollen wir deswegen abschaffen. Weiterhin ist es möglich, zivilrechtliche Wege bei Beleidigungen, beispielsweise über Unterlassungs- und Schadensersatzklagen, auf eigenes Risiko hin anzustreben.
  • Auf europäischer Ebene setzen wir uns für die Abschaffung vom Digital Services Act (DSA) in seiner jetzigen Form ein. Die Regelungen setzen Plattformen wie Facebook und Instagram unter Druck, Inhalte vorsorglich zu löschen, um empfindlichen Bußgeldern zu entgehen. Damit entsteht in diesem Bereich faktisch ein System privater Zensur. Rechtswidrig darf das Handeln von privaten Unternehmen jedoch nur dann sein, wenn sie sich über konkrete richterliche oder behördliche Anordnungen hinwegsetzen. Zwar verfolgt der DSA das hehre Ziel, Sicherheit und Transparenz im Netz zu stärken – tatsächlich entsteht dadurch ein Zustand, in dem Plattformen aus vorauseilendem Gehorsam handeln und nicht aus rechtlicher Notwendigkeit.
  • Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verlagert die Verantwortung für Meinungsäußerungen auf private Plattformen. Das NetzDG in seiner jetzigen Form wollen wir deswegen abschaffen. Zukünftig darf es keine verpflichtende Löschung durch Plattformen ohne richterliche Prüfung geben.
  • Staatliches Handeln im Bereich der Informationspolitik muss sich strikt an der Neutralitätspflicht orientieren. Staatliche Einwirkung auf Debattenräume – sei es durch Förderung sogenannter „Faktenchecker“, durch indirekte Einflussnahme auf Plattformen oder durch koordinierte Kommunikationskampagnen – lehnen wir ab. Das Ziel von Meinungsvielfalt und einer diversen Debattenkultur wird durch eine vielfältige und unabhängige Medienlandschaft erreicht.
  • Die Einrichtung oder Förderung von Meldestellen, die Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sammeln, wollen wir einstellen, denn Polizei und Staatsanwaltschaft sind im Rechtsstaat die einzig relevanten Meldestellen. Auch die staatliche Förderung von Organisationen und NGOs, die sich mit öffentlichen Geldern quersubventioniert am öffentlichen Diskurs beteiligen, ist eine Verletzung der Neutralitätspflicht des Staates und einzustellen. Ziel muss sein, die Eigenverantwortung der Bürger zu stärken, statt einen den Meinungskorridor innerhalb des Verfassungsbogens weiter einzuengen und von oben zu lenken. Die staatliche Neutralitätspflicht bezieht sich im Sinne der wehrhaften Demokratie nicht auf eindeutig extremistische Bestrebungen.

Begründung:

Erfolgt mündlich.

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