Antragsbuch für den 75. Ordentlichen Bundesparteitag

BFA Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft

„Nie Wieder!“ – Maßnahmenkatalog gegen Antisemitismus

„Nie Wieder!“ – Maßnahmenkatalog gegen Antisemitismus

"Den Antisemitismus entschlossen bekämpfen!“, so lautet der Beschluss des 70. Ord. Bundesparteitags der FDP, Berlin, vom 26. bis 28. April 2019. Dort heißt es: „Wir Freie Demokraten sind der Überzeugung, dass der Kampf gegen Antisemitismus eine gesamtgesellschaftliche, aber im Alltag konkrete Aufgabe ist.“ Konkrete Aufgaben verlangen konkrete Maßnahmen. Daher legen wir Freie Demokraten einen Maßnahmenkatalog gegen Antisemitismus und für die Förderung jüdischen Lebens vor.

1. Bekämpfung von Antisemitismus

Zahlreiche antisemitische Vorfälle haben gezeigt, dass Antisemitismus häufig mit einem Gewaltpotential einhergeht und sich Judenhass sowohl in rechten und linken als auch in muslimischen Gruppierungen wiederfinden lässt. Die Sorgen und Bedürfnisse von Jüdinnen und Juden müssen ernst genommen und alle Formen des Antisemitismus gleichermaßen entschieden bekämpft werden.

Rechtsstaat


Antisemitischen Bestrebungen muss ein starker Rechtsstaat entgegentreten.

  • Die längst überfällige Einrichtung eines Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung wird begrüßt.
  • Die Statistik Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) des Bundeskriminalamts (BKA) muss die unterschiedlichen Motivlagen antisemitischer Straftaten (völkisch-rassistisch, islamistisch, israelbezogen etc.) realitätsgerecht erfassen. Polizeianwärter und -beamte müssen in der Erkennung und im Umgang mit antisemitischen Straftaten zielgerichtet geschult werden.
  • Die Methodik zur Erfassung antisemitischer Straftaten und Vorfälle muss präzisiert und differenziert werden. Die Förderung und flächendeckende Ausweitung von Projekten wie der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) ist sinnvoll. Mithilfe der flächendeckenden Ausweitung solcher Projekte lässt sich herausfinden, wo in der Gesellschaft Antisemitismus vorkommt. Die Unterscheidung der verschiedenen Ausprägungen antisemitischer Straftaten soll sich in dem Meldesystem widerspiegeln.
  • Die Bekämpfung antisemitischer Kriminalität muss forcierter angegangen werden - auch im digitalen Bereich. Zudem brauchen die Bundesländer einen einheitlichen Standard zum Schutz jüdischer Einrichtungen.
  • Straftaten wie Nötigung, Sachbeschädigung, Beleidigung und einfache Körperverletzung dürfen nicht verharmlost werden.
  • In der Wirtschaft haben antisemitische und israelfeindliche Geschäftspraktiken, wie sie etwa im Luftreiseverkehr vorkommen, wenn Israelis die Beförderung verweigert wird, keinen Platz.

Extremismus

Neben dem Antisemitismus völkisch-rassistischer Prägung nehmen auch die Ressentiments in der gesellschaftlichen Mitte zu. Dazu kommt, dass durch Zuwanderung von Menschen, die aufgrund der antiisraelischen Politik ihre Herkunftsländer antisemitische Einstellungen vertreten, die Verbreitung solchen Gedankenguts auch in Deutschland zunimmt.
  • Es ist Aufgabe der Politik, junge Menschen, die in Gefahr stehen, in extremistische Milieus abzurutschen, besser in die Gesellschaft zu (re-)integrieren. Entsprechende Beratungsstellen, wie es sie schon in manchen Bundesländern gibt, sind in allen Bundesländern einzurichten und entsprechend finanziell auszustatten.
  • Wir setzen uns für eine kompetente muslimische Anstaltsseelsorge ein.
  • Lehrkräfte und die zuständigen Behörden sind zu ermutigen und darin zu bestärken, entsprechende gefährdete Jugendliche zu erkennen und die genannten Beratungsstellen zu informieren.

Migration und Antisemitismus

  • Wir fordern Zusammenkünfte von Geflüchteten und jüdischen Menschen durch Integrationskurse zu fördern, um Vorurteile ab- und gegenseitiges Verständnis aufzubauen.
  • Islamverbände und Moscheegemeinden fordern wir auf, gegen Antisemitismus insbesondere bei Jugendlichen vorzugehen. Liberale Muslime und Islamverbände sollen stärker unterstützt und mit ihnen ein Dialog geführt werden. Die Mitwirkung von fundamentalistischen Islamverbänden in Gremien wie der Islamkonferenz muss beendet werden.
  • Alle staatlichen Stellen sind gehalten, nur mit Einzelpersonen und Gruppen zusammenzuarbeiten, welche die ausreichende Gewähr bieten, dass sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Es entspricht liberaler Grundüberzeugung, dass Imame, die Judenhass predigen, Moscheegemeinden, die das zulassen, und Verbände, die das stillschweigend akzeptieren, hier weder willkommen noch geduldet sind.
  • Bei Zugewanderten plädieren wir für eine Null-Toleranz-Grenze bei antisemitischen Straftaten. Das Aufenthaltsgesetz und aufenthaltsrechtliche Maßnahmen sind konsequent anzuwenden. Antisemitische Straftaten sind ein Ausschlussgrund für die Einbürgerung.

Israelbezogener Antisemitismus

Antizionismus ist eine Form des Antisemitismus. Wir nehmen israelbezogenen Antisemitismus als Bedrohung ernst und begrüßen den Bundestags-Beschluss zur Verurteilung der BDS-Bewegung. Dieser muss konsequent umgesetzt werden.
  • Darauf aufbauend fordern wir die konsequente Übernahme und Anwendung der lHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus auf der Ebene staatlicher und nichtstaatlicher Stellen.
  • Allen Gruppierungen des organisierten Antisemitismus muss mit den Mitteln des Rechtsstaats begegnet werden. Dies gilt auch für die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions [dt. „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“]), welche zum Boykott des Staates Israel aufruft. Der Staat darf die BDS-Bewegung weder direkt noch indirekt fördern. Folglich sind auch Vereinen, die der Bewegung nahestehen, keine Fördermittel zu gewähren.

Kunst- und Kulturbetrieb

Die Staatsministerin für Kultur und Medien sollte die antisemitischen Vorfälle auf der Ruhrtriennale, der Konferenz „Hijacking Memory“ im Haus der Kulturen der Welt und der documenta15 zum Anlass nehmen, um die Aufarbeitung und Prävention von Antisemitismus in Kunst und Kultur zur Priorität zu machen. Die Kunstfreiheit ist ein hohes Gut. Dennoch darf antisemitische Kunst nicht vom Staat gefördert werden.
  • Kulturorganisationen, die als Institutionen Nachfolger von Organisationen aus dem Nationalsozialismus oder der ehemaligen DDR sind, sollen die antisemitische beziehungsweise antizionistische Ideologie ihrer Vorgänger aufarbeiten.
  • Institutionen und Projekte, die im Bereich der kulturellen Bildung gefördert werden, sollen einer Evaluierung unterzogen werden. Dabei geht es vor allem um die Mitgestaltung von Bildung und Gesellschaft durch das Judentum.

Zivilgesellschaft

Die Grundlage für eine gegen Antisemitismus wehrhafte Gesellschaft sind die einzelnen Bürgerinnen und Bürger und die Zivilgesellschaft. Es ist besonders begrüßenswert, dass kulturelle, sportliche und musikalische Verbände und sonstige Vereine antisemitischem Verhalten entgegentreten – auch in der eigenen Mitgliedschaft – und bei Vorfällen konsequent durchgreifen. Dieses Engagement soll deshalb gefördert werden.

Im Bildungssystem

Antisemitismus darf an Schulen, Hochschulen und auch im „Lebenslangen Lernen“ keinen Platz haben. Dies muss Bestandteil der Lehrpläne an Schulen sein. Ebenso gilt dies für Prävention gegen Antisemitismus. Darüber hinaus ist es wichtig, der Allgemeinheit Informationsquellen zum Erkennen antisemitischer Bestrebungen im Internet und offline zur Verfügung zu stellen.
  • Ein besonderes Augenmerk gilt den Hochschulen. Antisemitische Vorurteile in studentischen Selbstverwaltungsgremien und vor allem in studentischen Verbindungen sind keine Seltenheit. Sie äußern sich zuweilen in der offenen Unterstützung von israelbezogenem Antisemitismus. Hier gilt es, nicht nur an die Courage engagierter Ehrenamtlicher in studentischen Verbindungen und in der Hochschulpolitik zu appellieren, sich solchen Bestrebungen entgegenzustellen, sondern auch an die Hochschulleitungen selbst, bei antisemitischen Verhaltensweisen strikt einzuschreiten. Hochschulen dürfen kein Rückzugsort für BDS und andere Formen des organisierten Antisemitismus sein.

2. Erinnerungs- und Gedenkkultur

Die Erinnerungskultur in Deutschland darf sich nicht allein auf den Holocaust-Gedenktag beschränken.

  • Statistiken zeigen, dass junge Menschen zunehmend wenig bis kein Wissen über den Holocaust haben. Aus diesem Grund sollen Gedenkstättenfahrten in ehemalige Konzentrationslager für alle Schülerinnen und Schüler ab der 7. Jahrgangsstufe verpflichtend durchgeführt werden. Jede Gedenkstättenfahrt bedarf einer angemessenen Vor- und Nachbereitung durch die Lehrkräfte. Bei Zugewanderten, die keinen schulischen Abschluss in Deutschland erworben haben, fordern wir, dies im Rahmen der Weiterbildungsangebote zur Berufsausbildung nachzuholen.
  • Jüdische Geschichte und jüdisches Leben soll facettenreicher thematisiert werden.
  • Wir setzen uns dafür ein, auch die zweite und dritte Generation der Nachkommen der Shoah-Überlebenden nachhaltig in die Erinnerungs- und Gedenkkultur einzubinden. Sie haben den Schrecken des Holocaust zwar nicht selbst erlebt, können aber dennoch über das Trauma ihrer Generation berichten und fördern somit den Dialog. Wir begrüßen daher - auch vor dem Hintergrund der immer weniger werdenden Zeitzeugen - ausdrücklich den Besuch von Schulen und Universitäten durch Angehörige der zweiten und dritten Generation und wollen dies fördern.
  • Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar soll aufgewertet werden, indem wir eine bundesweite Schweigeminute am Vorbild des israelischen Jom haScho´a einführen, in der das öffentliche Leben (inklusive Radio-/Fernsehübertragungen) kurzzeitig zum Stillstand kommt. So soll das Gedenken für alle unausweichlich sichtbar werden.

3. Förderung jüdischen Lebens

Auch über das „Festjahr zu 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ hinaus müssen Projekte zur Sichtbarmachung jüdischer Kultur, Religion und Geschichte gefördert werden.
  • Genau wie wir mit dem Besuch einer Gedenkstätte die Erinnerungskultur stärken wollen, möchten wir, dass auch das heutige jüdische Leben eine breite Sichtbarmachung in der Gesellschaft findet. Wir setzen uns dafür ein, den Besuch in einer Synagoge in die Schul-Curricula aufzunehmen.
  • Um die Religionspraxis für Jüdinnen und Juden in Deutschland zu vereinfachen, setzen wir uns für die Einführung von Ausweichterminen für jüdische Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende bei Abschlussprüfungen an jüdischen Feiertagen ein. Da das Judentum die einzige Religion mit einem dogmatischen Schreibverbot an jüdischen Feiertagen ist, werden jüdische Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende bislang vor die Wahl zwischen ihrem Abschluss und der Religionsausübung gestellt. Das ist für uns nicht akzeptabel.

Begründung:

Erfolgt mündlich.

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