FDP sieht Nominierung von der Leyens mit Skepsis

Lindner irritiert insbesondere, dass zuvor die Spitzenkandidaten im Zentrum der Europawahl standen und nach der Wahl jemand völlig anderen aus dem Hut gezaubert wird. „Man kommt sich in eine amerikanische Fernsehserie hineinversetzt vor“, moniert Lindner. Die Tatsache, dass durch Union und SPD die Bedeutung der Spitzenkandidaten erst “ultra-stark betont“ worden sei, um im Nachgang eine europapolitisch unbekannte Kandidatin zu präsentieren, beschädige das Vertrauen in die Demokratie, stellte Lindner klar. “Warum dann überhaupt eine Europawahl, wenn deren Ausgang keinen Einfluss auf die Besetzung von Spitzenposten hat?“
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe auf EU-Ebene – außerhalb ihres Ministeramtes – keinerlei Rolle gespielt oder Verantwortung getragen, stellte Lindner klar. Deswegen sei ihre Position zu vielen europäischen Themen völlig unklar. Darüber hinaus habe die Ministerin keine demokratische Legitimation in der EU. „Schließlich war sie keine Europapolitikerin. Sie hat nicht in europäischen Institutionen gearbeitet. Erst recht war sie keine Kandidatin für eines der europäischen Spitzenämter.“
FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff kritiserte im Gespräch mit NDR-Info, dass von der Leyen europapolitik „ein völlig unbeschriebenes Blatt sei. „Ich glaube, dass wenn von der Leyen keine Fehler macht, dann ist sie auch Kommissionspräsidentin. Aber wenn sie in den nächsten Wochen nicht klarmacht, wo ihre Schwerpunkte auf den verschiedenen Politikfeldern liegen und wie sie die unterschiedlichen Interessen da zusammenbinden und nach vorne bringen will, dann kann es immer noch passieren, dass sie scheitert.“
„Wegbeförderung“ von von der Leyen
Die zahlreichen Skandale, die ihr Ministerium immer wieder erschüttern, seien ebenfalls kein Nachweis für die Qualifikation zur EU-Kommissionspräsidentin. “Von der Leyen sucht gern das Weite“, kommentierte Lindner. FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer schrieb in einem Gastbeitrag für den Focus: „Von der Leyen nach diesem Leistungsnachweis gewissermaßen wegzubefördern, kann durchaus als Geringschätzung für die EU verstanden werden.“ Allerdings werde sich von der Leyen auch als Ex-Ministerin vor dem Untersuchungsausschuss zur Berater-Affäre bei der Bundeswehr verantworten müssen.
Vertrauensverlust durch EU-Konvent bekämpfen
Lindner kündigte an, dass sie sich von der liberalen Renew Europe-Fraktion im Europaparlament kritischen Fragen werde stellen müssen. „Es ist für uns wichtig zu wissen, für welche Inhalte sie steht. Ob wir wirklich eine Reform in der EU bekommen. Die muss dringend reformiert werden. Das war auch der Wille der Wähler bei der Europawahl“, betont auch Beer, die Mitglied der Renwe-Europe-Fraktion ist. Es müssten jetzt Schlussfolgerungen aus dem misslungenen Prozess gezogen werden.
Deshalb sei es notwendig, dass ein Konvent “über die innere Reform der Europäischen Union“ berate. So wie es jetzt gelaufen sei: „Spitzenkandidaten treten auf, treten ab, ganz andere Leute kommen in Ämter – das beschädigt das Vertrauen der Menschen in die Demokratie“. Lindner hofft, dass dadurch der entstandene Vertrauensverlust wieder aufgearbeitet werden könne. Beer betont: “Es muss darum gehen, das Parlament zu stärken, die Prozesse demokratischer zu machen und so Europa wieder näher an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen.“ Sie fordert eine zügige Umsetzung dieses Plans.
Vestager wäre beste Kandidatin gewesen
Den Umgang mit der liberalen Kandidatin Margrethe Vestager kritisierte der FDP-Chef scharf. Vestager sei mit dem Hinweis verhindert worden, dass sie keine alleinige Spitzenkandidatin sondern Teil eines Teams gewesen sei und jetzt komme von der Leyen. Kanzlerin Merkel habe gehörigen Anteil daran, „dass eine überzeugte Europäerin, die als Europapolitikerin bekannt war, die im Wahlkampf tätig war, dass sie nicht ins Amt kam. Frau Merkel wollte keine Liberale“, so der Vorwurf Lindners. Allerdings habe die liberale Kandidatin die Chance, Vizepräsidentin der EU-Kommission zu werden und ihre Kompetenz und Durchsetzungsstärke dort einzusetzen. „Eine starke Persönlichkeit, die für die europäische Wettbewerbspolitik, also für soziale Marktwirtschaft, wie wir sie uns vorstellen, steht.“