KUBICKI-Kolumne: Frauke Petry auf den Spuren von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für Cicero Online folgende Kolumne:

„Irgendwie kommt mir das bekannt vor“, ist ein Gedanke, der einem – wenn man ein gewisses Alter erreicht hat – beim Durchleben bestimmter Situationen des Öfteren kommt. Deswegen ist es auch nicht ungewöhnlich, dass sich dieses Gefühl bei mir einstellte, als ich erfuhr, dass Frauke Petry eine neue Partei gründet. Nun könnte man meinen, das liege daran, dass es immerhin die dritte Parteigründung ist, an der Frauke Petry in nicht einmal anderthalb Jahrzehnten beteiligt ist: zuerst die AfD, dann die „Blaue Partei“ und nun das „Team Freiheit“. Natürlich kommt es einem also irgendwie bekannt vor. Aber das meine ich in diesem Fall nicht. Auch wenn ich bei Bekanntwerden der letzten Gründung schon via Social Media fragen wollte, ob sie den Guinness-Weltrekord für möglichst viele Parteigründungen in möglichst kurzer Zeit aufstellen möchte. Ich habe dann davon abgesehen, weil Frau Petry mitunter etwas arg angefasst reagiert, was meine Person angeht – was an einer, zugegebenermaßen vielleicht etwas schroffen, sitzungsleitenden Bemerkung meinerseits liegt, als ich noch Bundestagsvizepräsident und sie fraktionslose Abgeordnete im Deutschen Bundestag war. Und so ist diese kleine Pointe bitte nur als kleine ironische Randbemerkung exklusiv für treue Kolumnenleser bei Cicero zu verstehen. Ich habe, anders als große Teile der Medien und Politik, überhaupt kein persönliches Problem mit ihr, sondern ein politisches. Dazu später mehr.

Die neue Parteigründung von Frauke Petry erinnert mich nämlich weniger an ihre vorherigen Parteigründungen, sondern vielmehr an Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Um das zu verstehen, muss man sich gedanklich in das Jahr 2013 zurückbegeben. Es ist nämlich ein doppeltes Déjà-vu, das sich hier einstellt. Damals wie heute war die FDP, der Partei, der ich seit über 50 Jahren angehöre, aus dem Deutschen Bundestag geflogen – eine Tatsache, die schon damals nicht nur FDP-Mitglieder mit Sorge erfüllte. Denn das Fehlen des parlamentarischen Arms des politischen Liberalismus im Deutschen Bundestag ist ein Befund, den man auch aus rein staatspolitischen Erwägungen heraus nicht gutheißen kann.

Westbindung, Ostpolitik, Deutsche Einheit: Jeder Meilenstein der bundesrepublikanischen Identität ist untrennbar mit der FDP verbunden. Und so ist es nicht verwunderlich, dass das Ausscheiden einer solchen Partei aus dem Deutschen Bundestag die Erbschleicher auf den Plan ruft. 2013 versuchten sich Bündnis 90/Die Grünen daran, sich als neue Kraft des Liberalismus zu inszenieren. Katrin Göring-Eckardt, seinerzeit Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, attestierte, dass der „Platz der Freiheits- und Bürgerrechtspartei“ jetzt frei sei, und sie – die Grünen – „werden diese Herausforderung annehmen“. Ihr Parteivorsitzender Özdemir ging gleich einen Schritt weiter und erklärte, dass „das Erbe des politischen Liberalismus bereits teilweise angetreten“ sei. Dass ausgerechnet die Grünen das Erbe der FDP antreten wollten war schon damals wirklich starker Tobak. Im Cicero hieß es darum etwas martialisch mit Blick auf diesen Plan über die Grünen: „Die Leichenfledderer des Liberalismus“.

Ich finde den Begriff Erbschleicher zutreffender. Denn die FDP war – was bewiesen wurde – noch lange nicht tot, sondern stand vor zwei herausragend guten Ergebnissen bei Bundestagswahlen. Deswegen ist der Begriff des Erbschleichers zutreffender. Der Erbschleicher kommt nicht nach dem Ableben, sondern schon in Erwartung desselben.

Diese letztendlich bitter enttäuschte Erwartung der Grünen aus dem Jahr 2013 hat wohl auch dafür gesorgt, dass sie nach unserem Ausscheiden in diesem Jahr keine weiteren ernsthaften Versuche unternommen haben, sich entsprechend zu positionieren. Das wäre wohl auch noch alberner gewesen als 2013. Die Grünen haben in der Corona-Zeit ihre Bürgerrechts- und Freiheitswurzeln dermaßen gründlich trocken gelegt, dass die in der Sozial- und in der Umweltpolitik ohnehin schon immer bestehende Staatsgläubigkeit inzwischen alles überlagert. Am Ende ist nahezu jeder staatliche Exzess gerechtfertigt, wenn das Ziel nur stimmt. Diese „Der Zweck heiligt jedes Mittel“-Haltung, die in den Corona-Jahren nicht nur bei den Grünen um sich griff, ist aber unvereinbar mit dem Liberalismus. Nur wer symbolpolitische Haltungsbekundungen mit Liberalität oder Fortschritt verwechselt, sieht in den Grünen noch eine nennenswerte liberale Strömung. Wahrscheinlich haben die Grünen das selbst erkannt und reisen klimagerecht auf dem Fußboden eines ICE stramm an das linke Ende des demokratischen Spektrums – und verschonen die liberale Mitte diesmal mit ihrem Werben.

Zweifellos vom anderen, vom rechten Ende, kommt nun aber Frauke Petry daher und wandelt auf den Spuren von Özdemir und Göring-Eckardt. Ihr Versuch der Erbschleicherei ist aber weitaus länger vorbereitet als der der Grünen seinerzeit. Schon zu Zeiten der Ampel ätzte sie scharf gegen die FDP und buhlte um diejenigen, die sich enttäuscht von uns abwandten. Man muss ihr insoweit ein gesundes politisches Gespür attestieren, denn die Enttäuschung weiter Teile unserer Anhängerschaft war ja nicht ohne Grund. Nicht der Bruch, sondern das Festhalten an der Ampel in ihrer damaligen Politikgestaltung hat die FDP in Umfragen in die parlamentarische Todeszone geführt – im Januar 2024 sogar erstmals auf drei Prozent.

Im Prinzip kopiert Petry nur, was die damals noch gemäßigtere AfD in ihrer Gründungsphase vor 2013 schon bei der CDU vollzog: die enttäuschten Anhänger aufsammeln, in unerbittliche Gegnerschaft zu ihrer alten Partei bringen und dann eine vermeintlich bessere Version des Originals anbieten. Weder die CDU damals noch die FDP heute kann daraus wirklich einen Vorwurf ableiten, denn solch ein Unterfangen wird nicht gewagt, ohne dass die Angegriffenen vorher schwere strategische Fehler gemacht haben. Und noch etwas hat Frauke Petry richtig beobachtet: Der Überdruss an staatlicher Regulierung ist eines der wichtigsten politischen Themen. Weswegen sie sich ganz unbescheiden gleich in die Tradition von Javier Milei stellt und seinen „Afuera“-Ruf ebenso verwendet wie seinen radikalen Freiheitsruf „¡Viva la libertad, carajo!“ (Es lebe die Freiheit, verdammt!).

Die Mitgründerin zweier dezidiert konservativer bis erzkonservativer Parteien als Gesicht einer neuen, selbsternannten disruptiven Freiheitskraft in Deutschland – da braucht man entweder besonders viel Chuzpe oder besonders viel politische Flexibilität. Bestenfalls beides. Frauke Petrys Versuch, sich als politische Sachwalterin der Freiheit in Szene zu setzen, ist nämlich nicht weniger bizarr als der von Özdemir und Göring-Eckardt zuvor. Denn wie die Grünen ist Frauke Petry ja kein unbeschriebenes Blatt, sondern hat ein schon sehr eindeutiges politisches Œuvre vorzuweisen. So endete 2014 beispielsweise ihr Hang zur Freiheit beim englischen Liedgut. Über die Bild am Sonntag ließ sie wissen, dass sie es „stört“, wenn in deutschen Familien nur noch „Happy Birthday“ gesungen wird. Folgerichtig hat der von ihr geführte Landesverband der AfD gleich mal einen „höheren Anteil deutschsprachiger Titel“ in Radio und TV gefordert. Aber das ist nur die Spitze eines Eisbergs an politischen Übergriffigkeiten, die Frauke Petry offensiv und lautstark vertrat. Eine Mutter solle etwa möglichst drei Kinder zur Welt bringen, um das „Schrumpfen des deutschen Volkes“ zu verhindern – aber idealerweise bitte in einer Mutter-Vater-Kind-Konstellation. Die Ehe für alle lehnte sie vehement und lautstark ab.

All diese politischen Meinungen kann man meinetwegen haben, aber es ist das Gegenteil von liberal, politisch zu steuernde Familienleitbilder für die Gesellschaft zu entwerfen und den Anteil am deutschen Liedgut politisch bestimmen zu wollen. Und es passt auch nicht zu ihrem selbsternannten Idol aus Argentinien. Über dessen Einzelforderungen kann man trefflich streiten, aber nicht darüber, dass er sie alle aus einem ganzheitlichen Freiheitsbegriff entwickelt. Daher wäre es durchaus interessant zu erfahren, ob Frauke Petry Mileis Haltung zur Eheschließung homosexueller Paare und zur Legalisierung von Cannabis teilt, wenn sie schon mit seinen Schlachtrufen durchs Land zieht.

Frauke Petry war noch vor wenigen Jahren Bundesvorsitzende einer Partei, deren Landesverband in Schleswig-Holstein beispielsweise Internet-Sperren für „Pornographie“ und „Magersucht“ forderte – und so kurioserweise den Trusted-Flagger-Leitfaden von Klaus Müller schon früh antizipierte. Sie gründete daraufhin eine Partei, die sie in die Tradition der CSU stellte und auch deswegen die Farbe Blau für den Parteinamen wählte. Ihr gesamtes politisches Wirken beruht auf konservativen bis nationalkonservativen Positionen. An der Außenwand ihres Büros im Sächsischen Landtag soll folgerichtig laut Spiegel ein Porträt von Otto von Bismarck gehangen haben.

Nun posiert sie mit Milei-Rufen – und das sind wirklich zwei politische Leitbilder, die schwer übereinanderzubringen sind. Es zeigt: Frauke Petry sucht nicht die Freiheit, sie sucht Repräsentationslücken im politischen Spektrum. So wie es Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt damals auch taten.

So tut man sich natürlich leicht mit ätzender Kritik an der FDP und ihrer Regierungsperformance, denn wer die eigene Haltung so biegt, kommt nie in die Verlegenheit, Kompromisse zu schließen, die die Grenzen des Zumutbaren für diese Haltung erreichen. Er kommt auch nie in die Gefahr, diese Grenzen im politischen Ringen zu überschreiten. Es ist wohl zutreffend, dass die FDP in der Ampel dieser Gefahr zum Teil erlegen ist. Aber der daraus resultierende Schmerz ist immer noch besser als der Versuch, das gesamte politische Dasein auf wiederholter politischer Erbschleicherei aufbauen zu wollen. Und da ich nicht nur Kolumnist, sondern auch stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP bin, sei mir auch der zarte Hinweis erlaubt, dass die Erbschleicherei 2025 genauso zum Scheitern verurteilt ist wie 2013.

Frauke Petry, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt eint der Denkfehler, Freiheit nur auf bestimmte Themen zu verengen. Bei den Grünen dachte man, ein bisschen Bürgerrechtspartei, und schon hat man den Platz der FDP eingenommen. Frauke Petry denkt, ihre wirtschaftsliberalen Forderungen machen ihre erzkonservative politische Vita vergessen. Wer für die Freiheit eintreten will, kann zu unterschiedlichen Bewertungen in Einzelfragen kommen – zu sehr unterschiedlichen sogar. Aber über die Frage, ob Freiheit teilbar ist, kann es keinen Dissens geben. Wirtschaftspolitische Freiheit und gesellschaftspolitische Übergriffigkeit – die von links und von rechts kommt – ergeben keine liberale Partei. Ein bisschen Freiheit ist kein liberales Konzept.

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