KUBICKI-Kolumne: Warum Widerspruch kein Kulturkampf ist

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für Cicero Online folgende Kolumne:

Nikolaus Blome ist Ressortleiter Politik bei RTL Deutschland. Zuvor war er unter anderem jeweils mehrere Jahre stellvertretender Chefredakteur bei „Bild“ und Mitglied der Chefredaktion beim „Spiegel“. Wer in drei wichtigen deutschen Medienhäusern so bedeutende Stellungen bekleidet oder bekleidet hat, darf sich zurecht als einer der bedeutendsten Journalisten im Lande fühlen. Ich erwähne das deswegen, weil darin der hauptsächliche Grund liegt, warum ich hier ein paar Worte über seine in dieser Woche beim „Spiegel“ erschienene Kolumne verlieren muss, die zumindest in den sozialen Medien einigen Wirbel verursacht hat. Den Text selbst halte ich nämlich für so selbstentlarvend und abstrus, dass man ihn ruhig kommentarlos zu den Akten hätte legen können, wenn er eben nicht von Nikolaus Blome stammen würde, sondern von einem beliebigen Internet-User, der am Abend noch einmal beschließt, seine Abrechnung mit Teilen der Gesellschaft ins Netz zu kippen.

Anlass für den mit „Der Coronastreit lässt sich nicht befrieden“ überschriebenen Beitrag ist die Entscheidung des Deutschen Bundestages, eine Enquetekommission zur Corona-Pandemie einzurichten. Eine Enquetekommission ist ein deutlich schwächeres Instrument zur Aufklärung als ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, für den ich schon länger werbe. Aber offensichtlich reicht es, um den RTL-Politikchef so richtig in Wallung zu bringen, wie schon der kurze Teaser der Kolumne deutlich macht: „Die Wortführer der damals unterlegenen Minderheit aus Impfgegnern und Coronaskeptikern wollen nicht reden. Sie wollen Rache. Keine Kommission kann das ändern.“

Unterlegene Minderheit? So spricht nur jemand, der sich im Kampf um etwas sieht. Und hier ist es vor allem der Kampf um die Deutungshoheit und das dominierende Narrativ. Ein Kampf, in dem sich Nikolaus Blome mit Verve verausgabt hat, besonders wenn es um die Ungeimpften ging. Einmal ließ er über seine Kolumne etwa wissen, dass er „um gesellschaftliche Nachteile für all jene“ ersuche, „die freiwillig auf eine Impfung verzichten“. Und gab seinem Wunsch nach sozialer Ächtung seiner Mitbürger mit altbackenem Pathos noch einmal richtig Schwung: „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“

Ein waschechter Kulturkampf also. Das passt zwar zur sorgsam von Nikolaus Blome kultivierten Pose des konservativen Journalisten, aber halt nicht zu einem aus dem 21. Jahrhundert, sondern eher aus dem 19. Jahrhundert. Aber das galt auch für die Diskussionen um Ausgangssperren, Kontrollen an den Grenzen deutscher Länder, Reiseverbote usw. Alles Begriffe, die man im Januar 2020 nur im Geschichtsbuch oder einer Dystopie verortete und die dann kurz darauf über Monate unser Leben bestimmten.

Nikolaus Blome war mit seiner Unerbittlichkeit und seiner schwarz-weißen Argumentation durchaus auf Höhe des politischen und medialen Zeitgeists. Ich gebe zu, dass ich da weniger anpassungsfähig war und dass ich medial viel dafür verprügelt wurde. Etwa weil ich die Regierung Merkel auf Abwegen von der Rechtsstaatlichkeit sah, als man in dem in keiner Weise dazu legitimierten Gremium der Ministerpräsidentenkonferenz mit harter Hand durchregierte. Oder als ich mich gegen Lauterbachs Impfpflicht wandte.

Aber bin ich deswegen „unterlegene Minderheit“? Weil ich zwar weder „Coronaskeptiker“ noch „Impfgegner“ bin, aber dezidiert kritisch gegen viele Maßnahmen und vor allem gegen die allgemeine Impfpflicht aufgetreten bin? Vielleicht darf ich daran erinnern, dass die Impfpflicht trotz Fürsprache von Gesundheitsminister, Vizekanzler und Kanzler im Deutschen Bundestag gescheitert ist. Und das, obwohl Nikolaus Blome in einer weiteren Kolumne schon 2020 für die Impfpflicht warb: „Impfpflicht! Was denn sonst?“. Dort sinnierte er über das Wort Pflicht, das „preußisch aus dem Kanon des Konservativen ragt“ und stellte fest, dass eine Impfpflicht wie eine „gesamtgesellschaftliche Fahrscheinkontrolle für Trittbrettfahrer“ wirke. Ja, der Kampf des Nikolaus Blome währt schon lange und intensiv. Und er kennt offensichtlich immer nur zwei Lager: das derjenigen, die die Maßnahmen der Regierung unterstützten, und das andere, das für ihn offensichtlich nur aus Coronaleugnern besteht. Dass man in entschiedener Opposition zu vielen Maßnahmen und der Politik stehen konnte, ohne die grundsätzliche Gefährlichkeit des Virus zu bezweifeln, negiert er. Obwohl Letzteres auf mich zutrifft, muss ich mich in der Blomeschen Lesart wohl der „Minderheit“ zuordnen, die den „Wortführern der Mehrheit“ unterlegen ist.

Als das mir wahrlich nicht wohlgesonnene Satiremagazin „extra 3“ unmittelbar nach der Abstimmung zur Impfpflicht in den sozialen Medien eine tausendfach gelikete Kachel teilte, auf der ein Bild von mir im Deutschen Bundestag mit den Worten versehen wurde „Das Letzte, was die Impfpflicht sah, bevor sie vom Tisch war“, hatte ich jedenfalls nicht den Eindruck, „unterlegen“ zu sein. Mir könnten die Rückzugsgefechte des Nikolaus Blome nicht nur deswegen egal sein, denn ich bin mit meiner Rolle während der Corona-Pandemie weitgehend im Reinen. An der Stelle, wo ich das nicht bin, habe ich das in der vergeblichen Hoffnung, Nachahmer zu finden, klar benannt und auch öffentlich um Entschuldigung gebeten: bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.

Nikolaus Blome nutzt aber den Blick zurück, um sich sogleich in eine weitere Debatte zu werfen. Das Wort Kulturkampf ist gerade sehr en vogue und führt zu einer teilweise skurrilen Meta-Diskussion, die von einigen aus ernster Sorge um den politischen Diskurs geführt wird und von anderen in der Hoffnung, bestimmte Themenfelder für die politische Diskussion zu tabuisieren. So muss man es auch verstehen, wenn Blome warnt: „Die Enquetekommission verkommt zur Bühne für jenen Kulturkampf, der vergangenen Freitag auch die Wahl von drei Verfassungsrichtern und -richterinnen blockiert hat.“ Die Botschaft ist gesetzt: Wer an der Corona-Aufarbeitung festhält, führt Kulturkampf und vergiftet damit den Diskurs. Das Thema soll für das, was Journalisten und Politiker wie Nikolaus Blome für seriös oder mittig halten, tabuisiert bleiben.

Das ist zum einen extrem lustig, denn Nikolaus Blome definiert Kulturkampf in seinem Text selbst so: „Keine Grenzen, keine Kompromisse, keine Gefangenen – das kennzeichnet Kulturkampf“. Mithin das, was er selbst in der Impf- und Coronadebatte in Reinform bis zum Exzess getrieben hat. Ob man das Chuzpe oder unverschämt nennen will, ist letztendlich Geschmackssache. Entscheidender ist, dass der Versuch, bestimmte Themen zu tabuisieren, letztlich wie ein Bumerang zurückkommen wird. Die AfD ist nicht groß geworden, weil das Flüchtlingsthema in den ersten Monaten nach 2015 von den Parteien der Mitte und den Medien besonders kontrovers geführt wurde, sondern weil es mit enormen Tabus versehen war, wie die Berichterstattung am Tag nach der berühmten Kölner Silvesternacht schonungslos offenbarte. Trump wurde das erste Mal nicht zum Präsidenten gewählt, weil seine Talking Points von den Demokraten adaptiert wurden, sondern weil sie von diesen hauptsächlich verlacht wurden. Und die AfD hat sich in der Ampel-Zeit nicht verdoppelt, weil SPD, Grüne und FDP deren Agenda übernommen hätten, sondern weil man jedes Thema, das die AfD beackerte, als politisch kontaminiert ansah und so allzu harte Regierungskritik gleich als demokratielegitimierend einsortierte. Ich bin der festen Überzeugung: Diejenigen, die vorgeben, die AfD am heftigsten zu bekämpfen, haben sie überhaupt erst so groß gemacht.

Ich will diesen Teufelskreis durchbrechen, und deswegen muss ich, so deutlich ich kann, widersprechen, wenn ein Journalist vom Range eines Nikolaus Blome so etwas verbreitet.

Darum in aller Deutlichkeit: Herr Blome, Sie irren sich. Sie irren sich mit nahezu allem, was Sie schreiben. Wenn Sie kritisieren, dass die Menschen den „Bildern aus Bergamo“ misstrauten, unterschlagen Sie, dass eben jene Bilder einen deutlich differenzierteren Hintergrund haben, als Sie es nach über fünf Jahren immer noch insinuieren. Wenn Sie behaupten, dass die „allermeisten Maßnahmen“ dazu dienten, die Fallzahlen unterhalb einer bestimmten Schwelle zu halten, vergessen Sie, dass die Ziele der Maßnahmen im Verlauf der Pandemie stillschweigend geändert wurden. Und Sie ignorieren, dass das Ziel der Ausgangssperren nicht etwa der Unterbindung von Kontakten dienen sollte – denn verboten war es auch, allein draußen zu sein –, sondern der besseren Handhabbarkeit der Kontrolle, was der Gesetzgeber in großer Offenheit auch in die Gesetzesbegründung schrieb. Sie scheren sich nicht um das teils sehr kritische Echo, das die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Maßnahmen in der Jurisprudenz erfahren hat. Denn Sie kennen in dieser Debatte offensichtlich nur Gewinner und Verlierer oder Freund und Feind. Deswegen kommen Sie auch zu der irrigen Verquickung, dass nur diejenigen, die keinen schlimmen Verlauf für sich oder andere fürchteten, nicht auf Regierungslinie waren. Eine ziemlich ungeheuerliche Anmaßung. Sie führen einen unerbittlichen Kulturkampf um das Corona-Thema und unterstellen selbigen allen, die nicht auf Ihrer Linie sind.

Wenn dieser Widerspruch wirklich Kulturkampf sein sollte, dann nehme ich ihn gerne auf mich. Aber am Ende ist es egal, wie andere die eigene Handlung labeln. Denn es ist nur die offene und ehrliche Debatte, die zur gesellschaftlichen Befriedung führen kann. Die Enquetekommission oder ein Untersuchungsausschuss ist kein Raum für gesellschaftliche Mediation, sondern einer für Aufklärung und Erkenntnis – und nur darin liegt die heilende Kraft für die Gesellschaft.

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