LINDNER/WISSING-Gastbeitrag: Deutschland braucht den digitalen Durchbruch

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und das FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Volker Wissing schrieben für „Focus Online“ heute den folgenden Gastbeitrag:

Seien wir ehrlich: Im Wettbewerb um die Spitzenpositionen für das digitale Zeitalter ist Deutschland ins Mittelfeld durchgereicht worden. Sowohl im europäischen als auch im weltweiten Vergleich schafft es Deutschland nicht über das Mittelfeld hinaus. Im „Digital Economy and Society Index“ (DESI) der Europäischen Union liegt Deutschland seit Jahren nur knapp über dem Durchschnitt. Auch in weltweiten Vergleichen der digitalen Wettbewerbsfähigkeit schafft es Deutschland nicht nach vorne. Zu den 100 größten Digitalkonzernen der Welt zählt Forbes mit der Telekom und SAP lediglich zwei deutsche Unternehmen – keines davon schafft es in die TOP 10.
 
Das ist für Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ein Problem. Unser Wohlstand, die Belastbarkeit unserer sozialen Sicherungssysteme und unsere Lebensqualität gründen sich auf eine starke Wirtschaft, auf Fortschritt und Innovation, auf Gründer- und Unternehmergeist, auf Leistungsbereitschaft und harte Arbeit. Zwar haben wir zahlreiche „Hidden Champions“ im deutschen Mittelstand, eine vielfältige und hochwertige Forschungs- und Wissenschaftslandschaft und erfolgreiche deutsche Startups. Das reicht aber offensichtlich nicht aus, um Deutschland in eine Spitzenposition bei den Spitzentechnologien des digitalen Zeitalters zu bringen. Denn eine zentrale Voraussetzung dafür sind moderne und leistungsfähige Rahmenbedingungen. Hier hat Deutschland Nachholbedarf – Europa insgesamt nicht minder: Etwa der Ausbau der Glasfaser- und 5G-Infrastruktur muss erheblich beschleunigt, das Potential der Digitalisierung für unser Bildungssystem besser genutzt und der Digitale Binnenmarkt endlich vollendet werden: Wenn wir allerdings wieder zur Weltspitze gehören wollen, benötigen wir auch echte „Durchbrüche“, von denen Tempo und Signalwirkungen für die Digitalisierung und den technologischen Fortschritt in Deutschland ausgehen.

Vier unserer Vorschläge sind:

1. Gründen wir die Deutsche Digital-Universität!
 
Zahlreiche Digitalisierungstreiber wie Apple, Facebook, Google und Co. sind im Umfeld amerikanischer Elite-Hochschulen entstanden. Auch wenn Deutschland in der Breite über eine starke und vielfältige Hochschullandschaft verfügt, so fallen insbesondere bei Vergleichen im IT- und Technologiebereich ganz oben immer die gleichen Namen: MIT, ETH, Oxford. Die letzteren beiden zeigen, dass Elite auch ein europäischer Anspruch sein kann. Wir schlagen daher vor, eine Deutsche Digital-Universität zu gründen. Nach Vorbild der ETH Zürich kann diese in Trägerschaft des Bundes als weltweit konkurrenzfähige Spitzeninstitution eingerichtet werden. Die beiden Universitäten der Bundeswehr zeigen, dass besondere Wege möglich sind. Auch eine gemeinsame Trägerschaft von Bund und Ländern wäre denkbar. Durch Forschungsverbünde mit den anderen deutschen Top-Hochschulen im MINT-Bereich wie LMU und TU München, Karlsruhe Institute of Technology, DFKI, TU Berlin oder RWTH Aachen können Synergien geschaffen und gemeinsame Zukunftsprojekte vorangetrieben werden.
 
2. Machen wir unsere Verwaltung zum Vorreiter in Virtueller Realität!
 
Der digitale Durchbruch gelingt nicht in einem analogen Staat. In unseren Behörden gilt noch häufig Bismarck vor Bits und Bytes. Wieso braucht man für eine Kfz-Zulassung noch einen Termin beim Amt? Wieso kann ein Startup nicht mit einem Klick online angemeldet werden? Wieso können Betrüger den deutschen Staat darüber täuschen, ein Gewerbe angemeldet zu haben? Vorreiter wie Estland machen vor, dass es besser geht. Unser Vorschlag: Wir schaffen echte „Virtuelle Verwaltungen“ mit rechtssicheren Signaturen: Die öffentlichen Verwaltungen in Deutschland vergeben gemeinsam Aufträge für die Forschung und Entwicklung von „Virtual Reality“ bzw. „Augmented Reality“ im Behördenwesen. Nach Vorbild der „Digitalen Modellregionen“ in Nordrhein-Westfalen wollen wir so vom Nachzügler beim E-Government zur Avantgarde beim Virtual Government werden. Schon Ende des kommenden Jahres sollen alle überhaupt noch notwendigen Amtsgänge virtuell möglich sein. Erfolgversprechende Entwickler und Startups existieren in Deutschland bereits. Von einem solchen Programm könnte ein zusätzlicher Impuls für die IT- und Startup-Szene ausgehen. Wenn der Staat dann wie jüngst in der Corona-Krise binnen kürzester Zeit massenhaft Hilfsanträge bearbeiten muss, verfügen wir über ein funktionierendes und rechtssicheres digitales Verwaltungssystem, das den Staat handlungsunfähig macht.
 
3. Schaffen wir eine Sondergründungszone der EU!
 
Unternehmensgründungen sind ein Treibstoff für Innovationen, Wohlstand und neue Beschäftigung. Die Startup- und Gründungsszene in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Aber auch hier schafft es Deutschland nicht in die TOP 5. Der Vorsprung von Silicon Valley und Co. bei Taktgebern und „Unicorns“ (Startups mit Marktwerten über einer Mrd. Dollar) wird immer größer. Drei Fragen: Warum machen wir die Chancen von Startups nicht zum europäischen Projekt? Warum nutzen wir die von einer starken Gründungsdynamik ausgehenden Impulse nicht als das neue Wachstums- und Beschäftigungsprojekt für Europa? Und warum investieren wir nicht mehr Mittel der EU in echte europäische Projekte? Wir schlagen vor, eine Sondergründungszone der EU ins Leben zu rufen: Keine Bürokratie, top Infrastruktur, beste Förderung von Spitzenforschung. Mit Vollstipendien holen wir dort die 1.000 besten Köpfe Europas und die 1.000 besten Köpfe weltweit zusammen. Viele engagierte und leistungsbereite junge Menschen, die z.B. in Hongkong nicht mehr sicher sind oder sich in den USA aktuell nicht Willkommen fühlen, können in Europa eine neue Heimat finden. Und Innovationen, Technologien und Wohlstand der Zukunft vorantreiben. Nicht einmal ein Prozent der EU-Zuschüsse aus dem Corona-Konjunkturpaket würde dieses Europäische Zukunfts- und Spitzenprojekt möglich machen. Hier liegen die Zukunftschancen gerade auch der industriell schwächer aufgestellten Regionen Europas.
 
4. Bauen wir eine Stiftung für Künstliche Intelligenz auf!

Wer in der Zukunft an der Spitze mitspielen will, muss zur Spitze bei KI werden. Sehr gute Ausgangspunkte existieren bereits, etwa mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, das seinen Hauptsitz in Kaiserslautern hat. Um diese und weitere in Deutschland vorhandene Stärken zu bündeln, Synergien zu schaffen und Anreize für die intensivere Forschung und Entwicklung einer der wohl wichtigsten Zukunftstechnologien auszubauen, schlagen wir die Gründung einer „Stiftung Künstliche Intelligenz“ vor. Bund und Länder investieren jeweils 100 Millionen Euro als Stiftungskapital, weitere 100 Millionen Euro könnten von Unternehmen und Sponsoren eingeworben werden. Die Stiftung soll gezielt in die Entwicklung konkreter KI-basierter Dienste und Technologien zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger und des Mittelstands sowie zur Modernisierung der Verwaltung investieren. Ein erster Schritt könnte dabei etwa die Entwicklung KI-gestützter Steuersoftware sein. Das Potential ist riesig: Millionen Menschen investieren jährlich enorme zeitliche Ressourcen in ihre Steuererklärungen. Mit KI könnte aus der komplizierten und nervenaufreibenden die smarte und moderne Steuererklärung werden.

Machen wir uns heute fit für den Wettbewerb um die Spitzenpositionen im digitalen Zeitalter. Für Beschäftigung, Fortschritt, Wertschöpfung und Wohlstand von morgen.

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