RÜLKE: Regierungswechsel ist ohne die FDP nicht möglich

FDP-Präsidiumsmitglied, Sprecher der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz und FDP-Spitzenkandidat zur baden-württembergischen Landtagswahl 2021 Dr. Hans-Ulrich Rülke gab dem „Badischen Tagblatt“ (Mittwochs-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Michael Brenner, Armin Broß und Dieter Giese.

Frage: Herr Rülke, Sie sind im zarten Alter von 23 Jahren 1985 in die FDP eingetreten. Was hat Sie damals dazu bewegt?

Rülke: Ich hatte damals als Student nicht vor, politisch Karriere zu machen. Ich wollte ein weltanschauliches Bekenntnis zum Liberalismus ablegen. Es hatte nichts mit dem Wechsel von sozialliberaler Koalition zu Schwarz-Gelb zu tun, sondern damit, dass mich die liberale Weltanschauung überzeugt hat, zum einen gesellschaftspolitisch:  möglichst viel Freiraum für das Individuum, zum anderen ökonomisch:  das Wettbewerbsprinzip. Diese beiden Grundpfeiler des Liberalismus sind auch die Grundpfeiler der FDP.
 
Frage: Die FDP hat es schwer, ihre angestammte Rolle als politisches Zünglein an der Waage auszuspielen. Das gilt sowohl für das Land als auch auf Bundesebene. Sie haben als frisch gekürter Spitzenkandidat das Wahlziel „Acht Prozent plus“ für die Landtagswahl im Frühjahr ausgegeben.

Rülke: Das habe ich nicht. Das sagt gelegentlich der Kollege Michael Theurer.

Frage: Und was sagen Sie dann?

Rülke: Ich will der Gnade des Herren nach oben keine Grenze setzen, also: So viele Stimmen wie möglich. Aber wir leben in Zeiten, wo die klassische Bindung der Wähler an Parteien deutlich nachgelassen hat. Es ist deshalb nicht seriös, ein gutes halbes Jahr vor der Wahl zu sagen: ich habe genau das und jenes Ziel. Es sieht aber durchaus so aus, als ob wir die Chance haben, die 8,3 Prozent von 2016 zu steigern.

Frage: Trotz der eher zurückhaltenden Zielsetzung: Sie rechnen fest mit einer Regierungsbeteiligung. Ist das das Pfeifen im Walde oder eine realistische Einschätzung? Und welche Koalitions-Konstellationen halten Sie gegenwärtig im Land für denkbar oder wünschenswert?

Rülke: Wenn Sie sich die Umfragen auf Landesebene anschauen, dann kommen wir zu dem Ergebnis, dass ein Regierungswechsel ohne die FDP nicht möglich ist. Wer Grün-Schwarz ablösen will, braucht die FDP. Ich habe ja beim Parteitag eine Koalitionsbedingung formuliert: Ohne eine Wasserstoffstrategie, die die Mobilität und damit auch den Verbrennungsmotor erfasst, aber auch den Bereich der Energieerzeugung, würde ich keinen Koalitionsvertrag unterschreiben. Und interessanterweise habe ich am Freitag dann gelesen, dass der grüne Ministerpräsident erklärt hat: Wir brauchen eine Wasserstoffstrategie für den Verbrennungsmotor, wir dürfen uns nicht auf die Elektromobilität fokussieren. Und als ich meine Frau gefragt habe, wer gerade genau das Gleiche gesagt habe, wie ich auf unserem Parteitag, sagt meine Frau: Frau Eisenmann. Das habe sie gerade im SWR-Sommerinterview gehört. Ich habe nicht den Eindruck, dass andere die Rolle der FDP bei der nächsten Regierungsbildung geringschätzen. Insofern ist es nicht das Pfeifen im Walde. Nach menschlichem Ermessen wird die FDP gebraucht, wenn man Grün-Schwarz ablösen will.

Frage: Aber dann braucht man doch gerade für die Wasserstoffstrategie die FDP nicht mehr?

Rülke: Wir haben aber das Copyright, und offensichtlich machen sich andere für uns schön.  Und das kann ja dann nur eine glückliche Hochzeit werden.

Frage: Aber welche Konstellationen wären denn mit der FDP möglich, und welche schließen Sie aus?

Rülke: Also ich schließe natürlich aus die Koalitionen mit Radikalen, also mit der AfD und den Linken. Wobei ich da schon unterscheide: Die AfD halte ich für völlig indiskutabel. Das sind teilweise Rassisten und Antisemiten und außerdem Chaoten. Das sieht man immer wieder bei Landtagsdebatten. Die sind in keiner Weise fähig, politische Verantwortung zu übernehmen. Für Koalitionen infrage kommen alle demokratischen Parteien. Da haben wir natürlich Differenzen. Die meisten Übereinstimmungen haben wir mit der CDU, zum Beispiel bei der Frage Mobilität und Fahrverbote oder bei der Bildungspolitik. Eine Deutschlandkoalition mit CDU und SPD liegt am nächsten.  Ich schließe aber auch eine Ampel nicht aus. Das ist der Unterschied zu 2016. Damals habe ich klar gesagt, dass ich keine Koalition mit Winfried Kretschmann möchte. Aber wie gesagt: Da gibt es ja eine steile Lernkurve, so hat Kretschmann schließlich auch für eine Kaufprämie beim Verbrennungsmotor plädiert. Ich kann mir durchaus vorstellen, Kretschmann dabei zu helfen, sich gegen Leute wie Verkehrsminister Winfried Hermann zu verteidigen.

Frage: Ich weiß nicht, ob er das muss, aber wir nehmen das jetzt mal so hin. Sie haben auch gleich eine sehr allgemein gefasste Koalitionsbedingung formuliert, die da heißt: Es muss liberale Politik betrieben werden können. Was bedeutet das konkret?

Rülke: Das muss man dann runterdeklinieren auf die einzelnen Politikbereiche. Wir wollen am Verbrennungsmotor festhalten, zum einen, weil er umweltfreundlich möglich ist, zum anderen weil er Arbeitsplätze in Baden-Württemberg garantiert. Die batterie-elektrische Mobilität vernichtet Arbeitsplätze. Und es wird eine Mogelpackung geschnürt: Da wird bei der batterieelektrischen Mobilität alles unter den Teppich gekehrt, was klimaschädlich ist – wie zum Beispiel die Rohstoffgewinnung. Es ist der falsche Weg.

Frage: Und bei der Bildung?

Rülke: Bei der Bildungspolitik wollen wir einen Wettbewerb, wir wollen, dass die Realschule genauso eine Daseinsberechtigung hat wie die Gemeinschaftsschule, weil wir einen Schwerpunkt auf den Bereich der beruflichen Bildung legen wollen. Insbesondere Grün-Rot hat das Bildungsziel formuliert: Möglichst viele Kinder müssen Abitur machen. Damit sendet man das Signal aus: Der Mensch beginnt erst beim Abitur. Wir brauchen aber genauso den Handwerker und Facharbeiter. Und deshalb brauchen wir eine schulische Vielgliedrigkeit und eine Gleichstellung der beruflichen Bildung beziehungsweise der dualen Ausbildung.  Was wir brauchen sind Investitionen insbesondere in die digitale Infrastruktur und nicht eine Aufblähung des Personalkörpers der Ministerien. Im Bereich der Innen- und Rechtspolitik – und da unterscheiden wir uns von der CDU – wollen wir nicht immer neue Gesetzesverschärfungen. Der starke Staat ist populär — man sieht das gerade in der Corona-Krise. Und da müssen manche immer noch eins draufsetzen, in der Hoffnung, dass sie dann gewählt werden.

Frage: Das Thema, das alle beschäftigt, heißt Corona. Die FDP hat dazu ihre eigenen Thesen, spricht sich für weitmögliche Lockerungen aus. Das kommt nicht überall gut an. Aktuell hat sich am Wochenende Parteichef Christian Lindner für   Tests bei Urlaubsrückkehrern ausgesprochen. Wie würden Sie die Marschroute Ihrer Partei im Land beschreiben?

Rülke: Wir sind ja jetzt nicht der Meinung, wir müssen lockern unabhängig vom Infektionsgeschehen. Man muss dann lockern, wenn das Infektionsgeschehen es zulässt. Und wir haben im Land niedrige Infektionszahlen, das lässt Lockerungen zu. Denn man muss ja auch immer gegenrechnen: Die Kosten von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen – die Einschränkungen von Grundrechten sind für Liberale von einem hohen Stellenwert – und die ökonomischen Kosten. Siehe Handel oder Hotel- und Gaststättengewerbe, wo Existenzen kaputtgehen. Oder auch die sozialen Kosten. Das sind Dinge, die man gegenrechnen muss. Das heißt aber nicht, dass wir auf Teufel komm raus lockern. In dem Moment, in dem wir feststellen, da ist eine Gefahr, müssen wir die Gefahr bekämpfen. Aber möglichst lokal oder regional, nicht mit einem flächendeckenden Lockdown. Und das gilt auch für diese Tests für Menschen, die aus Risikogeboten zurückkehren.

Frage: Auf eigene Rechnung?

Rülke: Natürlich. Wenn heute jemand sagt, ich will trotz Reisewarnung einen Türkeiurlaub machen, dann sag ich als Liberaler: Gut, das kannst Du machen. Aber wenn Du aus dem Risikogebiet zurückkehrst, dann solltest Du einen Test machen, um andere nicht zu gefährden. Und wer das bezahlt ist doch klar: Derjenige, der sich das Recht nimmt, in einem Risikogebiet Urlaub zu machen. Das kann man nicht auf den Steuerzahler abwälzen.

Frage: Wird die deutsche, würde die baden-württembergische Wirtschaft einen zweiten Lockdown verkraften?

Rülke: Ich glaube, nein, ich bin aber ziemlich sicher, dass es diesen zweiten Lockdown nicht geben wird, weil sich alle politischen Parteien in ihrer Corona-Politik einig sind, Infektionsherde lokal oder regional zu bekämpfen. Wenn es nach der FDP geht, gibt es keinen flächendeckenden Lockdown mehr. Es ist schon jetzt klar, dass wir schon nach dem ersten Lockdown einen massiven Wirtschaftseinbruch erleben werden. Und nach einem zweiten würde es in der Folge noch dramatischer.

Frage: Die geplante zusätzliche starke Neuverschuldung des Landes in der Folge der Corona-Krise wurde von der FDP stark kritisiert. Gibt es dazu überhaupt eine Alternative?

Rülke: Mein Eindruck ist, dass sich Grün-Schwarz darauf verständigt hat: Wir nutzen Corona als Deckmäntelchen für einen Rekordschuldenhaushalt und dann verteilen wir alle Wahlgeschenke, die in den Ministerien in den Schubladen liegen.
 
Frage Apropos Corona. Sie haben zu den Krawallen in Stuttgart in Ihrer eigenen Art Stellung bezogen, sprachen von Schwerverbrechern – haben aber auch eine klare Verbindung zwischen den Corona-Restriktionen und der wachsenden Unruhe in der Jugendszene gezogen.

Rülke: Wir haben alle das Bild von diesem Kerl gesehen, der mit beiden Beinen in einen Polizisten springt. Und da sage ich ganz klar: Das ist ein Verbrecher. Und gegen so jemanden muss mit aller Schärfe des Gesetzes vorgegangen werden. Trotzdem muss man sich die Frage stellen, was sind die Ursachen?  Da gibt es die AfD, die sagt: das sind alles Migranten, Flüchtlinge. Ich sage: Nicht integrierte Flüchtlinge sind in der Tat Teil dieses Problems. Und dann gibt es grüne Stadträte, die werfen der Polizei „Stammbaumforschung“ vor, obwohl dieses Wort nie gefallen ist, und rücken einen Polizeipräsidenten in die Nähe der Rassenideologie, weil es ihnen nicht passt, dass über den Migrationshintergrund von Tätern gesprochen wird. Und dann gibt es Professor Christian Pfeiffer, einen der renommiertesten deutschen Kriminologen, ehemaliger Minister in Niedersachsen und SPD-Mitglied, der hat gesagt, dass die Einschränkungen der Corona-Pandemie dazu beigetragen haben, dass der Aktionsradius bei jungen Menschen gesunken und das Aggressionspotenzial gestiegen ist.

Frage: Und was schließt man dann daraus?

Rülke: Man darf das Ganze nicht monokausal begründen und muss sich darüber im Klaren sein, dass die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen der Corona-Krise immer auch wirtschaftliche und soziale Kosten haben. Und die muss man gegen den Gesundheitsschutz der Bevölkerung abwägen. Und diese Abwägung muss angemessen sein. Das ist ein schwieriger Prozess. Aber es ist eben auch die falsche Schlussfolgerung, zu sagen: So lange es dieses Virus noch gibt, so lange es keinen Impfstoff gibt, so lange es auch nur einen Infizierten gibt, brauchen wir freiheitsbeschränkende Maßnahmen.

Frage: Sie haben im nächsten Jahr einen runden Geburtstag. Muss sich die Landes-FDP schon auf eine Nach-Rülke-Zeit vorbereiten?  

Rülke: Ja, ich würde der FDP durchaus raten, sich die Frage zu stellen, was in 20 Jahren sein wird.

 

 

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