TEUTEBERG-Interview: Ramelow ist nicht so harmlos und moderat, wie es häufig heißt

Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Johannes Boie, Jacques Schuster und Geli Tangermann.

Frage: Frau Teuteberg, die CDU in den östlichen Bundesländern hat große Schwierigkeiten, die Dämme gegen rechts zu halten. Nicht wenige finden eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht anstößig. Wie sieht es bei der FDP im Osten aus? Muss sich Ihre Partei künftig noch offensiver von der AfD distanzieren?

Teuteberg: Die FDP hat sich jederzeit von der AfD distanziert. Inhaltlich stehen wir im größtmöglichen Gegensatz zu ihr. Daran hat sich nichts geändert. Daran wird sich auch nichts ändern. Was in Thüringen geschah, war ein Fehler. Dafür haben wir uns entschuldigt. Wir haben klargemacht: Die FDP wird sich nicht in eine Abhängigkeit von der AfD begeben.

Frage: Sind Sie wirklich der Meinung, dass die FDP in den neuen Bundesländern geschlossen gegen jegliche Form der Zusammenarbeit mit der AfD ist?

Teuteberg: Eine Zusammenarbeit mit der AfD, in welcher Form auch immer, schließen wir für die FDP aus. Das haben wir nach den Geschehnissen in Thüringen in einem Beschluss des Bundesvorstandes erneut bekräftigt. Anders als bei der CDU, wo es nach Aussage von Frau Kramp-Karrenbauer in Teilen ein ungeklärtes Verhältnis zu AfD und Linkspartei gibt, sind wir klar aufgestellt. Keine Kooperation mit und keine Abhängigkeiten von der AfD.

Frage: Muss eine Trennlinie nicht irgendwann aufgeweicht werden, wenn die AfD immer mehr Stimmen dazugewinnt?

Teuteberg: Wir suchen die politische Auseinandersetzung mit der AfD ganz unabhängig davon, wie sie gerade in Umfragen und Wahlen dasteht. Dabei ist strikte Abgrenzung von der AfD unbedingt notwendig, aber nicht ausreichend. Wir lassen uns weder positiv noch negativ von der AfD die Agenda diktieren: Ob und mit welchem Lösungsvorschlag wir ein Thema politisch aufgreifen, entscheiden wir nach unserem eigenen liberalen Kompass. Wer sich ständig allein über die Distanz zur AfD definiert, gibt ihr eine ungeheure und unverdiente Deutungsmacht.

Frage: Sollte die AfD als Gesamtpartei vom Verfassungsschutz überwacht werden?

Teuteberg: Ob und in welchem Umfang eine Partei durch den Verfassungsschutz überwacht werden muss, entscheiden aus guten Gründen nicht andere Parteien, sondern die zuständigen Behörden nach ihren Erkenntnissen und rechtlichen Kriterien. Unsere Aufgabe ist die politische Auseinandersetzung.

Frage: Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion wollen jetzt das Gebaren der AfD noch einmal genau beleuchten und eine Art Leitfaden für den Umgang mit der AfD zu Papier bringen. Was sind Ihrer Meinung nach die Kernpunkte, die das Papier enthalten sollte?

Teuteberg: Wir werden in einer Arbeitsgruppe der Bundestagsfraktion Erfahrungen und Erkenntnisse über rechtsextreme Bewegungen und Strategien systematisch auswerten und daraus unsere Schlüsse für die weitere parlamentarische Arbeit ziehen. Wir werden alles dafür tun, damit die AfD mit ihrer Verhöhnung und Zerstörung von Demokratie und Parlamentarismus keinen Erfolg haben wird. Das Überraschungsmoment, das der AfD in Thüringen gelang, muss ein einmaliges Ereignis bleiben.

Frage: Thüringens früherer Ministerpräsident Bodo Ramelow geriert sich als großer Kämpfer gegen den Faschismus und versucht auf diese Weise, die Macht wiederzuerlangen. Fühlt sich die FDP durch ihn unter Druck gesetzt?

Teuteberg: Bodo Ramelow handelt dem Ernst der Lage nicht angemessen und heizt durch inflationären Gebrauch von Begriffen wie Faschismus und Staatskrise die Stimmung an, statt zur Beruhigung und Lösung beizutragen. Obwohl er keine eigene Mehrheit hat, hat er sich vorschnell zur Wahl gestellt. Er ist auch nicht so harmlos und moderat, wie es häufig heißt. Während er nicht zimperlich ist, unseren Rechtsstaat als „Schnüffelstaat“ verächtlich zu machen, wenn ihm eine Gerichtsentscheidung in eigener Sache nicht passt, lehnt er für das SED-Regime den Begriff „Unrechtsstaat“ ab. Gerade als Brandenburgerin entsetzt mich dieses Verhalten und Kalkül, denn es spielt mit Gefühlen und spaltet. Anstand und Leistung von Menschen in der DDR gab es in Privatleben und Beruf trotz und nicht wegen des politischen Systems. Der berechtigte Stolz darauf ist kein Argument dafür, die erschwerten Bedingungen von Diktatur und Planwirtschaft zu verharmlosen. Bodo Ramelow ist das Konterfei der Linkspartei in Thüringen mit all ihrer Programmatik und ihrem Personal. In Thüringen hat keines der klassischen Lager eine Mehrheit. Es gibt also nur verschiedene Optionen einer Minderheitsregierung. Was zu denken geben sollte, ist, dass es für SPD und Grüne offenbar eine größere Zumutung ist, mit CDU und FDP über ein Bündnis der Mitte zu sprechen, als dass sie uns zugestehen würden, einen Linken nicht zum Ministerpräsidenten wählen zu können. Das ist absurd und zeigt, dass es hier aufseiten von SPD und Grünen nicht einmal eine Äquidistanz zwischen Mitte und Links gibt, sondern eine klare Präferenz für links außen.

Frage: Die Bundes-FDP ist nun für schnelle Neuwahlen – die thüringischen Parteifreunde nicht. Muss Thüringens FDP auf Linie gebracht werden?

Teuteberg: Thomas Kemmerich hat in seinem Statement zu seinem Rücktritt einen Tag nach der Wahl erklärt, dass seine eigene Landtagsfraktion Neuwahlen anstrebt. Wir halten es für notwendig, dass die Wählerinnen und Wähler das Wort erhalten.

Frage: Ist der thüringische Landesverband auf Linie gebracht, oder müssen Sie von Berlin härter mit den Parteifreunden umgehen?

Teuteberg: Frei gewählte Abgeordnete sind zu Recht nur ihrem Gewissen verpflichtet. Und unter Parteifreunden reden wir selbstverständlich miteinander. Je schwerer die Situation ist, desto besser ist es, miteinander zu reden und nicht übereinander.

Frage: Man hat ja gesehen, wohin das führt. Die Kernfrage ist: Wie unabhängig ist ein Landesverband Ihrer Partei – wie weisungsgebunden ist er?

Teuteberg: Bei uns, wie auch bei allen anderen Parteien, gilt: Die Landesverbände sind für ihr Handeln selbst verantwortlich. Und das ist auch gut so. Es ist in keiner Partei so, dass von Berlin aus einfach durchregiert werden könnte. Landesparteien und Landtagsfraktionen sind keine Angestellten einer Bundesparteizentrale, sondern beide sind Partner.

Frage: Ist Herr Kemmerich in Thüringen freiwillig zurückgetreten?

Teuteberg: Seine Entscheidung erfolgte nach einem Gespräch mit dem Parteivorsitzenden.

Frage: Lassen Sie uns direkt zu den Ereignissen der vergangenen Woche kommen. Haben Sie das Szenario vor der Wahl Kemmerichs selbst einmal für sich durchgespielt, oder sind Sie überrascht worden?

Teuteberg: Thomas Kemmerich hat sich stets von der AfD distanziert und einen klaren Wahlkampf gegen die AfD geführt. Er hatte seine Kandidatur als symbolisches Zeichen für eine Option der bürgerlichen Mitte angekündigt und an die Bedingung geknüpft, dass die AfD einen eigenen Kandidaten zur Wahl stellt. Die perfide Taktik einer Scheinkandidatur der AfD haben wir leider nicht vorhergesehen. Und dass Thomas Kemmerich die Wahl angenommen hat, war ein Fehler.

Frage: Annegret Kramp-Karrenbauer hat Christian Lindner vor der Wahl per SMS vor dem Szenario gewarnt, das dann eingetreten ist. Lindner hat die Nachricht an Kemmerich weitergeleitet. Wussten Sie davon?

Teuteberg: Ich betone gern noch einmal, damit das jeder versteht: Mit diesem Falschspiel der AfD haben wir alle nicht gerechnet.

Frage: Während der gesamten Vorgänge in Thüringen tauchten Sie so gut wie gar nicht auf, obwohl Sie als Brandenburgerin von Ihrer Partei gern als Fühler in die ostdeutschen Landesverbände inszeniert werden. Braucht Ihr Parteichef Lindner überhaupt einen Generalsekretär?

Teuteberg: Es war richtig, dass Christian Lindner selbst sofort die Initiative ergriffen hat, direkt nach Erfurt fuhr und mit Herrn Kemmerich das Gespräch suchte. Jeder in der FDP-Führung hat in diesen wichtigen Stunden und Tagen seinen Teil beigetragen.

Frage: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat vorgeschlagen, eine Expertenregierung zu installieren, die von den demokratischen Parteien gestützt wird. Ist das ein Weg, den Sie mitgehen könnten?

Teuteberg: Wir schlagen ja selbst vor, einen neutralen, von allen demokratischen Parteien akzeptierten Kandidaten zu wählen, um die notwendigen Neuwahlen zu organisieren.

Frage: Sie sagen, AfD und Linkspartei seien gleichermaßen abzulehnen. Sind Sie aus Ihrer Sicht denn gleichzusetzen?

Teuteberg: Vergleich und Gleichsetzung sind nicht dasselbe, auch wenn das gern verwechselt wird. Die AfD ist eine Partei mit völkischem, ausgrenzendem Gedankengut und steht damit im völligen Gegensatz zur FDP. Unser Maßstab sind die Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen. Deshalb schließen wir jegliche Form der Kooperation mit der AfD aus. Die Linkspartei hat ebenfalls, aber aus anderen Gründen, einen großen inhaltlichen Abstand zur FDP. Für Koalitionen kommt sie für uns nicht infrage. Die Linkspartei will einen Systemwechsel hin zu einem neuen Sozialismus. Sie steht weder zur Europäischen Union noch zur Nato. Sie duldet außerdem antisemitische Umtriebe in ihrer Partei. Im Bundestag kooperieren wir überhaupt nicht mit der AfD und arbeiten mit der Linkspartei dann zusammen, wenn es um die Wahrnehmung von Oppositionsrechten geht, zum Beispiel bei der Wahlrechtsreform oder der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen.

Frage: Hat Bodo Ramelow in den vergangenen fünf Jahren einen Systemwechsel betrieben?

Teuteberg: Die Möglichkeit hatte er dank unserer föderalen Ordnung zum Glück nicht. Dass man auf Landesebene nicht so leicht die Grundfesten der Bundesrepublik verändern kann, heißt aber nicht, dass man es gut finden muss, wenn jemand das trotzdem rhetorisch und programmatisch anstrebt.

Frage: In ganz Deutschland sehen sich FDP-Politiker nach Thüringen massiven Angriffen ausgesetzt. Wie ist die aktuelle Lage?

Teuteberg: Wir haben bundesweit zahlreiche Übergriffe erlebt, insbesondere in Hamburg, wo der Bürgerschaftswahlkampf läuft. Veranstaltungen müssen zum Teil abgesagt werden oder können nur unter schwierigen Bedingungen stattfinden. Jüdische Mitglieder der FDP wurden als Nazis beschimpft. All das hat uns erschüttert, ist aber auch ein Anlass mehr, unsere Demokratie zu verteidigen.

Frage: Welche Auswirkungen haben die Ereignisse in Thüringen auf die Hamburg-Wahl?

Teuteberg: Wir kämpfen nun gemeinsam darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Es bedrückt mich allerdings sehr, dass vielen unserer Mitglieder pauschal der persönliche Anstand abgesprochen wird. Gewalt, Bedrohung und Einschüchterung sind durch nichts zu rechtfertigen und dürfen keinesfalls als Mittel der politischen Auseinandersetzung geduldet werden.

Frage: Wie wird die Wahl ausgehen?

Teuteberg: Wir haben in Hamburg eine tolle Spitzenkandidatin, gute Themen, eine klare Haltung. Das sind drei gute Gründe, den Freien Demokraten in der Bürgerschaft auch weiterhin eine starke Stimme zu geben.

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