THEURER-Interview: Der aktuelle Kurs bedroht Hunderttausende von Arbeitsplätzen

FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Schwäbischen Zeitung“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Katja Korf:

Frage: Herr Theurer, in der vergangenen Woche hat das EU-Parlament die Klimaschutzziele noch einmal verschärft. Ihre Partei hat dagegen votiert. Bremst die FDP beim Klimaschutz?

Theurer: Im Gegenteil, wir wollen das Klima schützen durch einen verbindlichen CO2-Deckel und einen funktionierenden Emissionshandel. Dabei gibt der Staat vor, wie viel CO2 ausgestoßen werden darf. Wer das klimaschädliche Gas ausstoßen will, muss dafür Zertifikate erwerben. In den Sektoren, in denen der Emissionshandel bereits läuft, erreichen wir die Klimaziele. Deswegen müssen wir ihn ausdehnen auf die anderen Bereiche wie Verkehr und private Haushalte. Es bringt gar nichts, ständig die Klimaziele zu verschärfen. Wir müssen daran arbeiten, die bestehenden Ziele zu erreichen. Man sagt ja auch keinem Läufer, der die 1 000 Meter kaum schafft, er soll jetzt mal 10 000 Meter laufen.

Frage: Um das Klima zu schützen, zahlen Bund und Land unter anderem hohe Prämien für Elektrofahrzeuge. Ist das eine gute Unterstützung für das Autoland Baden-Württemberg?

Theurer: Prämien haben bisher schon nicht dazu geführt, dass batteriebetriebene Elektroautos reißenden Absatz finden. Die CDU-geführte Bundesregierung zerstört gerade mit der CDU-geführten EU-Kommission die deutsche Automobilindustrie. Und zwar durch ihre einseitige Fixierung auf batteriebetriebene Elektromobilität. Wir als FDP fordern stattdessen Technologieoffenheit, vor allem für Wasserstoff-Brennstoffzellen und synthetische Kraftstoffe.

Frage: Sogar CSU-Chef Söder will Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ab 2035 nicht mehr zulassen. Wie lange brauchen wir diese Motoren noch?

Theurer: Herr Söder ist hier auf dem Holzweg. Das Verbot des Verbrennungsmotors muss verboten werden. Der Weg der FDP ist es, stattdessen den Verbrennungsmotor durch klimaneutrales, synthetisch hergestelltes Benzin und Diesel zukunftsfähig zu machen. Weltweit fahren über eine Milliarde Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Wenn wir die mit synthetischen Brennstoffen klimaneutral betreiben, ist dem Weltklima besser gedient als mit ein paar batteriebetriebenen Elektroautos mehr in Deutschland. Das hätte auch den Vorteil, dass Millionen von Jobs gerettet werden könnten. Der aktuelle Kurs bedroht Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie und bei den mittelständischen Zulieferern in Baden-Württemberg.

Frage: Sie haben vor einigen Tagen kritisiert, Deutschland gefährde gerade seine außenpolitische Stärke. Wie meinen Sie das?

Theurer: Der globale Einfluss Deutschlands fußt nicht auf seiner Einwohnerzahl oder militärischer Stärke. Er gründet auf unserer Wirtschaftsmacht. Wer unsere Schlüsselindustrie vorsätzlich schwächt, schwächt auch den Einfluss Deutschlands in der Welt. Und genau das tun die von CDU und Grünen geführten Regierungen in Bund und Land gerade.

Frage: Stichwort globale Perspektive: Die großen Konzerne der Digitalwirtschaft entstehen längst anderswo. Woran liegt das?

Theurer: Zum einen verschlafen wir in Deutschland seit Jahren die digitale Transformation. Gerade der Staat und seine Behörden hinken gnadenlos hinterher. Zweitens gibt es Hinweise darauf, dass die Entstehung der großen US-Techgiganten im Silicon Valley wie Facebook, Google und Apple, aber vor allem der chinesischen Konzerne Alibaba, Tencent und Baidu durch staatliche Regulierung oder Finanzierung begünstigt wurde. Wir müssen in Deutschland erkennen, dass wir uns in einem Systemwettbewerb befinden. Es besteht die große Gefahr, dass Deutschland und die EU in eine Sandwichlage zwischen den USA und China geraten.

Frage: Was kann man aus Ihrer Sicht dagegen tun?

Theurer: Die Antwort darauf ist, innerhalb der EU noch stärker zusammenzuarbeiten und mit einer Stimme zu sprechen. Vor allem brauchen wir einen Sprint, um den erheblichen Rückstand bei der Digitalisierung aufzuholen. Ich fordere ein europäisches Satellitensystem. Wir müssen uns unabhängiger machen von den Systemen der USA und anderen. In den USA können Unternehmen und Staat mit ihren Satelliten sehen, wer in Ravensburg mit wem im Whirlpool liegt, oder beobachten, wer ein Unternehmen betritt. Damit wird etwa Industriespionage sehr viel einfacher. Die Frage, wer die Hoheit über solche Daten hat, wird entscheidend sein in den kommenden Jahren.

Frage: Bei der Bewerbung um Bundesmittel für die Batteriezellenforschung hat Ulm den Kürzeren gezogen gegenüber Münster. Wird der Standort Baden-Württemberg in Berlin schlecht vertreten?

Theurer: Ja. Die Älteren erinnern sich, wie Baden-Württemberg unter dem Ministerpräsidenten Lothar Späth als Turbo unter den Bundesländern gewirkt hat. Mittlerweile rangiert das Land in wesentlichen Ranglisten etwa in der Bildung oder der Digitalisierung allenfalls noch im Mittelfeld. In der Bundesregierung ist Baden-Württemberg stiefmütterlich vertreten – das Saarland stellt drei Minister, drei kommen aus Bayern und drei aus Nordrhein-Westfalen. Da muss man sich nicht wundern, wenn Fördermillionen nach NRW fließen. Und zwar in den Wahlkreis der Bundesforschungsministerin, die das Geld bewilligt.

Frage: In Umfragen im Bund liegt die FDP zum Teil nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Liegt das auch am unglücklichen Agieren von Parteichef Christian Lindner?

Theurer: Die FDP dringt mit ihren Themen wie sozialer Marktwirtschaft oder den Freiheitsrechten derzeit nicht so durch, wie wir uns das wünschen. Aber wir haben uns auf unserem Bundesparteitag neu aufgestellt. Mit Volker Wissing als neuem Generalsekretär besetzen wir wichtige Themen wie die Sicherung von Arbeitsplätzen. Baden-Württemberg als Stammland der FDP wird eine große Rolle im Superwahljahr 2021 spielen. Ich bin mir sicher, dass die FDP mit einem guten Ergebnis hier die Trendwende auch im Bund einleiten kann.

Frage: Und wie ist dabei die Rolle von Christian Lindner?

Theurer: Die Partei steht in großer Geschlossenheit hinter dem Bundesvorsitzenden. Er ist unser bester Mann und wird uns als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf führen.

Frage: Sie stellen am Samstag in Friedrichshafen ihre Kandidaten für die Bundestagswahl 2021 auf. Weiterhin gibt es sehr wenige Frauen unter den Abgeordneten der FDP in Bund und Land. Ist die FDP eine Altherrenpartei?

Theurer: Wir haben die zweitjüngste Mitgliederbasis und die jüngste Bundestagsfraktion. Mit der baden-württembergischen Generalsekretärin Judith Skudelny wird auf Platz zwei der Liste eine Frau ganz prominent vertreten sein. Für einen Querschnitt der Gesellschaft attraktiv zu sein, ist aber natürlich eine dauerhaft wichtige Aufgabe. Insofern würde mich schon freuen, wenn mehr Frauen bei uns ein- und antreten.

Zur Übersicht Pressemitteilungen