VOGEL-Gastbeitrag: So viel Ludwig Erhard steckt in der Ampel
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel verfasste für die „Wirtschaftswoche“ den folgenden Gastbeitrag:
Manche rätseln, ob Ludwig Erhard, der an diesem Freitag seinen 125. Geburtstag feiern würde, tatsächlich Mitglied der CDU war. Eines steht aber fest: Er war ein großer Marktwirtschaftler. Ohne sein Wirken als Wirtschaftsminister kein Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, ohne seinen Einsatz keine soziale Marktwirtschaft. Liberale Kräfte machten ihn schon 1948 zum Direktor für die Wirtschaftspolitik in den westlichen Besatzungszonen. Bei den Freien Demokraten wäre er bestens aufgehoben gewesen, sein Erbe ist es allemal. Sein Wirken schuf das Fundament unseres weltweit anerkannten Wirtschaftssystems – und findet übrigens im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition in einem Ausmaß seinen Niederschlag, wie dies Skeptiker wohl nicht für möglich gehalten hätten. Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf hat recht, wenn er sagt: „Da ist vieles drin, was absolut vernünftig ist, in Gänze ist dieser Koalitionsvertrag wirtschaftsfreundlicher als der der großen Koalition.“ Deshalb wäre „Mehr Fortschritt und dabei mehr Erhard wagen“ zwar sicher ein Label für die Ampelkoalition gewesen, das unsere Partner überstrapaziert hätte – falsch wäre es jedenfalls im direkten Vergleich zur unionsgeführten Vorgängerregierung aber nicht.
Was aber lässt Erhards Ansatz so aktuell und essenziell für unser Land erscheinen? Er mag als Kanzler glücklos agiert haben, als Wirtschaftsminister schuf er die Grundlage für eine Form des Wirtschaftens, die auf Wettbewerb und soziale Balance zugleich setzt und damit Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung sichert. Die soziale Marktwirtschaft fördert den inneren Zusammenhalt einer freien Gesellschaft, weil sie, um mit Erhard zu sprechen, „Wohlstand für alle“ ermöglicht. Die Politik muss dabei den staatlichen Rahmen so setzen, dass sich die Kräfte des Marktes möglichst frei entfalten können, und zugleich ein soziales Netz spannen, um Verwerfungen zu verhindern und individuelle Chancen zu schaffen. Freiheitsrechte müssen gesichert werden, sie machen persönliche und unternehmerische Entfaltung überhaupt erst möglich. Man könnte auch sagen: Die soziale Marktwirtschaft setzt im neuen Systemwettbewerb mit China auf Bottom-up-Kreativität statt Top-down-Diktat à la Xi Jinping. Der liberale Staat, der im Geiste Erhards agiert, ist dabei kein libertärer Nachtwächterstaat. Er hat viel zu tun, muss aber auch seine Grenzen kennen. Er verzettelt sich nicht in industriepolitischen Planungsfantasien – wie bisweilen der letzte Bundeswirtschaftsminister. Und er muss reformfreudig bleiben, damit der Rahmen auch zum jeweiligen Bild einer freien Gesellschaft im erfolgreichen Wandel passt.
Der Coronaimpfstoff made in Germany hat uns gerade erst wieder die transformative Kraft vor Augen geführt, die Unternehmerinnen und Unternehmer entfalten können, denen eine Idee keine Ruhe lässt. Deshalb sollten wir mit guten Rahmenbedingungen allen helfen, die diese Haltung tragen – von Selbstständigen bis zur Start-up-, Gründungs- und Innovationsförderung. Gerade auf Betreiben der Freien Demokraten hat sich die neue Koalition hier viel vorgenommen. Wir wollen faire Bedingungen für Freelancer und neue Förderinstrumente für Gründerinnen und Gründer schaffen. Hürden für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Finanzierung wollen wir beseitigen und Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden ermöglichen. Wir werden die Mitarbeiterkapitalbeteiligung attraktiver machen, Freiheitszonen zur Erprobung von Innovationen schaffen und Bürokratie ab- sowie digital umbauen, damit diese nicht als Hemmschuh des Fortschritts wirkt. Aber damit nicht genug: Die neue Koalition bekennt sich dazu, den regelbasierten Freihandel zu stärken – auch als geostrategisches Mittel, als Gegengewicht zur aggressiven Politik Chinas. Ludwig Erhard als Kämpfer für die Liberalisierung des Handels und Gegner von Protektionismus hätte das gefallen. 1957 hat Konrad Adenauer das reine Umlageverfahren in der Rente mit der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers auch gegen Ludwig Erhard durchgesetzt. Erhard sah die Zukunftsfähigkeit bei sinkenden Geburtenraten gefährdet – heute steigen wir angesichts des Renteneintritts der Babyboomer mit einer Aktienrente endlich in ein kapitalgedecktes Standbein der gesetzlichen Rente ein. Durch „Volksaktien“ wollte auch Erhard die Vermögensbildung voranbringen. Uns liberale Marktwirtschaftler treibt auch heute um, ein Volk von Eigentümern zu schaffen, auch durch bessere Steuerfreibeträge für Aktien sowie für den Immobilienerwerb. Denn „Wohlstand für alle“ muss immer auch heißen: Wohlstandschancen für alle. Deshalb ist es zudem so notwendig, dass wir Schwachstellen im Bildungssystem endlich ausmerzen wollen. Wir fördern Talentschulen und schaffen mit einem lebenslangen Angebot auf Weiterbildung die Chance, in einer sich rasant verändernden Welt mithalten oder auch in der Mitte des Lebens sich völlig neu orientieren zu können. Die Idee der sozialen Marktwirtschaft lebt fort – zum Glück. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Ludwig Erhard!