WISSING-Interview: Ohne Wachstum geht das nicht

FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing gab der „Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft“ (Dienstag, mehrere Ausgaben) das folgende Interview. Die Fragen stellten Stefan Kegel und Igor Steinle:

Frage: Herr Wissing, Sie wollen die Corona-Sonderrechte der Regierung zurücknehmen. Angesichts steigender Infektionen der richtige Zeitpunkt?

Wissing: Die Voraussetzung für die Sonderrechte der Regierung ist, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Das ist aktuell nicht der Fall. Die Regierung sagt selbst, die Lage hat sich deutlich gebessert, die für Coronapatienten vorgehaltenen Intensivbetten wurden reduziert. Da wäre es doch eine Selbstverständlichkeit, das Parlament wieder stärker einzubeziehen.

Frage: Umfragen zeigen, dass die Bürger zufrieden sind mit der Krisenpolitik.

Wissing: In einer Pandemie gibt es nichts Wichtigeres als das Verantwortungsbewusstsein der Bürger. Um eine breite Akzeptanz für die Einhaltung der Maßnahmen zu erhalten, müssen wir diese besser erklären. Es muss für jeden ersichtlich sein, warum man wo Masken tragen muss – etwa im Nahverkehr oder im Büro. Der Bund kann die Maskenpflicht nicht mit staatlichem Zwang durchsetzen, weil nicht in jedem Bahnwaggon ein Polizist mitfahren kann. Wir werden es auch nicht hinkriegen, dass kein Jugendlicher mehr feiert. Das zu erwarten, wäre naiv. Deswegen ist es so wichtig, dass wir das Verantwortungsbewusstsein der Menschen aktivieren, und das schaffen wir nicht mit einer Zügel-Anziehen-Rhetorik von Herrn Söder.

Frage: Viele Branchen liegen am Boden. Kommt bald eine Pleitewelle?

Wissing: Diese Pandemie ist ein Stresstest für die Wirtschaft. Sie hat schon vor Corona an Effizienzschwäche gelitten. Wir sind, was das Wachstum angeht, unter unseren Möglichkeiten geblieben, haben zu wenig in Forschung investiert und die Transformationsprozesse in der Autoindustrie und im Mittelstand haben zu lange gedauert. Von der schleppenden Digitalisierung ganz zu schweigen. Man muss sich jetzt mit der Frage beschäftigen, wie man die Effizienz der Wirtschaft steigern kann.

Frage: Nämlich wie?

Wissing: Wir brauchen Wirtschaftswachstum! Was wir bisher hatten, hat nicht gereicht. Jetzt brauchen wir noch mehr, auch weil wir die enormen Schulden finanzieren müssen, die wir zusätzlich aufgenommen haben. Wir haben außerdem eine Bevölkerung, die für mehr Klimaschutz auf die Straße geht. Das müssen wir ernst nehmen und entsprechende politische Angebote formulieren. Bei Klimaschutz geht es um Generationengerechtigkeit, um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die mit über die Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen eines jeden Einzelnen entscheidet. Klimaschutz ist damit ein urliberales Thema.

Frage: Trotzdem flirten viele Unternehmer momentan mit den Grünen.

Wissing: Die Grünen werden erklären müssen, wie sie ohne zusätzliches Wirtschaftswachstum die zusätzliche Staatsverschuldung, die demographische Entwicklung und die notwendigen Investitionen für den Klimaschutz in den nächsten Jahren finanzieren wollen. Exakt an dieser Frage hängt der gesellschaftliche Zusammenhalt. Wir wollen eine Politik, die Grundlagen dafür schafft, dass Wohlstand für alle möglich ist. Junge Menschen fragen sich heute, ob sie auf eine Grundrente zusteuern oder wie ihre Eltern im Alter in Urlaub fahren oder sich ein Auto leisten können. Ohne Wirtschaftswachstum geht das nicht. Grüne Politik wirkt auf den ersten Blick nicht unsympathisch, in der Umsetzung ist sie aber oft sehr unsozial, dirigistisch und bevormundend.

Frage: Spricht der Zeitgeist nicht gegen Sie? Eine entfesselte Wirtschaft hat doch erst zur Klima- und anderen Krisen geführt.

Wissing: Exzesse, wie bei der Finanzkrise etwa, müssen wir vermeiden. Das war ein weltweites staatliches Versagen. Der Vorteil der Marktwirtschaft besteht darin, dass es einen Anreiz gibt, von der eigenen Kreativität und Leistung auch zu profitieren. Wir brauchen einen Dreiklang der Freiheit: die Freiheit des Individuums kombiniert mit der Freiheit der Gesellschaft und der Wirtschaft. Wo der Staat die Wirtschaft dominiert, dominiert er in der Regel auch andere Lebensbereiche. China ist das beste Beispiel dafür.

Frage: Mit welcher Partei würden Sie Ihre Pläne gerne umsetzen?

Wissing: Wir haben mit allen Parteien des demokratischen Spektrums Schnittmengen. Ich bin übrigens ein Freund von Koalitionsregierungen, weil sie Clearingstellen unserer Demokratie sind. Sie führen zu einer großen Akzeptanz des Regierungshandelns.

Frage: Merz, Laschet oder Röttgen?

Wissing: Ich traue es ihnen allen zu. Vor allem Armin Laschet ist jemand, der mit der FDP regieren will. Bei ihm haben wir die Erfahrung gemacht, dass er seinen Regierungspartner wertschätzt und dessen politische Idee achtet. Aber es ist nicht Aufgabe eines FDP-Generalsekretärs, sich einen CDU-Vorsitzenden zu wünschen. Letztlich müssen die Inhalte stimmen.

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