Antragsbuch für den 76. Ordentlichen Bundesparteitag

BV Düsseldorf

European Migration Center (EMC) – Eine europäische Gesamtantwort zur Steuerung von Flucht und Migration

European Migration Center (EMC) – Eine europäische Gesamtantwort zur Steuerung von Flucht und Migration

Die Einwanderung auf dem Fluchtweg muss abnehmen, um die schon jetzt angespannten Aufnahmegesellschaften gesellschaftlich und finanziell nicht zu überfordern. Gleichzeitig muss die geordnete Einwanderung in den Arbeitsmarkt zunehmen, denn in der gesamten Europäischen Union (EU) herrscht Fachkräftemangel in verschiedenen Wirtschaftszweigen und auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen. Beide Ziele können nachhaltig nur durch eine umfassende Verzahnung der Systeme „Asyl“ und „(Arbeitsmarkt-)Migration“ auf gesamteuropäischer Ebene gelingen.

Die FDP setzt sich daher auf allen Ebenen dafür ein, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sich auf eine integrierte Gesamtantwort zur Lösung der Herausforderungen von Flucht und Migration im Sinne der nachfolgenden Punkte einigen:

European Migration Center

  1. Ausgewählte Standorte der existierenden 144 Auslands-Delegationen der EU – z. B. in Marokko, Algerien, Tunesien oder Ägypten – werden zu „European Migration Centers“ (EMCs) ausgebaut. Hierbei handelt es sich um unmittelbare Auslandsvertretungen der EU.
  2. EMCs sollen unterschiedliche flucht- und migrationsbezogene Verwaltungsleistungen bündeln und aus einer Hand anbieten: Hier sollen sowohl Asylverfahren gerichtet auf Asyl/Flüchtlingsstatus/subsidiärer Schutz durchgeführt als auch Visa zum Zweck der Erwerbsmigration beantragt und ausgestellt werden.
  3. EMCs sollen Antragsteller zu aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten beraten. Dabei soll die Beratung der Antragsteller möglichst mit dem Ziel einer Erwerbsmigration erfolgen, sodass andere Aufenthaltsgründe von vornherein möglichst nur subsidiär zum Tragen kommen. Das Recht, politisches Asyl zu beantragen, bleibt unberührt.
  4. EMCs unterstehen unmittelbar dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) / European External Action Service (EEAS), sind also EU-eigene Behörden. Asyl- und Visumsverfahren werden daher mit Bescheid der EU abgeschlossen. Im Verwaltungsinnenverhältnis sind die betroffenen Mitgliedstaaten zu beteiligen; insbesondere können für bestimmte Aufenthaltstitel Zustimmungserfordernisse analog zu § 31 der deutschen Aufenthaltsverordnung i. V. m. § 99 Abs. 1 Nr. 3 des deutschen Aufenthaltsgesetzes vorgesehen werden.
  5. Neben der Durchführung von Asylverfahren sowie der Visa-Erteilung aufgrund eines gewährten Schutzstatus (Flucht) oder zur Aufnahme einer Arbeitstätigkeit (Arbeitsmigration) sollen EMCs als Anwerbezentren für ausländische Arbeitskräfte dienen. Mitgliedstaaten oder auch einzelnen Unternehmen sollen nach transparenten und fairen Kriterien die Möglichkeit bekommen, von ihnen benötigte Arbeitskräfte vor Ort anzusprechen und zu werben.
  6. EMCs sollen des Weiteren als Arbeitsvermittlungsbehörde dienen, vergleichbar der deutschen Bundesagentur für Arbeit und ihren Zweigstellen. Hierbei sollen nach von den nationalen Arbeitsverwaltungen benannten und für die Mitgliedstaaten fairen und transparenten Kriterien Arbeitskräfte in die Mitgliedstaaten vermittelt werden, die Arbeitskräfte für bestimmte Branchen benötigen. Den EMCs soll damit eine besondere Verantwortung für die Umsetzung und den Ausbau des im Dezember 2023 beschlossenen EU-Talentpools zukommen.
  7. EMCs sollen auf ihrem Gelände außerdem Anbieter beherbergen, deren Leistungen mit der Erwerbsmigration in engem Zusammenhang stehen. Die bisher in den Mitgliedstaaten tätigen Bildungsträger sollen auch als Partner der EMCs im Ausland tätig werden können. Insbesondere sollen Sprach- und Integrationskurse angeboten werden können. Auch ein Vor-Ort-Angebot von Kursen im Rahmen beruflicher Ausbildungen ist denkbar.
  8. EMCs sollen Kooperationen mit lokalen Partnern eingehen dürfen, die ihrerseits weitere Leistungen im Umfeld der Aufgaben der EMCs anbieten. Dies können etwa Anbieter von Unterkünften für Antragsteller sowie Gewerbe zur Sicherstellung des täglichen Bedarfs der Antragsteller sein. Hierdurch können wirtschaftliche Anreize zur Kooperation der Länder geschaffen werden, in denen die EMCs belegen sind.
  9. Die Rolle der EMC im Rahmen der Arbeitsmigration kann einen wichtigen Anreiz für EU-Mitgliedstaaten für eine größere Kooperation im Bereich Asylmigration schaffen. Um dies zu erreichen, ist es erforderlich, dass Mitgliedstaaten nur dann von arbeitsmigrationbezogenen Maßnahmen der EMCs (z. B. Anwerbung, Arbeitsmarktvermittlung, zentrale Visa-Vergabe) profitieren, wenn sie gleichzeitig zur Aufnahme von Geflüchteten bereit sind, die nach Asylantragsprüfung einen Schutzstatus erhalten und nach transparenten und fairen Kriterien verteilt werden.
  10. Die Mitgliedstaaten stellen der EU die gegebenenfalls benötigten Mittel für die Erweiterung bzw. den Ausbau der Delegationsgelände zur Verfügung.

Identitätsfeststellung, gemeinsame europäische Identitätsdatenbank

  1. In den EMCs erfolgt eine Registrierung der Antragsteller bei Antragstellung.
  2. Grundsätzlich erfolgt die weitere Antragsbearbeitung erst nach Identitätsklärung. Ausnahmen hiervon werden nur insoweit gemacht, als Antragsteller glaubhaft machen, dass ihnen eine Identitätsklärung am Ort der Antragstellung nicht zumutbar ist, weil diese mit Gefahren für Leib oder Leben der Antragsteller oder naher Familienangehöriger verbunden wäre. Im Fall der Nicht-Zumutbarkeit der unverzüglichen Identitätsklärung können Antragsteller in ein EMC in einem anderen Land verbracht werden – dessen Zustimmung vorausgesetzt –, in dem eine Gefahr für Leib oder Leben nicht besteht. Ist der Antragsteller hierzu nicht bereit, verwirkt er sein Recht auf Antragsprüfung.
  3. Alle Daten zur Registrierung, Antragstellung, -bearbeitung und -bescheidung werden unmittelbar in eine noch zu errichtende Datenbank eingespeist. Diese soll ein Ausländerzentralregister (AZR) auf EU-Ebene sein. Hierfür kann die bislang nur für Asylsuchende vorgesehene Datenbank „Eurodac“  als Basis dienen.

Sicherer Transfer, Rückführung, Seenotrettung

  1. Sichere Einreise mit Visum: Für Personen, die ein Visum erhalten, besteht die Möglichkeit einer legalen und sicheren Einreise in die EU bzw. den Aufnahmemitgliedstaat, die grundsätzlich auf eigene Kosten zu erfolgen hat. Für Personen, denen ein Schutzstatus zuerkannt wurde, können EU-organisierte Shuttle-Transfers – z. B. von der nordafrikanischen Küste – eingerichtet werden.
  2. Rückführung ohne Visum: Personen, die ohne gültiges Visum in die EU einreisen oder dies versuchen, werden vom jeweils zuständigen Mitgliedstaat aufgegriffen und entweder in das Land, in dem sie zuletzt in einem EMC registriert wurden oder in ihr Herkunftsland zurückgeführt. Ist eine Registrierung der Person in einem EMC noch nicht erfolgt und ist der Herkunftsstaat unbekannt, wird die Person in einen anderen Staat verbracht, in dem ein EMC zur Verfügung steht und wenn der jeweilige Drittstaat die Aufnahme genehmigt.
  3. Seenotrettung: Personen, die bei der Überquerung des Mittelmeers in Seenot geraten, sind zu retten. Werden Schiffe unter der Flagge der EU oder eines Mitgliedstaates einer Seenotlage gewahr, sind sie zur Rettung verpflichtet. Die Seenotrettung durch nichtstaatliche Akteure darf nicht behindert werden.
  4. Schleuserkriminalität bekämpfen: Neben der konsequenten Bekämpfung von Schleuserkriminalität, ist es entscheidend, das Geschäftsmodell der Schlepper zu zerstören. Die konsequente Rückführung von Personen, die vor ihrer Einreise kein Verfahren in einem EMC durchlaufen haben, macht das Geschäft von Schleppern und Schleusern unattraktiv, da sich herumsprechen wird, dass eine durch Schleuser vermittelte illegale Einwanderung ergebnislos bleibt.

Abkommen mit Drittstaaten

  1. Die EU wird neue Rückführungsabkommen abschließen und die Zahl der bestehenden 17 Abkommen deutlich erhöhen. Neue Rückführungsabkommen, sollen vorrangig mit solchen Drittstaaten verhandelt werden, in denen die Einrichtung von EMCs von besonderem Interesse ist.
  2. Bestehende Rückführungsabkommen der EU sind dahin zu ergänzen, dass alle Personen, die in einem EMC auf dem Hoheitsgebiet des entsprechenden Drittstaats registriert wurden, wieder von diesem aufgenommen werden.
  3. Bei der (Neu-)Verhandlung von bestehenden und neuen Abkommen ist ein größerer Fokus auf Kooperationsanreize für Drittstaaten zu legen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einrichtung von EMCs und die damit erhoffte Steuerungswirkung in der Migration insbesondere auch auf wirtschaftliche Vorteile für EU-Mitgliedstaaten in Form des Zugangs von Arbeitskräften zielt. Vor diesem Hintergrund sollten Rücknahmeabkommen ebenso vor allem wirtschaftliche Anreize für Drittstaaten bieten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Existenz eines EMC zu einer Ankurbelung der lokalen Wirtschaft des jeweiligen Drittstaats führen kann.

Kommunikation

  1. Die Etablierung des neuen strukturierten Gesamtsystems der Migrationssteuerung über die EMC wird von der EU mit einer groß angelegten Werbe- und Social Media-Kampagne begleitet. Diese soll sowohl Menschen in Drittstaaten als auch Migranten-Communities in den EU-Mitgliedstaaten adressieren. Die Kampagne soll zum einen für legale Einwanderungswege werben, aber auch deutlich machen, dass eine illegale Migration unter Umgehung der mitgliedstaatlichen Auslandsvertretungen und der EMCs erfolglos ist.
  2. Die Webekampagne kann begleitet werden durch lokale Migrations-Botschafter. Diese sollen in den Herkunftsländern als Vertrauenspersonen der lokalen Bevölkerung für legale Migrationswege werben und vor erfolgloser illegaler Migration in die EU warnen.

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