Antragsbuch für den 76. Ordentlichen Bundesparteitag

LV Niedersachsen

Technologieoffenheit richtig verstanden – Liberaler 10-Punkte-Plan für den Ausbau der Elektromobilität

Technologieoffenheit richtig verstanden – Liberaler 10-Punkte-Plan für den Ausbau der Elektromobilität

Die Freien Demokraten stehen seit jeher für eine technologieoffene Politik und das aus gutem Grund: Politiker sind weder die besseren Wissenschaftler noch die besseren Unternehmer.

Aufgabe der Politik hingegen ist es, die richtigen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen zu formulieren, die einer breiten Interessenabwägung gerecht werden.

Eine Zielsetzung, die für uns Liberale wie auch andere Parteien der politischen Mitte zentral ist, ist die Reduktion von Treibhausgasen, die beim Verbrennen fossiler Energieträger entstehen. Mit dem europäischen und möglichst internationalen CO2-Zertifikatehandel schlagen wir hierfür ein Instrument vor, das es Wissenschaft, Verbrauchern und Unternehmen überlässt, wo sich am effizientesten Treibhausgase reduzieren lassen.

Wir wissen gut um die realpolitischen und spieltheoretischen Herausforderungen, globale Einigkeit über dieses Instrument zu erlangen, sind aber überzeugt, dass es jede Mühe wert ist. Und wir wissen um die Vorbildfunktion, die Deutschland dabei einnehmen muss. Eine Vorbildfunktion, die nicht darin bestehen darf, unsere eigene Volkswirtschaft zu schwächen, sondern den Beweis dafür anzutreten, dass wirtschaftliche Prosperität und Klimaschutz sich nicht ausschließen.

Eine so verstandene Vorbildfunktion ist gerade in der deutschen Automobilwirtschaft relevant. Schließlich entscheidet sich hier neben einer der wichtigsten Wohlstandsquellen im besten Fall auch, ob Deutschland klimaneutrale Mobilität in alle Welt exportieren kann.

Dass mit Tesla das derzeit wertvollste Automobilunternehmen der Welt rein auf Elektromobilität setzt und Megacitys wie Shenzhen ihre Mobilität in wenigen Jahren elektrifiziert haben, zeigt die internationale Relevanz und Nachfrage, der die deutsche Automobilindustrie gerecht werden muss.

Zahlreiche andere Technologien der letzten Jahrzehnte belegen, dass die Rahmenbedingungen des Heimatmarktes nicht selten darüber entscheiden, ob Unternehmen sich im globalen Wettbewerb erfolgreich positionieren können. Umso wichtiger ist es gerade jetzt, die richtigen Rahmenbedingungen für die deutsche Automobilwirtschaft in ihrem Heimatmarkt Europa zu schaffen.

Eine Regulatorik, in deren Zentrum das Verbot von Verbrennermotoren steht, wird diesem Anspruch nicht gerecht und lehnen wir deswegen ab. Doch wissen wir Freien Demokraten auch darum, dass sich die notwendigen Rahmenbedingungen nicht allein in einem Wettbewerb der Technologien herausbilden. Der Umbruch der Automobilität ist zu groß, dass der Staat sich als neutraler Beobachter im Wettbewerb unterschiedlicher Technologien zurücklehnen könnte.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die unterschiedlichen Technologien mit einem sehr kostspieligen Auf- und Umbau von Infrastruktur und Produktionskapazitäten einhergeht. Je mehr Ungewissheit im Markt darüber herrscht, welche Technologie sich durchsetzen wird, desto geringer fällt die privatwirtschaftliche Bereitschaft zum Auf- und Umbau aus.

Dabei ist der Umbau der bestehenden Infrastruktur von fossilen Kraftstoffen zwar klimapolitisch notwendig, aber der Ersatz einer intakten Infrastruktur durch eine neue erzeugt allein noch keine wirtschaftlichen Vorteile, sondern vornehmlich Kosten für Unternehmen und Verbraucher.

Als Liberale sind wir uns der Verantwortung bewusst, trotz der Ablehnung pauschaler Verbote politische Orientierung und sinnvolle Rahmenbedingungen zu setzen.

Wir stellen dabei fest, dass für einen Großteil des täglichen Automobilverkehrs der elektrische Antrieb zahlreiche Vorteile mit sich bringt. Einige davon lauten:

  • Die bessere technische Effizienz eines Elektromotors gegenüber eines Verbrennermotors birgt erhebliche Chancen für elektrische Antriebe. Gleichzeitig ist die Gesamteffizienz entscheidend. Deshalb ist ein technologieoffener Ansatz so wichtig. 
  • Die heutigen Reichweiten von Elektromobilität genügen längst dem Großteil an täglichen Mobilitätsbewegungen und liefern keinen rationalen Grund für eine sogenannte Reichweitenangst.
  • Die großen Fortschritte der Batterietechnologie in Reichweite, Recycling und Materialzusammensetzung scheinen in vielversprechender Weise aktuelle Nachteile zügig aufzuholen. Alternative Rohstoffzusammensetzungen von beispielsweise Feststoffbatterien und Möglichkeiten des Recyclings ermöglichen zumindest mittelfristig eine höhere Unabhängigkeit in Lieferketten und Vermeidung von Umweltschäden.
  • Die enormen Batteriekapazitäten in Elektroautos können bei bidirektionalen Ladekonzepten ein Schlüssel zur Stabilisierung der Stromnetze sein, um Schwankungen der regenerativen Energiequellen auszugleichen. So können Fahrzeuge einen vom Fahrer freigegeben Anteil zurück ins Netz oder das eigene Haus speisen, wenn Strompreise entsprechende Signale setzen.
  • Autonomes Fahren als wichtiger Zukunftsschritt der Mobilität wird durch Elektromobilität deutlich erleichtert oder erst möglich, weil sich der Energiebedarf im Fahrzeug für Sensorik und Rechnerleistung entsprechend elektrifiziert.

Hingegen erkennen wir auch, dass es sowohl im deutschen als auch im internationalen Markt Anforderungen an Strecken und Lasten gibt, in denen Verbrennermotoren absehbar unverzichtbar sind und auch langfristig eine sinnvolle Ergänzung der Elektromobilität sein können.

Die Vorteile sind hierbei neben der bestehenden Infrastruktur (zum Beispiel dem Tankstellennetz), die hohe Kompetenz in der deutschen Wirtschaft und Forschung. Ein pauschales Verbot von Verbrennermotoren im Heimatmarkt führt zwangsläufig dazu, diese Vorteile unnötig zu verspielen und damit auch wirtschaftliche Potenziale zu zerstören, die sehr wohl im Einklang mit dem Klimaschutz stehen können.

Doch wie bei der Elektromobilität ändert sich das Umfeld für Verbrennermotoren so grundsätzlich, dass es ebenfalls Anforderungen gibt, die sich nicht allein durch ein Spiel der Marktkräfte auflösen lassen und neue Rahmenbedingungen einfordern.

Selbst für deutlich kleinere Einsatzbereiche als die Elektromobilität fehlt es derzeit an einer ausreichenden und wettbewerbsfähigen Produktionsmenge nachhaltiger und klimaneutraler Kraftstoffe.

Die für Biokraftstoffe wie HVO100 notwendigen Rest- und Rohstoffe sind begrenzt und können ab bestimmten Größenordnungen in Zielkonflikte geraten. Die Herstellung von Biokraftstoffen und elektrochemischen bzw. wasserstoffbasierten Kraftstoffen ist in großem Maßstab in anderen Ländern einfacher als in Deutschland, weil eine stabilere Zufuhr regenerativer Energien die Herstellung positiv beeinflusst.

Die geostrategischen Abhängigkeiten fossiler Kraftstoffe zeigen allerdings gerade heute mehr als deutlich, dass es uns nicht egal sein kann, von welchen Ländern wir uns bei der Zulieferung nachhaltiger Kraftstoffe abhängig machen.

Da Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr derzeit deutlich schlechter zu elektrifizieren sind als der Automobilverkehr spricht vieles dafür, dass vorerst vor allem diese Verkehre von klimaneutralen Kraftstoffen profitieren sollten. Der Bedarf klimaneutraler Kraftstoffe steht demnach außer Frage.

Der Einsatz im Automobil wird sich bei Neuzulassungen womöglich vor allem auf sehr bestimmte Strecken- und Lastprofile beschränken müssen. Gelingt es jedoch, sehr zügig Kapazitätsmengen zur Herstellung auszubauen ohne dabei andere Zielkonflikte zu schüren, können Kraftstoffe wie HVO100 allerdings dabei helfen, die bestehenden und intakten Verbrennermotoren klimaneutral in Betrieb zu halten. Wo wir in der nationalen und europäischen Energiepolitik Chancen zum Ausbau von Produktionskapazitäten sehen, sollten sie genauso genutzt werden wie in internationalen Projekten. Hier können im Rahmen der Entwicklungshilfe echte Win-Win-Projekte entstehen, solange die zur Herstellung der Kraftstoffe notwendige elektrische Energie nicht an anderer Stelle fehlt oder die verwendeten Rohstoffe andere Zielkonflikte erzeugen.

Auch wenn wir Liberalen davon ausgehen, dass die künftige Automobilität auch elektrisch sein wird, zeigen diese Überlegungen, dass Deutschland gut daran tut, elektrochemische Kraftstoffe und Biokraftstoffe in ihrem Einsatz zu unterstützen und nicht pauschal zu verbieten.

Aus diesen Gründen fordern die Freien Demokraten eine Politik, die im besten Sinne einer Technologieoffenheit die Transformation zur Elektromobilität fördert und gleichermaßen Chancen für klimaneutrale Verbrenner offen hält, wo eine Elektrifizierung nicht effizient oder möglich ist. Im Sinne der Technologieoffenheit sollte die europäische Regelung für Flottengrenzwerte langfristig durch den Emissionshandel ersetzt werden.

Zur Stärkung der Elektromobilität fordern wir konkret:

  • Strom aus PV- und Windkraftanlagen muss für Elektroladeinfrastruktur deutlich einfacher direkt vermarktbar sein. Regulatorische Hürden der direkten Stromvermarktung müssen deutlich reduziert werden.
  • Die Netzeinspeisung aus Elektroautos muss regulatorisch geklärt, vereinfacht und gefördert So müssen Netzentgelte bzw. Einspeisevergütungen entsprechende Anreizsignale setzen, in Bedarfsphasen Strom aus BEV zur Verfügung zu stellen.
  • Der Datenaustausch zwischen Fahrzeugen und Energiedienstleistern zur Hebung der Potentiale von bidirektionalem Laden muss mit einheitlichen Schnittstellen standardisiert.
  • Netzbetreiber müssen eine Transparenz schaffen, an welchen Stellen ihres Netzes Ladeinfrastruktur mit geringem Um- und Aufbauaufwand zur Verfügung gestellt werden kann, um Grundstückseigentümern Investitionsimpulse für den Aufbau von Ladeinfrastruktur zu geben.
  • Die Kommunen werden dabei unterstützt bis zum Jahr 2030 eine Planung der öffentlichen und halb-öffentlichen Ladeinfrastruktur vorzulegen.
  • Elektrisch betriebene Dienstwagen können unabhängig vom Listenpreis mit einem pauschalen Satz von 0,25 Prozent ihres Bruttolistenpreises versteuert werden, wenn sie bidirektionales Laden unterstützen.
  • Menschen, die in Mehrfamilienhäusern leben, brauchen ebenso Möglichkeiten für heimisches Laden. Hierbei könnten Quartierslösungen mehr Chancen für mehr Technologien in der individuellen Mobilität bieten.
  • Die bereits beschlossene europaweite Harmonisierung und Standardisierung des Bezahlens an öffentlichen und halb-öffentlichen Ladepunkten muss schnellstmöglich umgesetzt werden, um einen Wettbewerb um den besten Preis und nicht die passende Ladekarte zu erreichen.
  • Deutschlands Stellung als Automobilland wird maßgeblich davon abhängen, im Bereich der Batterietechnologie, des Batterierecyclings, dem autonomen Fahren und der Fahrzeugdigitalisierung Maßstäbe im globalen Vergleich zu setzen. Entsprechend sollte die Forschungsförderung einen klaren Schwerpunkt auf diese Bausteine setzen.
  • Die genannten und weitere Maßnahmen sollten sich in einem einheitlichen Gesetz zur Regulierung und Förderung der Elektromobilität wiederfinden, das kurzfristig das bisherige Elektromobilitätsgesetz entfristet (gilt aktuell nur bis 2026) und aufwertet.
  • Innerhalb der Bundesregierung sollte die Förderung der Elektromobilität prominenter als bisher koordiniert werden. Die Aufhängung der Elektromobilität als Teilbereich der für die Wasserstoffförderung gegründeten NOW GmbH wird dem Thema nicht gerecht.

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