DJIR-SARAI/NAAS-Statement: Es braucht ein gemeinsames Verständnis für die migrationspolitische Realität im Land

Im Anschluss an die Sitzung des Präsidiums der Freien Demokraten gaben der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und FDP-Präsidiumsmitglied und Spitzenkandidat zur Landtagswahl in Hessen Dr. Stefan Naas die folgenden Statements ab:

Bijan Djir-Sarai: Meine Damen und Herren, guten Morgen zusammen. Wir haben im Präsidium heute über die wirtschaftliche Entwicklung im Land gesprochen. Das Thema Migration wurde ebenfalls sehr intensiv diskutiert. Wir haben uns heute aber auch mit bildungspolitischen Themen beschäftigt. Dazu haben wir einen Beschluss mit dem Titel „Leistungsprinzip und Chancengerechtigkeit stärken: Für ein modernes und leistungsorientiertes Bildungssystem“ gefasst. Also im Grunde genommen haben wir hier eine echte Bildungsoffensive für Deutschland gefordert. Es geht um die Themen Föderalismus, um höhere Qualitätsstandards für die Bildung und um das Thema Wertschätzung der Leistung im Bildungssystem. Dazu wird jetzt auch mein Kollege Dr. Stefan Naas etwas sagen.

Dr. Stefan Naas: Ja, vielen Dank. Ich will beginnen mit dem hessischen Bildungssystem, das immer mehr absteigt, das nur noch Mittelmaß ist. Sie wissen ja, ich bin Spitzenkandidat der Freien Demokraten in Hessen. Wir haben große Sorge um den Bildungsstandort in Hessen. Wir haben die Situation in Hessen, dass 20 % der Viertklässler nicht mehr richtig lesen können und ein Drittel nicht mehr richtig schreiben kann, und dass wir in Bildungsrankings immer mehr absteigen. Wir sind jetzt auf Platz acht, haben noch mal einen Platz verloren. Und wir sehen, dass die Herkunft von Kindern immer relevanter wird.

Wir wollen das Gegenteil. Wir wollen Bildungsgerechtigkeit und dementsprechend bin ich sehr froh, dass wir jetzt mit dem Startchancen-Programm wirklich etwas auf den Weg gebracht haben, das dem entgegenwirkt und wir Investitionen in den Bildungssektor bekommen, die wichtig sind. So sehen wir aber auch noch mal, an welchen Schulen wirklich etwas von Nöten ist und wo wir was verbessern können. Es sind ja 4000 Schulen insgesamt, die gefördert werden sollen. Wir glauben, dass das auch in Hessen dringend nötig ist, dass wir bisher die Chancen nicht wirklich ausgeschöpft haben. Sie sehen das daran, dass beim Programm des Landes Hessen „Löwenstark“ über 60 Millionen an Landesmitteln noch nicht abgerufen worden sind. Dieses Programm war mal dafür da, die Rückstände aus der Corona-Zeit bei den Schülerinnen und Schülern zu beheben und aufzuarbeiten. Wenn hier aber Mittel nicht abgerufen worden sind und die Landesregierung auch nicht sagen kann, wer überhaupt in den Genuss der abgerufenen Mittel kommt, dann ist das für uns ein Armutszeugnis. Genauso wie die fehlenden Erkenntnisse von Minister Lorz, was den Unterrichtsausfall angeht. Wir erleben das immer wieder im hessischen Landtag. Er kann nicht sagen, wie viel Unterricht in Hessen ausfällt. Und er kann auch nicht sagen, wie viele Lehrer im Moment fehlen. Er sagt zwar immer, er hat genügend Stellen ausgewiesen, aber eine echte Statistik über die fehlenden Lehrerstellen, die kann er bis heute nicht abgeben. Wir sind der Auffassung, dass wir die Selbstständigkeit der Schule stärken müssen, dass wir Investitionen in die Bildung stärken müssen, wie mit dem Startchancen-Programm. Wir wollen natürlich auch die digitale Ausstattung der Schule — auch das finden Sie in diesem Papier wieder — mit dem Digitalpakt 2.0 stärken, der auf jeden Fall kommen muss.

Und wir wollen als Drittes das Leistungsprinzip an den Schulen stärken. Damit meinen wir Schulnoten spätestens ab der dritten Klasse. Ich kann Ihnen sagen — das ist ein ganz wichtiges Element in der Schule. Ich habe eine zehnjährige Tochter. Noten sind schon sehr früh relevant, und sie sind auch wichtig als Erfolgsbelohnung, als Zeichen von Erfolg, von Anstrengung. Es sind Erfolgserlebnisse, die man mit guten Noten hat. Noten sind außerdem notwendig, damit wir uns über Leistungen auch ehrlich austauschen können. Wir haben leider in Hessen einen grünen Teil der Landesregierung, der das Leistungsprinzip an Schulen immer mehr zurückdrängen möchte. Wir haben 21 Schulen in Hessen, die als pädagogisch selbständige Schulen ausgewiesen sind, bei denen es sozusagen experimentell auch Bewertungen ohne Noten gibt. Und die Grünen wollen das in ihrem Wahlprogramm auch vorantreiben. Ich habe Ihnen das hier als entsprechende Stelle mal mitgebracht. Die Grünen schreiben in ihrem Wahlprogramm in Hessen: „Bei der Beurteilung der Schülerinnen und Schüler werden wir deswegen die Methodenvielfalt stärken, klassische Leistungsnachweise wie Klassenarbeiten in ihrer Häufigkeit reduzieren und durch alternative Formate ergänzen. Schulische Konzepte, bei denen die Bewertung mit Noten durch schriftliche Rückmeldung ergänzt oder ersetzt werden, werden wir stärker fördern. Ziffernbenotung vor der 3. Klasse wollen wir abschaffen und durch Entwicklungsberichte ersetzen.“ Da wollen wir das Gegenteil. Wir sehen auch mit Sorge, dass die Leistungen, die sich in Noten ausdrücken, in Hessen immer besser werden, obwohl wir den Eindruck haben, dass dahinter nicht die entsprechenden Leistungen stehen. Was meine ich damit? Damit meine ich die Verdopplung der Note 1,0 im Abitur in den letzten sechs Jahren. Wir hatten 2 % des Abschlussjahrganges 2017, das waren 498 Schülerinnen und Schüler, mit der Traumnote 1,0. Wir haben jetzt sechs Jahre später in Hessen über 1000 Schülerinnen und Schüler mit der Note 1,0. Das sind 4,8 % des Jahrgangs. Wir glauben nicht, dass sich jetzt die Leistungen wirklich um das Doppelte gesteigert haben, sondern wir glauben, dass dahinter schon auch eine gewisse Inflation steht. Und deswegen würden wir gerne auch die Vergleichbarkeit und das Leistungsprinzip an dieser Stelle stärken.

Ich würde gerne noch auf ein zweites Thema eingehen, und das ist das Thema Migration. Auch das war Gegenstand dieser Präsidiumssitzung. Ich glaube, wir haben sehr eindrücklich die Zahlen in Gießen vor Augen. Ebenso wie die Bilder aus Gießen. Gießen ist die zentrale Aufnahmeeinrichtung in Hessen. Wir haben dort mittlerweile über 9000 Flüchtlinge, und wir haben dreifach bis vierfach so hohe Zahlen im Moment wie sonst. Teilweise kommen pro Tag über 300 Menschen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die hessischen Kommunen mit diesen Zahlen überfordert sind und dass wir dringend von diesen sehr hohen Zahlen runterkommen müssen. Deswegen habe ich im Präsidium auch angesprochen, dass ich mich sehr dafür einsetze, dass die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitert wird. Das ist auch hier schon Beschlusslage. Ich habe mich aber auch dafür eingesetzt, dass wir die großzügigen Regelungen zum Familiennachzug aussetzen, um an der Stelle wirklich eine Verschnaufpause zu bekommen. Ich bin darüber hinaus der Überzeugung, dass auch die Geldleistungen, das ist ja die Kompetenz der Länder, ein Ende finden müssen und wir dem Rücktransfer in die Herkunftsländer stärker begegnen müssen. Deswegen sollten wir das, was in Gießen teilweise schon mit verschiedenen Tickets praktiziert wird, ausweiten und hier zu einem anderen Bezahlsystem kommen. Ich kann mir das auch insgesamt für andere Leistungen vorstellen. Für mich wäre es wichtig, dass Menschen, die ausreisepflichtig sind, vielleicht auch eine Reduzierung ihrer Sozialleistungen bekommen, um hier auch einen entsprechenden Druck aufzubauen. Das praktizieren ja andere europäische Länder auch. Das waren Vorschläge von mir, die ich in die Diskussion eingebracht habe, jetzt als Wahlkämpfer in Hessen, aber auch als ehemaliger Kommunalpolitiker. Sie wissen ja, dass ich neun Jahre Bürgermeister war und die Nöte vor Ort kenne. Es ist eine erhöhte Zuweisung von Gießen in die hessischen Kommunen nach dem 8. Oktober zu befürchten. Bis dahin wird man Gießen sozusagen weiter ausbauen. Aber nach dem 8. Oktober wird es stark erhöhte Zuweisungen an die hessischen Kommunen geben. Die werden vor Ort nicht zu schultern sein. Sie sehen ja auch, dass im Moment schon diskutiert wird, ob man Teile der Frankfurter Messe anmietet zur Unterbringung von Flüchtlingen. Ich glaube, dass uns das überfordert und dass wir dringend eine Reduzierung der irregulären Migration nach Hessen und Deutschland brauchen. Vielen Dank.

Bijan Djir-Sarai: Vielen Dank, Stefan. Wenn ich kurz ergänzen darf zu dem Thema Migration bzw zu den migrationspolitischen Herausforderungen, die derzeit im Land existieren. Hier besteht Handlungsdruck. Hier gibt es auch eine enorme Erwartungshaltung aus dem Land heraus, dass nicht nur die Bundesregierung, sondern die Politik insgesamt — also Bund und Länder — die Probleme, die existieren, lösen. Aus meiner Sicht ist es nach wie vor mit Blick auf die Arbeit der Bundesregierung notwendig, dass hier ein gemeinsames Verständnis für die migrationspolitische Realität im Land existiert. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, um diese Herausforderung zu schultern. Die europäischen Erfolge im Bereich der Migration sind seit 2015 außerordentlich bescheiden. Wir haben weiterhin große Hoffnungen, dass wir auf europäischer Ebene einiges gemeinsam erzielen können. Bei dieser Entwicklung darf Deutschland nicht als Bremser auftreten, sondern Deutschland muss einen aktiven Beitrag leisten, um das Thema gesamteuropäisch zu lösen. Aber auch bei anderen Themen, die Stefan gerade angesprochen hat, nämlich der Klassifizierung der sogenannten Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten. Es braucht neben Moldau und Georgien nun also auch eine Erweiterung um Marokko, Tunesien und Algerien.

Ich habe mir am Wochenende sehr intensiv den CSU-Parteitag angeschaut. Aus meiner Sicht ist es notwendig, gerade auch mit Blick auf das Thema Migration, zuzuhören, was aus der Union kommt. Selbstverständlich gibt es da sehr viele Schnittpunkte und auch Themen, bei denen wir denken, dass die Vorstellungen richtig sind. Und ich persönlich teile auch die Auffassung, dass gerade hier die demokratischen Parteien gemeinsam arbeiten müssen. Denn wenn wir diese Herausforderungen nicht lösen, werden nur Populisten in diesem Land davon profitieren, und das wollen wir nicht. Eine Frage habe ich mir allerdings am Wochenende gestellt. Viele Forderungen, die dort kamen, auch von Herrn Merz, kann man bereits auf Länderebene durchsetzen. Da ist die Frage also erlaubt, wie entschlossen wird auf Länderebene eine Politik gemacht, um erfolgreicher bei dem Thema zu sein? Vor allem dort, wo schwarz-grüne Regierungen im Amt sind. Gerade bei den Themen Rückführungen und die Umstellung von Geldleistungen auf Sachleistungen. All diese Dinge kann man schon auf Länderebene umsetzen. Es reicht also nicht, nur am Wochenende knackige Reden zu halten, sondern man kann diese Dinge sehr konkret umsetzen. Und wenn Sie sich die Bilanz schwarz-grüner Landesregierungen anschauen, werden Sie sehen, dass gerade dort sehr viel geredet wird, aber die Umsetzung nicht vorhanden ist. Schauen Sie sich sehr genau die Entwicklung an, wenn es um das Thema Rückführungen geht. Da sind schwarz-grüne Länder nicht sonderlich erfolgreich. Ich kenne das auch aus Nordrhein-Westfalen. Dort reicht es allein, wenn Sie die Bilanz von Schwarz-Gelb bis vor anderthalb Jahren neben die von Schwarz-Grün stellen. Das heißt, all diejenigen, die vor Ort jetzt auch knackige Sonntagsreden halten, sind aufgefordert, die Dinge, die auch umgesetzt werden können, dementsprechend zu realisieren. Ich kann nicht erkennen, dass dort, wo Schwarz-Grün regiert, dieses Thema entschlossen angepackt wird. Übrigens kann man das auch weiter durchdeklinieren, wenn man sich die Verwaltungsebene anschaut. Wie sind die Kommunen ausgestattet? Wie sind die Ausländerbehörden ausgestattet? Auch da sollte man sich sehr genau anschauen, wo Schwarz-Grün in den Ländern regiert, wie das dort gemacht wird. Also da ist einiges möglich und ich glaube, da ist es gut, wenn man handelt und weniger Wahlkampfreden hält.

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