DÜRR-Gastbeitrag: Lotterie ist die schlechteste Lösung

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Dürr schrieb für die „Fuldaer Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit einhergehenden NATO-Luftraumverletzungen, Cyberangriffe und Sabotageakte auf unsere Infrastruktur machen deutlich: Die sicherheitspolitische Lage hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert. Damit verändern sich auch die Anforderungen an die Bundeswehr. Es gilt, die Bundeswehr für den Ernstfall zu rüsten. Wer glaubt, unsere Streitkräfte mit Konzepten aus dem 20. Jahrhundert zu modernisieren, wird der Lage keineswegs gerecht. Gerade in Zeiten hybrider Kriegsführung muss die Bundeswehr eine hochprofessionelle Hightech-Armee mit hochmotivierten, technisch versierten und top ausgebildeten Kräften werden. Wer Deutschland im Ernstfall verteidigen soll, muss dies aus Überzeugung tun – nicht aus Zwang.

Die Forderungen aus der Union nach einer allgemeinen Wehrpflicht erinnern an die Politik, die zu Zeiten der Corona-Pandemie gemacht wurde. Man könnte sie auch mit der Rentenpolitik der Bundesregierung vergleichen: Weil es die Verantwortlichen nicht schaffen, den Staat auf Krisenzeiten vorzubereiten, sollen junge Menschen mit einem Teil ihrer Freiheit bezahlen. Dass Union und SPD nun auch noch auslosen wollen, wer eingezogen werden soll und somit die Zukunft junger Menschen dem Zufall überlassen, hat nichts mit Wehrgerechtigkeit zu tun.

Unbestritten ist, dass die Bundeswehr mehr Personal braucht. Aber statt einer Rückkehr zu einem verpflichtenden Grundwehrdienst muss die Bundeswehr zunächst das Potenzial ausschöpfen, auf freiwilliger Basis zu rekrutieren. Wenn ich mit Schülerinnen und Schülern spreche, ist das Interesse an der Bundeswehr so groß wie nie. Um zu erfassen, welche jungen Menschen eines Jahrgangs sich überhaupt für eine Tätigkeit bei der Bundeswehr eignen, sollte daher eine Musterung für Männer, aber auch für Frauen obligatorisch sein. Dass die Bundesregierung bislang keine Grundgesetzänderung in diese Richtung anstrebt, ist ein deutliches Versäumnis, denn wir können nicht weiter auf eine Hälfte der Bevölkerung verzichten. Die Musterung kann unbürokratisch und ohne den Aufbau großer Verwaltungsstrukturen erfolgen – etwa beim Arzt, an Schulen oder in Ausbildungseinrichtungen.

Durch die freiwillige Rekrutierung könnten Schätzungen zufolge rund 25.000 neue Soldatinnen und Soldaten pro Jahr gewonnen werden – eine realistische Gewinnungsquote von zehn Prozent angenommen. Was zudem viel zu wenig beachtet wird, ist die Tatsache, dass wir im Verteidigungsfall theoretisch mehrere hunderttausend Reservistinnen und Reservisten heranziehen könnten, von denen jedoch nur rund 34.000 im aktiven Dienst sind. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und dem Reservistendienst kann helfen, um so die Zahl zu erhöhen.

Die Bundeswehr muss nicht nur größer, sondern vor allem besser werden. Verteidigung ist ein Job für Fachkräfte. Nur durch eine professionelle Ausbildung der Streitkräfte an Land, auf See, in der Luft und vor allem auch im Cyberraum kann Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden, die Soldatinnen und Soldaten auf komplexe Einsatzszenarien vorzubereiten.

Die Bundeswehr sollte auf freiwillige Rekrutierung setzen. Denn nur, wer aus Überzeugung dient, kann unsere Sicherheit gewährleisten und unsere Freiheit verteidigen – ein ausgeloster Zwang ist dafür keine Lösung.

Zur Übersicht Pressemitteilungen