KUBICKI-Interview: Bremen hat es verdient, besser regiert zu werden

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Nordsee-Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Merlin Hinkelmann.

Frage: Welche Wahl ist wichtiger: die Europawahl oder die Wahl zur Bremer Bürgerschaft?

Kubicki: Beide sind wichtig. Aber für mich ist die Bremer Wahl von großer emotionaler Bedeutung. Weil ich eine enge Beziehung zu unserer Spitzenkandidatin Lencke Steiner habe und beim letzten Mal schon mitgeholfen habe, dass das in Bremen funktioniert.

Frage: Warum braucht es eine FDP in der Landesregierung?

Kubicki: Damit die Schüler hier in der Schule besser ausgebildet werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass Bremen nach so langer sozialdemokratischer Regierung bei Bildungsvergleichen immer auf den letzten Plätzen landet. Und weil ich glaube, dass man mehr für die Infrastruktur machen kann. Ich habe heute von Bremen bis nach Bremerhaven eine Stunde und zehn Minuten gebraucht. Ich kenne keine anderen Städte, wo ich so oft vor roten Ampeln gestanden habe wie in Bremen und Bremerhaven. Das scheint System zu haben.

Frage: Nach aktuellen Umfragen bewegt sich die FDP in Bremen gefährlich nah an der Fünf-Prozent-Hürde. Was machen die Liberalen falsch?

Kubicki: Ich finde Umfragen nicht beeindruckend. In Schleswig-Holstein standen wir 2012 zwei Monate vor der Wahl bei zwei Prozent und holten am Ende 8,2 Prozent. Entscheidend ist die letzte Woche. Gehen Sie mal davon aus, dass wenn am Donnerstag neue Umfragen veröffentlicht werden, wir wieder zugelegt haben.

Frage: Sie kommen aus Schleswig-Holstein, wo Daniel Günther (CDU) ziemlich geräuschlos mit einem Jamaika-Bündnis regiert. Wünschen Sie sich eine solche Koalition auch in Bremen?

Kubicki: Zunächst wünsche ich uns ein gutes Ergebnis der Freien Demokraten. Und ich denke, dass koalitionspolitisch frischer Wind gerade im Land Bremen etwas Gutes ist. Bremen hat es verdient, besser regiert zu werden als gegenwärtig, und zwar in allen Belangen. Wenn Sie sich die Zehnjahresentwicklung des Bruttosozialproduktes anschauen, liegt Bremen weit hinten. Das Steueraufkommen ist hundsmiserabel. Ich glaube, dass Jamaika in Bremen funktionieren kann. Schleswig-Holstein ist ein gutes Beispiel: Wir haben dort einen wirklich ordentlichen Koalitionsvertrag ins Werk gesetzt. Die Stimmung ist gut. Klar, wir haben unterschiedliche Auffassungen in manchen Bereichen. Aber es klappt.

Frage: Im Jahr 2017 hat Ihr Parteichef Christian Lindner die Jamaika-Gespräche auf Bundesebene platzen lassen. Unter welchen Bedingungen tritt die FDP in Bremen in eine Jamaika-Koalition?

Kubicki: Das müssen Sie Lencke Steiner fragen. Ich erteile ihr da von Bundesebene aus keine Ratschläge. Aber für mich ist offensichtlich: Wir müssen im Bildungsbereich mehr machen. Wir brauchen hier eine bessere Lehrer-Ausbildung, mehr Digitalisierung im Unterricht. Die Schulen müssen flächendeckend mit WLAN ausgestattet sein. Das sind die Dinge, auf die es ankommt. Und ansonsten brauchen wir eine bessere Wirtschaftspolitik, weniger Bürokratie, ein wirtschaftsfreundlicheres Klima, damit sich Unternehmen hier besser entfalten und vernünftige Arbeitsplätze schaffen können.

Frage: Bürgermeister Carsten Sieling hat Gespräche mit der CDU nach der Wahl kategorisch ausgeschlossen. Frau Kramp-Karrenbauer hat dieses Verhalten als arrogant bezeichnet. Ist die SPD arrogant?

Kubicki: Martin Schulz hat im Bund auch eine große Koalition ausgeschlossen und zum Schluss war die SPD in einer solchen. Ob Herr Sieling nach der Wahl selbst noch über Koalitionsbildungen entscheidet, ist übrigens nicht ausgemacht.

Frage: Ist es nun arrogant oder nicht?

Kubicki: Nein, ich würde eher sagen, dass die Halbwertszeit einer solchen Aussage kurz sein kann. Man kann schon sagen, was man politisch will, aber wird anschließend gemessen an den Möglichkeiten. Wenn Carsten Sieling nur noch im Amt bleiben kann, wenn es eine große Koalition gibt, dann wird er das machen.

Frage: Frau Kramp-Karrenbauer sagt, sie arbeite nicht auf einen vorzeitigen Wechsel im Kanzleramt hin.  Glauben Sie ihr?

Kubicki: Selbst wenn sie wollte, könnte sie es nicht. Die Verfassung ist ein wundersames und wundervolles Konstrukt: Selbst wenn Angela Merkel zurücktreten würde, würde sie im Amt bleiben, bis ein neuer Kanzler gewählt ist. Und da die SPD erklärt hat, sie werde Frau Kramp-Karrenbauer nicht mitwählen, fehlen ihr dafür die Mehrheiten.

Frage: Mit Angela Merkel wollten Sie am Ende kein Regierungsbündnis. Würde sich mit Frau Kramp-Karrenbauer an der Spitze etwas ändern?

Kubicki: Auch das kann ich nicht beantworten. Gerade im gesellschaftspolitischen Bereich wird es sehr viele Diskussionen geben. Frau Kramp-Karrenbauer hat immer noch Vorbehalte gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Sie ist gesellschaftspolitisch eher auf dem rechten Flügel unterwegs, fast schon reaktionär. Vielleicht muss sie das machen, um einen Teil der CDU, die Werte-Union, ruhigzustellen.

Frage: Der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtskonservativen FPÖ ist am Wochenende von seinen Ämtern zurückgetreten. Wegen eines Videos, das ihn mit einer angeblichen russischen Investorin zeigt. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das Video gesehen haben?

Kubicki: Ich habe mich gefragt: Was hat der genommen? Ich bin seit fast 30 Jahren in Parlamenten und seit 48 Jahren in der FDP. Ich würde nie auf die Idee kommen, mich auf so ein Gespräch einzulassen. Weder vertraulich noch sonst wie. Weil man sich so immer in die Hand des jeweils anderen begibt. Die Unverfrorenheit, mit der man hier Staatsaufträge versprochen hat, hat eine besondere Qualität und wird sicher strafrechtliche Ermittlungen zur Folge haben. Es ist erschreckend, zu sehen, wie man Wahlkampf-Spenden an gesetzlichen Regelungen vorbeischleusen kann. Was ja auch die AfD gemacht hat. Die haben fast 500 000 Euro aus ausländischen Quellen bekommen, ohne es offenzulegen.

Frage: Apropos: Auch Ihre Generalsekretärin Linda Teuteberg hat Parallelen zwischen FPÖ und AfD gezogen. „Der falsche Patriotismus, den viele Rechtspopulisten vor sich hertragen, ist hier erstmals in voller Schäbigkeit entlarvt worden“, sagte sie. Unterschreiben Sie das?

Kubicki: Eher nicht. Denn ich glaube nicht, dass die AfD eine patriotische Partei ist. Wenn man nur Deutschland im Mund hat, ist man noch kein Patriot. Patriot ist man dann, wenn man sein Land nicht nur liebt, sondern vor allem auch weltoffen hält und die Menschen im Land respektiert. Was die AfD macht, ist kein Patriotismus, sondern Nationalismus.

Frage: Für wie politisch halten Sie die heutige Jugend?

Kubicki: Für genauso politisch wie die Jugend vor 30 Jahren. Es gab keine Generation, die wirklich unpolitisch war. Ich bin groß geworden in der Zeit der 68er. Da war Politisierung im Prinzip nichts anderes als die Abnabelung von älteren Generationen. Zu meiner Zeit sind wir gegen Atomkraftwerke auf die Straße gegangen, gegen den NATO-Doppelbeschluss. Und heute geht es eben um Klimaschutz und die Endlichkeit unserer Ressourcen.

Frage: Seit Monaten schon protestieren die „Fridays for Future“-Aktivisten für den Klimaschutz. Wie blicken Sie auf die Protest-Bewegung?

Kubicki: Ich finde es toll. Ich habe nur bei meinen Demonstrationen gelernt, dass es nicht auf die Uhrzeit ankommt, sondern auf die Anzahl der Menschen. Man muss das nicht immer freitagsmorgens machen. Aber ich bin da tiefenentspannt. Weil ich finde, dass sie relativ viel erreicht haben für die Größe der Bewegung. Ich finde es nur komisch, dass die Kanzlerin hier gegen ihre eigene Politik demonstriert.

Frage: Sie haben kürzlich in einem Kommentar der „Welt“ geschrieben: „Ob eine Maßnahme wie das EU-weite Strohhalmverbot ab 2021 als umweltpolitisches Vorbild angesehen wird, darf angezweifelt werden.“ Sind kleine Schritte nicht besser als gar keine?

Kubicki: Das ist reine Symbolpolitik. Dass wir versuchen, Plastiktüten aus dem Verkehr zu nehmen, ist ja in Ordnung. Doch als Nächstes kommt man auf die Idee, Kondome zu verbieten, weil die aus Kautschuk sind, also auch nicht verwittern können. 85 Prozent des Plastiks, das über Flüsse in die Weltmeere gelangt, kommt aus dem asiatischen Raum. Dann ist die Frage, ob wir Plastikstrohhalme verbieten, vielleicht interessant, aber faktisch eine nachrangige.

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