LAMBSDORFF-Interview: Der Druck muss aufrechterhalten werden

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab „SWR2“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Mirjam Meinhardt:

Frage: Der polnische Präsident Duda galt lange als Marionette des Chefs der polnischen Regierungspartei. Wie sehr hat sie das Veto Dudas überrascht?

Lambsdorff: Also dieses Veto kam für uns in Brüssel alle überraschend, manche sprachen sogar davon, das sei die Geburtsstunde des Präsidenten Duda. Also eines Präsidenten aller Polinnen und Polen. Das war tatsächlich der Abschied davon, dass er sozusagen immer nur genau das umsetzte, was die Partei von Herrn Kaczynski wollte. Eine Überraschung in jeder Hinsicht.

Frage: Also das heißt, Sie gehen auch davon aus, dass das Veto des polnischen Präsidenten tatsächlich darauf begründet ist, dass er selbst Bedenken hat. Das ist kein Schachzug, um jetzt Druck aus dem Kessel zu nehmen?

Lambsdorff: Ich glaube, darüber sollte man nicht spekulieren. Da müssten wir sozusagen psychologische Studien aus der Ferne betreiben. Sondern wir sollten es als das nehmen, was es ist. Es ist ein Bremsen dieser verfehlten Reform. Es ist Kritik an diesem Projekt, das genau das wiederspiegelt, was wir ja vom Europäischen Parlament, was wir aus der Europäischen Kommission gehört haben, nämlich, dass hier die Gewaltenteilung in Polen ernsthaft in Gefahr geriete, wenn die Gesetze unterzeichnet würden. Und ich glaube, das sollte man zunächst einmal positiv würdigen. Das ist eine wirklich gute Entwicklung in unserem Nachbarland und natürlich ist es klar, dass die Regierungsmehrheit erst mal an ihrem Projekt festhält. Das ist ja klar, das ist politisch genauso auch intoniert worden in Warschau. Aber dennoch, es ist ein guter Schritt – ich hoffe, dass er über den Sommer auch halten wird.

Frage: Das wird die Frage sein, ist es ein guter Schritt, ist es ein Etappenziel oder ist es eben nur ein Verzögern. Letzte Woche hatte Vize-Kommissionspräsident Timmermans ja in Aussicht gestellt, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, möglicherweise auch ein Verfahren nach Artikel sieben, was dann den Stimmrechtsentzug unter Umständen zur Folge hätte. Dudas Entscheidung jetzt soll natürlich auch in die Überlegungen mit einbezogen werden. Wie grundlegend sehen Sie denn jetzt eine neue Situation?

Lambsdorff: Also, eines von den drei zur Diskussion stehenden Gesetzen hat er ja unterschrieben, dass er der Regierung die Möglichkeit einräumt, die Präsidenten der unteren Gerichte auszuwechseln, beziehungsweise zu ernennen. Aber die beiden wirklich entscheidenden Gesetze hat er evitiert, insofern sehe ich im Moment keine Notwendigkeit für ein Vertragsverletzungsverfahren. So sieht man es auch in der Kommission. Wir haben ja eben vom Korrespondenten auch gehört in den Nachrichten, dass die Europäische Kommission zwar die Vorbereitungen weitertreibt, also dem Braten noch nicht so ganz traut, wenn man so will, das heißt, das Vertragsverletzungsverfahren kann für den Fall, dass es doch zu einer Fehlentwicklung kommt, über den Sommer ganz kurzfristig angeleiert werden. Aber ich glaube, dass im Moment, jetzt in dieser Situation, die Eröffnung dieses Verfahrens sofort, nicht begründbar wäre, schließlich treten die Gesetze ja auch nicht in Kraft.

Frage: Aber die polnische Regierungschefin hat schon erklärt, dass das Veto die Reform nur verzögern würde. Das hört sich ja nicht gerade nach Einsicht an, oder?

Lambsdorff: Nein, man kann Frau Premierministerin Szydlo auch keine Einsichtsfähigkeit unterstellen. Sie ist diejenige, die das vollstreckt, was der Vorsitzende ihrer Partei, der Partei Recht und Gerechtigkeit, der PIS, Jaroslaw Kaczynski vorgibt, und sie ist ganz klar mit dem Auftrag unterwegs, hier die Gewaltenteilung auszuhebeln. Das heißt, hier haben wir einen Konflikt zwischen verschiedenen Verfassungsorganen in Polen. Aber das ist in einer Demokratie auch genauso angelegt. Das kennen wir ja auch, dass zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundestag oder der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten mal Uneinigkeit herrscht – das ist normal. Dass jetzt hier die polnische Regierung auf ihrer Position beharrt, das überrascht mich nicht. Und deswegen, es ist ja auch richtig, dass die Kommission, sozusagen in den Startlöchern steht für den Fall, dass über den Sommer tatsächlich die Entwicklung in die falsche Richtung geht.

Frage: Und der Druck sollte auch aufrechterhalten werden?

Lambsdorff: Ja, ich glaube, der Druck muss aufrechterhalten werden. Ich glaube, da muss man mal vielleicht einen Schritt zurückgehen und noch einmal auf die Gesamtlage schauen. Es ist ja schon bemerkenswert, Präsident Duda kommt genauso aus der PiS-Partei, wie Frau Szydlo, wie Herr Kaczynski, wie alle anderen auch. Es ist ja völlig unvorstellbar, dass er dieses Veto eingelegt hätte, wenn es nicht den Druck von außen aus der Europäischen Union gegeben hätte, wenn es nicht die Demonstrationen auf den Straßen gegeben hätte in vielen polnischen Städten, organisiert vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie dort. Die Kirche in Polen und die Liberalen sind sich völlig einig in ihrer Kritik an dieser Reform. Die Richter des Obersten Gerichts selber, also die professionellen Juristen, sind sich da einig. Duda ist sozusagen unterstützt von einer wirklich breiten, ja Bewegung kann man schon fast sagen, ermächtigt und gestärkt worden, aber Auslöser und am Beginn stand eben auch der Druck der Europäischen Union. Ich glaube, das ist wichtig, das sollte man mal hier festhalten, weil manche ja sagen, naja, die Maßnahmen, die die Europäische Union hat, sind ja gar keine Zwangsmaßnahmen, das kann ja zu nichts führen. Wir sehen da zumindest mal eine Verlangsamung, vielleicht sogar eine Veränderung zum Guten, die sich hier eingestellt hat.

Zur Übersicht Pressemitteilungen