LAMBSDORFF-Interview: Ein völlig offenes Rennen
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Sandra Schulz:
Frage: An der Spitze des Europäischen Parlaments wird künftig niemand stehen, dessen Name hinter verschlossenen Türen ausgekungelt wurde. Wagt das Europäische Parlament mehr Demokratie?
Lambsdorff: Wenn Sie so wollen ja. Es ist ein völlig offenes Rennen, eine neue Situation. Es gab ja am Anfang der Legislaturperiode ein informelles Abkommen zwischen den beiden großen Fraktionen Christdemokraten und Sozialdemokraten, dass man sich gegenseitig unterstützt bei den beiden Hälften des Parlaments, jeweils den Präsidenten zu stellen. Das Abkommen ist kollabiert, die Sozialdemokraten fühlen sich nicht länger daran gebunden und in dem Moment wurde hier das offene Rennen eröffnet.
Frage: Und das ist gut?
Lambsdorff: Ich glaube, es ist insofern gut, als dass es tatsächlich einen Wettbewerb auch um Inhalte gibt. Wir haben gestern Gespräche geführt als Liberale jetzt mal mit den Christdemokraten. Da geht es darum zum Beispiel, was will man inhaltlich gemeinsam erreichen, wenn man den Kandidaten der Christdemokraten unterstützt. Da kann man reden über Vorbereitungsgruppe für einen Konvent zur Reform der Europäischen Union. Dass die Reform notwendig ist, bestreitet niemand, aber gerade die Mitgliedsstaaten sind beim Konvent so skeptisch. Wie geht es weiter mit der Eurozone? Wie wird das Europäische Parlament in den Brexit eingebunden? Es gibt eine ganze Reihe auch inhaltlicher Punkte, die jetzt hier neben der Frage diskutiert werden, aber natürlich im Zusammenhang damit, wer denn der nächste Präsident des Hauses werden soll.
Frage: Jetzt hatten Sie diesen Pakt gerade zitiert zwischen Konservativen und Sozialisten. Da hatten die Liberalen ja auch mitgemacht. Wenn Sie jetzt sagen, das ist eigentlich gar nicht schlecht, dass dieser Pakt gescheitert ist, warum haben Sie dann da erst mit unterschrieben oder Ihr Vorsitzender Verhofstadt?
Lambsdorff: Guy Verhofstadt ist ein paar Wochen später diesem Pakt beigetreten, aus einem Grund, und zwar ging es darum, die damals ja im Parlament neu vertretene Fraktion oder sich bildende Fraktion der Rechtsradikalen fernzuhalten von repräsentativen Positionen im Parlament und auch Nigel Farage, den Anführer der UKIP. Es war eine Vereinbarung zwischen verschiedenen Fraktionen, sich darauf zu einigen zu sagen, Leute, die Europa aufs Blut bekämpfen, die sollten keine Positionen im Europäischen Parlament bekommen, bei denen sie quasi gegen ihre eigene Überzeugung ja proeuropäisch auftreten müssten. Insofern gab es da diesen Beitritt. Aber auch das ist inzwischen Geschichte, Wasser unter der Brücke. Dieser Pakt, den gibt es nicht mehr.
Frage: Jetzt wird es möglicherweise ja so sein, wenn wir rein auf die Mehrheitsverhältnisse schauen, dann hat ja Antonio Tajani die besten Chancen. Das ist der Kandidat der Konservativen. Das ist gleichzeitig der Pressesprecher von Silvio Berlusconi. Und es könnte sein, dass er auch Stimmen bekommt aus diesen Reihen, die Sie gerade zitieren, von den Euroskeptikern. Ist das jetzt die Trumpisierung Europas?
Lambsdorff: Nein, das ist es nicht, und Antonio Tajani war mal der Pressesprecher von Silvio Berlusconi. Er war zwischendurch natürlich schon lange Jahre europäischer Kommissar für die Industriepolitik. Es ist ein erfahrener Mann. Gianni Pittella, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, führt ja auch einen sehr engagierten Wahlkampf. Alle Fraktionen haben Kandidaten. Wir als Liberale haben mit Guy Verhofstadt den ehemaligen Premierminister Belgiens im Rennen. Auch die Grünen haben jemanden aufgestellt, die Konservativen. Das Interessante ist ja folgendes: Wir haben 751 Abgeordnete im Europäischen Parlament. Aber selbst die größte Fraktion, die Christdemokraten haben 217. Das heißt, die Allianzbildung, die jetzt gerade auch läuft, und die Gespräche, die jetzt gerade laufen, sind absolut notwendig. Man muss über Fraktionsgrenzen hier miteinander reden, wie man sich inhaltlich sortiert und was dann daraus folgt für die Verteilung der Positionen.
Frage: Alexander Graf Lambsdorff, wir müssen heute Morgen noch auf ein anderes Thema schauen. In London zeichnet sich jetzt ab, dass Premierministerin May ihr Land aus dem Binnenmarkt herausführen will, dass sie den harten Brexit will. Vor ihrer Grundsatzrede, die sie heute ja halten will, da zitiert heute Morgen schon der „Daily Telegraph“ aus ihrem Redemanuskript. Wie schätzen Sie diese Meldungen ein?
Lambsdorff: Überhaupt nicht überraschend. Der sogenannte „Soft Brexit“, der weiche Ausstieg nach dem Motto, Großbritannien verlässt zwar die Europäische Union, bleibt aber im Binnenmarkt, erlangt gleichzeitig die Freiheit von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes und kann sich verabschieden aus der Personenfreizügigkeit, das war immer eine Schimäre. Es hat nie eine reale Option für diesen sogenannten „Soft Brexit“ gegeben. Das heißt das, was heute als harter Brexit bezeichnet wird, ist der einzige gangbare Weg, nämlich zu sagen, wenn wir als Großbritannien die Einschränkungen bei der Personenfreizügigkeit, einer der vier Freiheiten des europäischen Binnenmarktes, wenn wir mit denen wirklich ernst machen wollen, dann ist es vollkommen unmöglich, irgendetwas anderes zu diskutieren als den harten Brexit. Insofern geht es mir jetzt gar nicht so sehr um das Ob des harten Brexit, sondern das Wie. Welche Verhandlungslinie gibt Frau May vor? Welche anderen Fragen will sie erörtern? Wo setzt sie die Prioritäten für die kommenden Verhandlungen? Wir hören ja aus Großbritannien mal diese Äußerung, mal jene. Aber ein zusammenhängendes Konzept haben wir bisher nicht gesehen. Deswegen: Ich freue mich auf die Rede. Die Rede muss jetzt dieses Konzept hoffentlich liefern. Und dann kann man auch endlich in ernsthafte Gespräche eintreten.
Frage: Und damit, dass es zuletzt Freundlichkeiten aus Washington gegeben hat, von Donald Trump, dem President-elect der Vereinigten Staaten, der die Spalter hier in Europa ja ganz entschieden unterstützt, den Zusammenhang sehen Sie nicht?
Lambsdorff: Nein, ich sehe da keinen Zusammenhang. Die Rede von Frau May, da wurde lange dran geschrieben, bevor bekannt wurde, dass President-elect Trump in der „Times“ und in der „Bild“ dieses Interview gegeben hat. Ich würde da keinen zu engen Zusammenhang sehen. Ich glaube, dass Donald Trump in Sachen Europäischer Union auf die falschen Leute hört. Der eben schon erwähnte Nigel Farage war ja bei ihm im Trump Tower. Ich glaube, wer den als Kompass nimmt für seine eigene Europapolitik, der wird sich notwendigerweise da noch mal überlegen müssen, ob das wirklich der beste Ratgeber ist. Die Europäische Union wird den Brexit überstehen und wir werden mit den Amerikanern gut zusammenarbeiten. Das wird auch Donald Trump irgendwann verstehen.
Frage: Und das sagen Sie auch nicht, obwohl Donald Trump gestern seine Einschätzung abgegeben hat, Europa, die Europäische Union, das sei ohnehin für Deutschland nur ein Mittel zum Zweck?
Lambsdorff: Nein. Das ist eine Formulierung, die wir so schon auch von den Euroskeptikern kennen, dass die Europäische Union ein Hebel sei, um Deutschlands Macht in Europa zu vergrößern. Wenn man sich die Geschichte der Europäischen Union und ihre ganze Entwicklung anschaut, dann sieht man doch sofort, dass das überhaupt nicht der Fall ist. Es geht im Wesentlichen im Kern noch immer um die Friedenssicherung auf unserem Kontinent durch den friedlichen Interessenausgleich unserer Mitgliedsstaaten, durch eine Demokratisierung über das Europäische Parlament und eine gemeinsame Rechtsordnung, die die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof garantieren. Diese Formulierung dort ist aus der populistischen Mottenkiste genommen. Das liegt einfach daran, dass Trump zu lange mit Nigel Farage Kaffee getrunken hat.