LINDNER-Gastbeitrag: Ein pragmatischer Sozialdemokrat

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner schrieb für die „Welt“ heute den folgenden Gastbeitrag:

Wolfgang Clement feiert an diesem Dienstag seinen 80. Geburtstag. Ich gratuliere ihm hierzu herzlich. Persönlich kenne ich ihn seit dem Jahr 2000. Er war Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen – ich war als jüngster Abgeordneter mit 21 gerade in den Landtag eingezogen. Wolfgang Clement habe ich als leidenschaftlichen Redner erlebt, der keiner Debatte aus dem Weg ging. Ich erinnere mich an eine meiner ersten Parlamentssitzungen in Düsseldorf: Scharfzüngig zerriss er die Entgegnung der FDP auf seine Regierungserklärung in der Luft. Peinlich berührt, schlichen wir als FDP-Abgeordnete uns danach aus dem Plenarsaal hinaus, so sehr saß seine Replik.

Schon damals trieb ihn der politische Ehrgeiz an, unser Land zu erneuern, auch wenn es mitunter wehtat. Zunächst in Nordrhein-Westfalen, wo er sich schon als Minister unter Johannes Rau mit dem Strukturwandel an Rhein und Ruhr beschäftigte. Später dann als Superminister für Wirtschaft und Arbeit in Berlin. Ein interessanter Ressortzuschnitt übrigens, der abbildete, dass starke Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze zwei Seiten einer Medaille sind. Der Reformstau war unverkennbar, den Wolfgang Clement 2002 vorfand. Gegen viele Widerstände auch aus seiner eigenen Partei machte er sich um eine Reform verdient, die Deutschland dann vom Ruf des „kranken Manns Europas“ erlöste.

Bis heute werden seine Leistungen im Zusammenhang mit der Agenda 2010 leider nicht ausreichend gewürdigt. Von seinen Arbeitsmarktreformen profitieren wir bis heute. Sie sind eben nicht nur mit Gerhard Schröder verbunden. Neidvoll schaute man in den 90ern von NRW aus in die Niederlande, wo es viel mehr Flexibilität gab. Wolfgang Clement war damals insofern Vordenker, als dass er sich vom „Normalarbeitsverhältnis“ als Leitbild gelöst hatte. Neue flexible Arbeitszeitmodelle brachten auch gesellschaftspolitisch Fortschritt. Die Erwerbschancen zum Beispiel von Frauen verbesserten sich, die Arbeitslosigkeit sank. Wer die Agenda 2010 allein auf Hartz IV reduziert, übersieht all dies.

Wolfgang Clement steht mit seiner Biografie auch für einen großen politischen Umbruch in unserem Land. Ich habe ihn im Jahr 2000 als pragmatischen Sozialdemokraten kennengelernt. Klassisch sozialdemokratisch basiert sein Leistungsethos auf Arbeit und Bildung, nicht auf Umverteilung. Leistung muss sich lohnen. Ich persönlich bin mir sicher: Eine Partei, die die Mitte der Gesellschaft anspräche, ihren sozialen Aufstieg organisieren will, die auf Toleranz und Völkerverständigung setzt, aber auch die wirtschaftliche Vernunft nicht aus den Augen verliert, würde dringend weiter gebraucht. Stattdessen beobachten wir heute eine SPD, die oft linker als die Linkspartei und grüner als die Grünen sein will – ein Umstand, den Wolfgang Clement früher als andere erkannte und der ihn schmerzte.

Wäre Wolfgang Clement heute Bundeswirtschaftsminister, dann wüsste er, was jetzt zu tun ist. Er weiß, dass Wohlstand und eine gute soziale Absicherung nur dann von Dauer sind, wenn unsere Wirtschaft Luft zum Atmen hat und wettbewerbsfähig ist. Aktuell erleben wir eine Krise, die mit dem Handlungsdruck des Jahres 2002 vergleichbar ist. Auch jetzt wieder bräuchten wir den Mut zu Reformen, eine echte Entlastung bei Bürokratie und Steuern und die Rücknahme von staatlicher Regulierung dort, wo sie nicht notwendig ist. Wolfgang Clements ehemalige Partei hat leider nichts davon im Angebot. Im Gegenteil: Die Corona-Krise droht zur Initialzündung für immer neue staatliche Lenkungsfantasien zu werden.

Natürlich, das gebe ich zu: Es hätte mich in den vergangenen Jahren schon mal gereizt, Wolfgang Clement zu fragen, ob er nicht Mitglied bei den Freien Demokraten werden möchte. Schließlich hat er in der Vergangenheit mehrmals zur Wahl der FDP aufgerufen. Ich habe ihn dennoch nie gefragt. So sehr Wolfgang Clement mit seiner früheren Partei haderte, so sehr ist ihm auch im Gedächtnis geblieben, welch politischer Werdegang ihm ermöglicht wurde. Wolfgang Clement ist auch insofern immer ein Ehrenmann geblieben.

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