LINDNER-Interview: Zurück zum demokratischen Alltag

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Rheinischen-Post“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Gregor Mayntz und Eva Quadbeck.

Frage: Herr Lindner, Deutschland hat die niedrigste Covid-19-Sterblichkeitsrate. Ist es Zeit, die Regierung zu loben?

Lindner: Die staatliche Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Ländern und Gemeinden hat gut reagiert. Vor allem waren die Menschen verantwortungsbewusst. Darauf können wir aufbauen. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie-Bekämpfung sind aber leider größer, als sie sein müssten. Der Strategiewechsel auf Hygiene- und Abstandsregeln im Alltag, auf regionalisierte Zugänge und auf digitale Möglichkeiten der Nachverfolgung wäre nämlich früher möglich gewesen. Aber schauen wir nach vorn. Corona ist regional von den Behörden beherrschbar. Der epidemische Fall von nationaler Tragweite kann beendet werden, so dass die Sonderrechte der Bundesregierung wieder an das Parlament zurückgehen sollten. Wir können zum demokratischen Alltag zurück.

Frage: Haben Sie die Corona-App schon heruntergeladen?

Lindner: Ja, und ich empfehle das allen Bürgerinnen und Bürgern. Da die Datenschutzgrundverordnung auch für die Corona-App gilt, habe ich keine Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre. Dass es damit so lange gedauert hat, spricht übrigens für die Einrichtung eines spezialisierten Digitalministeriums, um solche Vorgänge zu beschleunigen.

Frage: Finanzminister Scholz plant 220 Milliarden Euro neue Schulden. Hätte auch weniger gereicht?

Lindner: Ja, die Schulden sind zu hoch. Das muss alles einmal zurückgezahlt werden. Man sollte also bei jeder Maßnahme fragen, ob sie wirklich Arbeitsplätze sichert und Strukturprobleme beseitigt. Zum Beispiel bin ich von der befristeten Senkung der Mehrwertsteuer nicht überzeugt. Es wäre besser gewesen, auf Dauer kleine und mittlere Einkommen bei der Lohn- und Einkommensteuer zu entlasten. Das hätte die Zuversicht der Menschen gestärkt, statt mit riesigem Bürokratismus die Mehrwertsteuer vorübergehend zu senken. Gleichzeitig nehmen wir viel mehr Schulden auf als nötig, weil die Asyl-Rücklage nicht aufgelöst wird. Das sind knapp 50 Milliarden Euro. Kein Kaufmann würde Schulden machen, wenn er noch eine Rücklage hat. Offenbar will sich Herr Scholz hier eine Kasse für Wahlgeschenke im kommenden Jahr anlegen.

Frage: Damit der Bund 75 Prozent der Kosten der Unterkunft von Sozialleistungsbeziehern tragen kann, braucht es eine Grundgesetzänderung. Macht die FDP mit?

Lindner: Ja, für dieses Vorhaben werden wir den Weg freimachen. Die Kommunen werden so entlastet und erhalten finanzielle Spielräume. Wenn wir über Kitas und Schulen sprechen, geht es auch immer um Investitionen durch die Kommunen. Ich hoffe, dass damit vor Ort gezielt die Bildungsinfrastruktur verbessert wird. Für den Rheinisch-Bergischen Kreis zum Beispiel, wo ich meinen Wahlkreis habe, macht das pro Jahr bis zu 14 Millionen Euro aus. Damit kann man schon etwas anfangen.

Frage: Sind weitere Korrekturen im Verhältnis von Bund, Ländern und Kommunen nötig?

Lindner: Der Vorschlag der Regierung ist ein Anlass, um über die Gemeindefinanzen insgesamt zu sprechen. Wir brauchen ohnehin eine weitere Reform des Föderalismus, um unseren Staat zu modernisieren. Ganz deutlich wird das im Bildungsbereich. Der Wettbewerb zwischen 16 Ländern in der Schulpolitik bringt nicht mehr Qualität, sondern Reibungsverluste. Von Umzügen von Familien über Landesgrenzen will ich gar nicht erst sprechen. Die Digitalisierung der Didaktik und der Lehrpläne gelingt schneller, wenn man einen einheitlichen Rahmen setzt. Deutschland sollte nationale Bildungsstandards schaffen und national vergleichbare Abschlussprüfungen, die uns auch international wieder an die Spitze führen. Das müsste das Mondfahrtprojekt unserer Gesellschaft sein.

Frage: Haben wir wegen des Föderalismus nur so mickrige Ergebnisse bei der Digitalisierung unserer Schulen?

Lindner: Das ist sicher ein bremsender Faktor. Es geht mir nicht um Zentralisierung, es geht um einen neuen Aushandlungsprozess: Was wird lokal in der einzelnen Schule verantwortet? Und welchen Bildungsstandard haben wir national für Deutschland? Eine Bildungscloud macht dann Sinn, wenn sie
bundeseinheitlich organisiert ist. Mein Wunsch wäre, mehr Verantwortung, auch mehr finanzielle Eigenmittel, in die einzelne Schule zu geben und auf der anderen Seite mehr Vergleichbarkeit und gesamtstaatliche Verantwortung festzulegen.

Frage: Welche Hausaufgaben haben die Länder in den Sommerferien, damit es danach besser läuft?

Lindner: Sie werden vor allem den Alltag in den Schulen digitalisieren müssen. Das wird eine Aufgabe sein, die über die Schulferien hinausreicht. Denn da sind über Jahrzehnte Defizite entstanden, die Stück für Stück abgebaut werden müssen. Unsere NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer geht hier mit gutem Beispiel voran. Der Bund darf die Länder aber nicht alleinlassen. Dafür brauchen wir eine bundesweite Koordinierung in einem Bildungsrat. Die Länder, der Bund und Experten sollten darin über gemeinsame Standards sprechen.

Frage: Machen Ihnen Umfragen zwischen vier und sieben Prozent Sorgen?

Lindner: Die Frage ist, wer sich im Moment wirklich überlegt, wen er im September 2021 wählen will. Wir beteiligen uns deshalb ganz sachlich an den Debatten. Die Wahrnehmung hat sich in den letzten Monaten auf die Regierung konzentriert. Alle Oppositionsparteien haben das zu spüren bekommen. Vor allem war der Charakter des strengen Landesvaters populär, nicht unser Eintreten für Freiheitsrechte und Öffnungen. Wir sahen das trotzdem als unsere Aufgabe an, selbst wenn man dafür nur wenig Applaus bekam.

Frage: Wollen Sie nach der nächsten Wahl denn tatsächlich regieren?

Lindner: Ja, genauso wie nach der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nur müssen die Inhalte stimmen. Wir haben gute Beiträge für die Zukunftsfähigkeit, für Arbeitsplätze, für Digitalisierung. Die Frage nach bürgerlichen Freiheitsrechten und nach der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe ist nicht nur bei der Pandemie-Bekämpfung wichtig, sondern auch in der Wirtschaft. Der Staat lässt seine Tentakel immer tiefer hineinwachsen, verstaatlicht Unternehmen, verschuldet sich. Das alles verändert das Verhältnis
zwischen Bürger und Staat. Deutschland braucht hier dringend Alternativen.

Frage: Ihre Vorgänger waren im Schnitt 4,8 Jahre Parteichef. Sie sind es seit 2013. Denken Sie daran, das Feld für eine Nachfolge zu bereiten?

Lindner: Nun ja, ich bin 41 Jahre alt und hochmotiviert. Mein Ziel ist es, die FDP in Regierungsverantwortung zu führen und etwas für das Land zu bewirken. Ich sehe es als meinen Auftrag, die FDP im Bund wie hier zuvor in Nordrhein-Westfalen erkennbar als Gestaltungsfaktor in einer Regierung zu platzieren. Dieser Auftrag ist noch nicht erledigt.

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