RÜLKE-Interview: Autoarbeiter sind Schwarz-Rot egal

FDP-Präsidiumsmitglied, Sprecher der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz und FDP-Spitzenkandidat zur baden-württembergischen Landtagswahl 2021 Dr. Hans-Ulrich Rülke gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Freitags-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Christoph Link, Christian Gottschalk und Wolfgang Molitor.

Frage: Herr Rülke, Sie vertreten die Partei der Freiheit, ist das Motto in der Corona-Zeit überhaupt aufrecht zu erhalten? Selbst ihr Bundesvorsitzender Christian Lindner hat beispielsweise früh die Pflicht zum Corona-Test bei der Rückkehr aus bestimmten Urlaubsregionen verlangt?

Rülke: In der Tat wünschen sich viele Menschen in der Corona-Zeit – ich denke eine breite Mehrheit – den starken schützenden Staat. Das ist keine Hochkonjunktur für Liberale, die die Freiheitsrechte in ihrer DNA haben. Aber wir brauchen diejenigen, die darauf hinweisen, dass die Politik die Einschränkung von Bürgerrechten stets neu rechtfertigen muss und nicht umgekehrt die Bürger rechtfertigen müssen, warum sie Freiheitsrechte in Anspruch nehmen. Wir treten für den Gesundheitsschutz ein und tragen gegebenenfalls einen Lockdown mit. Aber wir fragen praktisch jeden Tag aufs Neue, ob die Einschränkung von Rechten noch notwendig ist. Das ist unser Kompass.

Frage: Wie sehen Sie die Stimmung in der Bevölkerung. Haben Sie den Eindruck, dass das Krisenbewusstsein verblasst, dass die Leute wieder feiern, dass die Angst um Jobs und Finanznot nachlässt? Dass Leichtsinn zurückkehrt?

Rülke: Corona führt zu wirtschaftlichen Verwerfungen. Es scheint aber bei den allermeisten der Eindruck vorzuherrschen, dass es sie nicht persönlich betrifft. Es ist ein abstraktes Gefährdungsgefühl. Ich bin kein Prophet, aber ich befürchte, das wird sich ändern, wenn wir im Herbst eine Welle von Insolvenzen bekommen.

Frage: Können Sie den geschilderten Konflikt mal konkret am Beispiel erläutern: Sehen Sie dieses Jahr Weihnachtsmärkte?

Rülke: Das weiß ich noch nicht, es wird vom Konzept für diese Märkte abhängen. Aber mir kann keiner erklären, warum man Freizeitparks wie den Europa-Park Rust mit Tausenden von Besuchern eröffnen kann und Weihnachtsmärkte nicht. Die Abstandsregeln müssen vernünftig eingehalten werden, Personal muss darauf achten – dann könnte es funktionieren.

Frage: Die Bundes-FDP lag im Durchschnitt aller Umfragen im Juli bei nur 5,8 Prozent. Die FDP in Baden-Württemberg rangiert stets über dem Bundestrend. Was müssen Sie tun, um Stammwähler zu mobilisieren oder neue Wähler zu gewinnen?

Rülke: Wir sagen unseren Stammwählern, dass es Baden-Württemberg nicht schadet, wenn nach zehn Jahren der Opposition wieder liberale Konzepte in die Regierungsverantwortung kommen. Was neue Wählerschichten anbelangt, bin ich zuversichtlich. Wenn beispielsweise die Große Koalition in Berlin einschließlich der SPD signalisiert, dass die Industriearbeiter in der Autoindustrie und bei den Zulieferern ihr egal sind, weil sie sich nur für die Elektro-Mobilität interessiert, und wenn Herr Kretschmann zwar eine lobenswerte andere Position vertritt, aber sich innerparteilich auf Bundesebene nicht durchsetzen kann, dann sagen wir Liberale es ganz deutlich: Wir vertreten die Interessen der Arbeiter in der Auto- und Zulieferindustrie, denn wir wollen auch den zukunftsfähigen und umweltfreundlichen Verbrennungsmotor.

Frage: Gibt es eine Koalitionsaussage? Oder wollen Sie auf jeden Fall regieren, mit wem auch immer?

Rülke: Nicht auf jeden Fall. Wir müssen liberale Inhalte durchsetzen können. Wir schließen die AfD und die Linke aus, aber CDU, SPD und Grüne sind denkbare Koalitionspartner. Meine heutige Position ist, dass wir mitregieren wollen. Am liebsten und am realistischsten gemeinsam mit CDU und SPD. Von den Inhalten trennt uns am wenigsten von der Union. Wir schließen aber auch eine Ampelkoalition – also mit Grünen und SPD – nicht aus, das hängt vom Verlauf des Wahlkampfs ab.

Frage: Apropos CDU. Man hat den Eindruck, dass Ihre Kritik am CDU-Innenminister Thomas Strobl immer besonders heftig ausfällt. Besteht da ein persönliches Missverhältnis zwischen ihnen beiden?

Rülke: Nein, ich sehe die Kritik abseits vom Persönlichen. Aber Strobl ist nun mal der schwächste Minister im Kabinett, der die meisten Fehler macht, deshalb wird er von der Opposition am schärfsten kritisiert.

Frage: Zur Krisenbewältigung hat Ministerpräsident Kretschmann angekündigt, eventuell noch mehr Schulden zu machen. Die Neuverschuldung könnte sich dann auf eine zweistellige Milliardensumme belaufen. Was sagen sie dazu?

Rülke: Das bereitet mir Sorge. Zu Beginn der Krise schien Herr Kretschmann darauf zu achten, der künftigen Generation keine Verschuldung zu hinterlassen, die alle Dämme einreißt. Mein Eindruck ist, dass er seine Position jetzt verändert hat und angesichts des näher rückenden Wahltages unter dem Deckmäntelchen der Corona-Krise alle Wünsche seiner Ministerien zu erfüllen gewillt ist. Das werden wir Liberale so nicht mitmachen. Aus unserer Sicht macht die Schuldenbremse es erforderlich, dass Kretschmann für diese Pläne, eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag bekommt. Sollte er versuchen dieses Erfordernis zu umgehen, werden wir den Gang vor das Landesverfassungsgericht antreten. Wenn die CDU Kretschmann in der Sache unterstützt, dann ist sie von unserem Vorwurf genauso betroffen. Ich habe den Eindruck, dass man sich auf Regierungsebene verständigt hat, wegen Corona gewaltig in die Neuverschuldung zu gehen und bei der Gelegenheit vielleicht auch noch den Zeitraum der Schuldenrückführung aufzuweichen. Man kippt der nächsten Generation die Schuldenlast vor die Tür. Das halten wir für falsch.

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