STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Für Kanzler Merz wachsen die europäischen Bäume offenbar nicht in den Himmel
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Europäischen Parlaments und Leiterin der FDP-Delegation im Europäischen Parlament, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdEP gab Radio Eins folgendes Interview.
Frage: Bis spät in die Nacht haben die europäischen Staats- und Regierungschefs diskutiert und sich tatsächlich auf einen Kompromiss am Ende geeinigt. Die EU stellt der Ukraine aus dem eigenen Haushalt einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro zur Verfügung. Das soll ausreichen, um den militärischen und den Haushaltsbedarf für die nächsten zwei Jahre zu decken. Und die russischen Vermögenswerte, die viele Staaten eigentlich für die weitere Finanzierung ranziehen wollten, bleiben laut Bundeskanzler Friedrich Merz vorerst eingefroren. Über die Entscheidung sprechen wir jetzt mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament. Guten Morgen. Ist es ein guter Kompromiss?
Strack-Zimmermann: Es ist ein Kompromiss, der natürlich weit von dem entfernt ist, was ursprünglich geplant war. Die Aussage von Herrn Merz ist in diesem Zusammenhang durchaus interessant, um es mal so auszudrücken. Die gute Nachricht ist, dass die Ukraine Geld erhält. Das ist in der Tat so, denn sie braucht es dringend aus wirtschaftlichen Gründen. Dort leben immer noch trotz der schrecklichen Bombardements weiterhin rund 35 Millionen Menschen, und die Wirtschaft darf dort natürlich nicht kollabieren. Zudem wird es jetzt weitere Unterstützung geben — auch aus den USA. Insofern ist das zunächst positiv zu sehen. Vergleicht man das jedoch mit dem Anspruch, den der Kanzler hatte — den wir auch unterstützt haben, nämlich auf die Assets zu setzen und die eingefrorenen Mittel zu nutzen, und zwar in einem deutlich größerem Umfang als 90 Milliarden — dann wird klar: Damit hat er sich nicht durchsetzen können. Auch für diesen Kanzler wachsen die europäischen Bäume offenbar nicht in den Himmel.
Frage: Ja, war es am Ende vielleicht aber zu riskant, der russischen Zentralbank direkt Geld wegzunehmen oder hat es vielleicht auch noch andere Gründe, diesen Faustpfand vielleicht auch jetzt noch nicht einzusetzen mit Blick auf weitere Verhandlungen?
Strack-Zimmermann: Möglich ist das alles. Ich saß nicht mit am Tisch, aber sehen Sie: Es ist offensichtlich, dass die Russen die Aggressoren und Angreifer sind und dass sie das Geld vorerst nicht wiedersehen werden. Die Sache ist folgende: Das Geld wird erst dann fällig, wenn die Russen keine Reparationszahlungen leisten. Also: Waffenstillstand, Frieden, Reparationszahlungen. Glaubt im Ernst jemand, dass Russland das tun wird? Das heißt, das Problem ist lediglich verschoben. Dennoch zeigt es, dass der Druck Russlands - gemeinsam mit dem der USA — durchaus auf manche europäische Staaten wirkt, auf einige mehr als auf andere. Insofern handelt es sich um einen Kompromiss. Es ist jedoch kein guter Kompromiss, weil er deutlich macht, dass Europa im Spiel der Großen keine bedeutende Rolle spielt.
Frage: Welches Zeichen geht jetzt trotzdem davon aus, dass die Ukraine für die nächsten zwei Jahre erstmal durchfinanziert ist, auch was die Verhandlung mit Russland an diesem Wochenende in Miami angeht?
Strack-Zimmermann: Das ist ein Zeichen, gar keine Frage. Damit wird die Ukraine durchhaltefähig. Die entscheidende Frage wird nun sein: Was machen die Amerikaner? Das dürfen wir nicht vergessen. Dass sie nun auch etwas Geld freigegeben haben, zeigt, dass der Ball gewissermaßen in Miami liegt. Abzuwarten bleibt, ob der Druck der USA so groß ist, dass Putin bereit ist, sich mit der Ukraine an einen Tisch zu setzen — vermutlich flankiert von den USA. Dass muss die Voraussetzung sein, dass die Ukraine, flankiert von Europa, in ernsthafte Gespräche eintreten kann. Bin ich optimistisch? Nein, bin ich nicht. Aber wie gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Putin hat ein erklärtes Ziel, die ganze Ukraine einzunehmen! Und machen wir uns nichts vor: Daran wird er auch festhalten, wenn Europa nicht wirklich Klare zeigt.
Frage: Ja, aber es fragen sich natürlich auch viele in Europa, ob diese 90 Milliarden denn jetzt ausreichen oder ob dann in einem halben Jahr es heißt, wir brauchen noch mehr Geld. Denn 90 Milliarden, das ist gerade mal der Doppelhaushalt für Berlin, der gestern hier beschlossen wurde.
Strack-Zimmermann: Sie dürfen das nicht vergleichen. Zunächst einmal leben in der Bundesrepublik deutlich mehr Menschen. Die Ukraine ist im Krieg! Das heißt: Diese Bombardements, die nicht aufhören, zielen darauf ab, dass die Ukrainer ihr Land verlassen. Denn: Ein leeres Land kann man besser einnehmen. Und auf der anderen Seite wird der Druck erzeugt, dass deutlich mehr Flüchtlinge unter anderem auch nach Deutschland kommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Putin wirklich komplett ausgeschlafen ist. Wenn man mir sagt, die 140 Milliarden reichen für drei Jahre, dann kann man nach Adam Riese, Eva Zwerg sagen, dann reichen 90 Milliarden für zwei Jahre. Was jetzt im Wesentlichen wichtig ist: Die Ukraine hat jetzt Mittel — Das ist die gute Nachricht. Aber wir machen uns nichts vor. Putin wird versuchen, uns — und vor allem auch die Amerikaner - weiterhin über den Tisch zu ziehen. Es ist hochrelevant, dass Europa in Zukunft eine Rolle auf der Weltbühne spielt. — Das ist leider heute Nacht vertan worden, in dem eben nicht auf die Assets zurückgegriffen wurde. Der Grund: Man wollte deutsche oder europäische Firmen, die in Russland tätig sind, nicht schädigen. Obwohl viele Firmen mit dem Beginn des Krieges Russland verlassen haben, gibt es immer noch europäische Staaten, die dort ihr Business machen, als wäre nichts passiert. Wenn sie Probleme bekommen, weil sie sich eben nicht zurückgezogen haben, dann sollten wir uns über sie keine Gedanken machen. Denn dass sie überhaupt noch da sind, ist Schande genug.