Antragsbuch für den 74. Ordentlichen Bundesparteitag

LV Nordrhein Westfalen

Zeitenwende für Europa - Fünf liberale Thesen ein Jahr vor der Europawahl

Zeitenwende für Europa – Fünf liberale Thesen ein Jahr vor der Europawahl

Die europäische Einigung sorgt seit 70 Jahren für Frieden, Stabilität und Wohlstand. Der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine zeigt aber, dass diese Friedensgeschichte in Europa nicht selbstverständlich ist. Krieg, Energiekrise und Inflation fordern die Europäische Union heraus. Unter diesen Vorzeichen wird die anstehende Europawahl eine besondere Bedeutung haben. Die großen Herausforderungen unserer Zeit können wir nur gemeinsam und europäisch lösen. Deswegen wollen wir Freie Demokraten schon jetzt neue Impulse für die Europäische Union vorschlagen.  

Zur Verteidigung unserer Freiheit eine gemeinsame Europäische Armee

Der Krieg in der Ukraine zeigt uns, wie wichtig es ist, dass wir unsere Freiheit und Sicherheit in Europa verteidigen. Die Ausstattung unserer Bundeswehr müssen wir daher dringend verbessern. Das von Finanzminister Lindner vorgeschlagene Sondervermögen Bundeswehr ist dafür ein wichtiger Schritt. Viel zu lange haben CDU-geführte Bundesregierungen die Bundeswehr vernachlässigt.

Wir wollen unsere Verteidigung aber noch stärker europäisch denken. Wir Freie Demokraten wollen langfristig eine gemeinsame Europäische Armee. Auf dem Weg dahin wollen wir die europäische Verteidigungsunion und Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) stärken. Gleichzeitig wollen wir den Europäischen Verteidigungsfonds weiter ausbauen und setzen uns in den Haushaltsverhandlungen für zusätzliche Mittel für dieses Anreizsystem für die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung von Waffensystemen im europäischen Rahmen ein. Wir wollen, dass stärkere verteidigungspolitischen Bemühungen der EU in der Kooperation mit der NATO stattfinden und die Zusammenarbeit in der NATO selbst stärken.

Außerdem unterstützen wir die finanzielle und militärische Hilfe der Europäischen Union für die Ukraine. Wir werden die Ukraine so lange europäisch unterstützen, wie sie unsere Hilfe benötigt. Wir begrüßen die Beitrittsperspektive der Ukraine zur Europäischen Union und setzen uns dafür ein, die Ukraine auf ihrem Weg in die EU mit allen Mitteln zu unterstützen. Gleichzeitig ist für uns klar, dass auf dem Weg in die EU bei der Erfüllung der Beitrittskriterien keine Abstriche gemacht werden dürfen.

Eine gemeinsame europäische Migrationspolitik mit Verteilungsmechanismus

Russlands Angriff auf die Ukraine hat zu unermesslichem Leid, Tod und Vertreibung geführt. Es ist unsere humanitäre Verantwortung, geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern in Europa Schutz zu bieten. Zum ersten Mal wurde dazu die Massenzustromrichtlinie in der EU aktiviert, um so unbürokratischen und schnellen Schutz zu gewähren.

Gleichzeitig steigen die Zahlen Geflüchteter auch aus anderen Regionen wieder an. Wir Freie Demokraten setzen uns daher für ein echtes gemeinsames europäisches Asylsystem ein. Wir müssen die Blockaden in der europäischen Migrationspolitik endlich überwinden, um unserer humanitären Verantwortung gerecht zu werden. Wir brauchen gemeinsame Standards und Prozesse der Registrierung sowie einen verbindlichen Verteilungsmechanismus innerhalb der Europäischen Union. Hier wurde in den letzten Jahren kein Fortschritt erreicht. Ertrinkende Geflüchtete im Ärmelkanal oder im Mittelmeer, also unmittelbar vor den Außengrenzen der EU, sind unerträglich. Die EU muss daher alle Anstrengungen unternehmen, das todbringende Handwerk von Schleusern zu unterbinden. Wir wollen eine geordnete Migrationspolitik, zu der auch der Schutz unserer Außengrenzen und eine schnelle und effiziente Rückführung abgelehnter Asylbewerber gehören. Europäische Migrationspolitik muss klar zwischen Flucht, Asyl und arbeitsmarktbezogener Einwanderung unterscheiden. Die EU muss ihre Attraktivität für qualifizierte Einwanderung durch einen Talentpool mit einem Punktesystem erhöhen.

Zusammenarbeit der liberalen Demokratien stärken durch mehr Freihandel

Die Europäische Union steht vor großen geopolitischen Herausforderungen. Wir erleben eine immer stärkere Auseinandersetzung zwischen den liberalen Demokratien und den autokratischen Systemen der Welt. Zwischen den USA und China muss die Europäische Union eine starke Rolle einnehmen und mit einer gemeinsamen Stimme sprechen. Wir fordern daher die Abschaffung der Einstimmigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Gleichzeitig müssen wir unsere Abhängigkeiten reduzieren. Unsere Antwort darf nicht nur weniger Handel mit China sein, sondern muss eine neue Dynamik für mehr Freihandelsabkommen insgesamt bedeuten. Wir wollen daher so schnell wie möglich alle bereits ausgehandelten Freihandelsabkommen ratifizieren und streben auch neue Verhandlungen zum Beispiel mit den USA über ein Transatlantisches Freihandelsabkommen an. Mittelfristig setzen wir uns für eine Weltfreihandelszone der liberalen Demokratien ein. Insbesondere im Bereich der kritischen Abhängigkeiten sollten wir aus unseren Wertepartnern auch Handelspartner machen.

Unsere Antwort auf den Inflation Reduction Act: ein Bureaucracy Reduction Act

Derzeit wird auf europäischer Ebene intensiv über die Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA diskutiert. Für uns Freie Demokraten ist klar: Ein Subventionswettlauf und zusätzlicher Protektionismus helfen niemandem. Wir müssen daher in der EU schnell zu einer wirksamen Beihilfekontrolle zurückkehren. Wir sind überzeugt, dass freier Handel, Wettbewerb, Marktwirtschaft, Subsidiarität und ein starker europäischer Binnenmarkt der richtige Weg sind, um den Wohlstand in Europa zu steigern. Die EU hat im Rahmen des Wiederaufbaufonds hunderte Milliarden an zusätzlichen Mitteln für die grüne und digitale Transformation mobilisiert. Bislang ist erst ein Bruchteil der Mittel an die Mitgliedstaaten abgeflossen. Wir brauchen also kein zusätzliches Geld oder neue europäische Schulden. Wir Freie Demokraten lehnen daher einen schuldenfinanzierten Souveränitätsfonds ab. Unsere Antwort auf den Inflation Reduction Act muss ein Bureaucracy Reduction Act – ein Entbürokratisierungsprogramm für Europa – sein. Wir fordern die Europäische Kommission auf, alle Gesetzesvorschläge, die zusätzliche bürokratische Belastungen für unsere Wirtschaft darstellen, zu überprüfen oder zurückzunehmen. Das derzeit geplante europäische Lieferkettengesetz in seiner derzeitigen Ausgestaltung und die bereits beschlossene Taxonomie lehnen wir ab, da es unsere Wirtschaft fesseln würde, ohne tatsächliche soziale und ökologische Fortschritte zu erreichen. Auch die Richtlinie zu Energieeffizienz von Gebäuden stellt eine teure Doppelregulierung dar. Erst vor Kurzem wurde der Europäische Emissionshandel auf Gebäude ausgeweitet. Für uns ist dieses marktwirtschaftliche Instrument weiterhin der beste und effizienteste Weg zur Klimaneutralität.

Europäische Werte verteidigen auch innerhalb der Europäischen Union

Für uns ist die Europäische Union aber nicht nur Frieden, Sicherheit und Wohlstand, sondern sie steht für gemeinsame europäische Werte. Unsere Grundwerte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, freie Presse und Minderheitenschutz müssen überall in der EU konsequent verteidigt werden. Wir begrüßen daher, dass der Rechtsstaatsmechanismus zum ersten Mal aktiviert und Mittel gegenüber Ungarn zurückgehalten werden. Mit den zusätzlich zurückgehaltenen Kohäsionsmitteln und nicht ausgezahlten Geldern aus dem Wiederaufbaufonds werden derzeit 138 Milliarden Euro EU-Gelder an Polen und Ungarn zurückgehalten. Wir Freie Demokraten werden die Auszahlung dieser Gelder erst unterstützen, wenn im Gegenzug klare Reformen hin zu Rechtsstaatlichkeit und mehr  Korruptionsbekämpfung von Polen und Ungarn umgesetzt worden sind.

Wir wollen die Europäische Staatsanwaltschaft stärken, um in allen Mitgliedstaaten den Missbrauch von EU-Geldern und Korruption noch konsequenter zu bekämpfen.

Wir setzen uns dafür ein, dass Bürger- und Menschenrechte in allen Mitgliedsstaaten gewahrt werden. Die von der EU-Kommission geplante Chatkontrolle lehnen wir ab.

Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, dass die Rechte der queeren Community, insbesondere geschlossene Ehen und Lebenspartnerschaften, in allen Mitgliedstaaten anerkannt und akzeptiert werden.

Der Europawahlkampf muss ein Wettbewerb um die besten Ideen für Europa werden – eine große Debatte über die Zukunft der Europäischen Union vor dem Hintergrund großer Herausforderungen. Deswegen fordern wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf, schon jetzt die Berichterstattung über europäische Themen zu vertiefen und eine europäische Debatte, zum Beispiel durch eine Talkshow im Hauptprogramm, zu unterstützen.

Wir Freie Demokraten kämpfen für eine liberalere EU. Wir wollen eine starke gemeinsame europäische Verteidigung und eine gemeinsame europäische Stimme in der Außenpolitik. Wir setzen uns ein für eine funktionierende Migrationspolitik mit verbindlichem Verteilungsschlüssel. Wir wollen eine ambitionierte Freihandelspolitik, eine Vertiefung des Binnenmarktes und eine Entbürokratisierungsinitiative. Wir verteidigen unsere europäischen Werte überall in Europa.

Begründung

Erfolgt mündlich.

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