Antragsbuch für den 76. Ordentlichen Bundesparteitag

BFA Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Femizide – Name it, Count it, End it

Femizide - Name it, Count it, End it

Gewalt gegen Frauen gehört weltweit zu den häufigsten Menschenrechtsverletzungen. Laut Kriminalstatistik gibt es in Deutschland über 140 000 Opfer von psychischer und physischer Partnerschaftsgewalt. Über 115 000 davon waren weiblich und in 369 Fälle hatte diese einen tödlichen Ausgang. Somit wird in Deutschland an fast jedem Tag eine Frau Opfer von Mord oder Totschlag durch ihren Partner oder Ex-Partner. Wenn diese Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden, spricht man von "Femizid". Häufig können diese eine Antwort auf eine gefühlte oder tatsächliche Bedrohung der männlichen Dominanz sein, etwa wenn sich Geschlechterverhältnisse durch zunehmende Gleichberechtigung ändern. Der Femizid-Begriff hebt zusätzlich das komplexe Zusammenspiel individueller Motivationen und Gewalthandlungen in verschiedenen sozialen Kontexten hervor, die von strukturellen Machtungleichheiten aufgrund von Geschlecht und anderen Faktoren und Machtverhältnissen geprägt sind. Allerdings gibt es in keinem EU-Mitgliedsstaat eine rechtliche Definition oder Verankerung von Femiziden. Ob eine explizite Strafverfolgung die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts verhindern kann, bleibt in der kriminologischen wie auch sozialwissenschaftlichen Literatur umstritten. Unbestritten ist allerdings, dass es einheitlicher nationaler und internationaler Maßnahmen bedarf, um Femizide öffentlich zu machen, ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken und letztlich auch zu verhindern.

Name it!

Die Freien Demokraten fordern eine erweiterte Typologie von Femiziden. Diese macht es möglich, mehr Morde von Frauen und Mädchen als Femizide zu klassifizieren. Zudem können diese dann in nationalen und internationalen Datenbanken besser erfasst werden, um Fortschritte in diesem Bereich deutlicher zu machen. Wir fordern daher eine erweiterte Typologie, die folgende direkte, intendierte als auch indirekte, nicht-intendierte Tötungen von Frauen als Femizide aufzeigt:


  1. 1. Die Tötung von Frauen aufgrund ihres Frauseins kann individuell motiviert und vorsätzlich sein.

  2. 2. Als intendierter und nicht-intendierte Folge von Gewalt in einer Partnerschaft oder der Familie.

  3. 3. Als beabsichtigte und unbeabsichtigte Folge sexueller Gewalt innerhalb und außerhalb ehelicher oder partnerschaftlicher Beziehungen.

  4. 4. Im Rahmen von kriminellem Kontext, z. B. bei Frauenhandel oder von Bandengewalt.

  5. 5. Politisch induzierte Femizide z. B. aufgrund eines Abtreibungsverbotes oder im Bereich der Sexarbeit.

  6. 6. Im Kontext kultureller Praktiken, z. B. Ehrenmorden, Abtreibung weiblicher Föten, Genitalbeschneidungen oder aufgrund der Gender-Identität.

Count it!

Um die genannten Typen von Femiziden erfassen zu können, fordern wir Freie Demokraten drei Schritte der Datengewinnung und -verwaltung, die in allen EU-Staaten implementiert werden müssen.


  1. 1. Eine Auswertung von Verwaltungsdaten von Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichten oder Medien.

  2. 2. Die Datenerhebung bei Frauenmorden muss verbessert werden. Das bedeutet auch, dass vergleichbare und disaggregierte Daten in administrativen Datenerfassungssystemen gesammelt werden.

  3. 3. Die Erfassungsprozesse von Femiziden sollten durch die Dokumentation in einem nationalen Register optimiert werden, das regelmäßig veröffentlicht und zugänglich gemacht wird.


Eine solche Datenerfassung und Veröffentlichung kann zusätzlich der eher einseitigen Berichterstattung entgegenwirken, die viel häufiger von Gewalt berichtet, wenn diese von nichtdeutschen Tätern ausgeübt wird. Anders als oft medial dargestellt, machen sogenannte Ehrenmorden den kleinsten Teil der Femizide aus. 


End it!

Mehr Wissen über Femizide kann die politische Öffentlichkeit, frauenbewegte zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure ermutigen, gezieltere Präventionsmaßnahmen zum Schutz von Frauen einzufordern und politisch umzusetzen. Die bessere Datenerfassung zur Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts kann und wird die gesellschaftliche Gewaltstruktur deutlich machen. Das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen muss zusätzlich deutlicher aufgezeigt werden, um eine größere Sensibilisierung für das Problem in der Gesellschaft zu schaffen. Wir Freie Demokraten fordern daher: 


  1. 1.Konsequente Intervention und Schutz für gefährdete Frauen: Um Femizide im Vorfeld besser erkennen und verhindern zu können, muss ein geeignetes (Hoch-)Risiko-Bewertungsinstrument entwickelt und in allen relevanten staatlichen und nicht-staatlichen Stellen landesweit implementiert werden. Dieses soll die spezifischen Warnsignale vor einem Femizid angemessen einbeziehen. Auch der Zugang zur sofortigen Hilfe und Unterstützung für alle gefährdeten Frauen und ein ausreichendes Angebot an geeigneten Schutzunterkünften muss gewährleistet werden. Dies erfordert eine adäquate Finanzierung von Frauenhäusern und Interventions- und Beratungsstellen. Niedrigschwellige Präventions- und Unterstützungsangebote für Frauen, die sich in einem riskanten Trennungsprozess befinden, können helfen, Femizide zu verhindern. Hierbei sollten spezifische Zielgruppen berücksichtigt und eine intersektionale Perspektive auf Risiken, Prävention und Intervention entwickelt werden.

  2. 2.Polizei und Justiz schulen: Leider sind Polizei und Justiz immer noch schlecht darin, Frauen vor Gewalt zu schützen. Fortbildungen sind daher dringend erforderlich, um das Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen und Femizide sowie den Schutz von Betroffenen zu schärfen. Schulungen zu diesem Thema sollen für Polizei generell und betreffende Akteure der Justiz verpflichtend sein.  Dabei sind die Rollen und die Handlungsmöglichkeiten staatlicher Stellen und anderer Berufsgruppen bei der Prävention und Intervention zu vermitteln. 

  3. 3.Umfassende und wirksame Primärprävention: Männer, speziell männliche Jugendliche, werden als Zielgruppe von Präventionsmaßnahmen im Bereich der Gewalt gegen Frauen kaum erreicht. Zudem werden versteckte Formen von Gewalt gegen Frauen (z. B. psychische Gewalt, wirtschaftliche Kontrolle, Einschüchterung und Bedrohung, Stalking und sexuelle Belästigung) medial und in der Aufklärung noch zu selten thematisiert. Femizide gelten häufig als Privatsache oder werden als tragische Einzelfälle dargestellt, ohne den strukturellen Kontext zu vermitteln. Oft wird die Perspektive des Täters eingenommen, zu viel Aufmerksamkeit auf sein Leben und zu wenig auf die Perspektive und Rechte der betroffenen Frau gerichtet. Nicht selten reproduzieren die Medien Einstellungen, die Frauen für die Gewalt implizit verantwortlich machen. Daher muss über umfassende Öffentlichkeitsarbeit in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien für geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide, Warnsignale und gesellschaftliche Hintergründe sensibilisiert werden. Dabei sollten auch gezielt (männliche) Jugendliche über geeignete Sprache, Medieninhalte und soziale Medien angesprochen werden.

Begründung:

Femizide – die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – stellen eine extreme Form geschlechtsspezifischer Gewalt dar und sind Ausdruck tief verwurzelter gesellschaftlicher Machtungleichheiten. In Deutschland wird statistisch nahezu jeden Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Dennoch fehlt bislang eine einheitliche rechtliche Definition sowie eine differenzierte und systematische Erfassung dieser Taten. Eine erweiterte Typologie von Femiziden sowie verbesserte Datenerhebung sind zentrale Voraussetzungen, um das Ausmaß dieser Gewalt sichtbar zu machen, zielgerichtete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln und wirksam umzusetzen. Der Schutz von Frauen vor tödlicher Gewalt darf weder dem Zufall noch blinden Flecken in der Statistik überlassen werden.

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