DÜRR-Interview: Unser komplizierter Staat treibt Bürger und Unternehmen in den Wahnsinn

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Dürr gab „web.de“ und „gmx.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Fabian Hartmann:

Frage: Herr Dürr, Sie sind seit Mai FDP-Chef. Bereuen Sie es schon?

Dürr: Nein, im Gegenteil. Das hat auch mit Friedrich Merz und der Bilanz seiner Bundesregierung zu tun. Die liefert nicht. Wir brauchen in diesem Land aber eine echte Reformkraft. Aktuell ist es so: Wir haben die Status-Quo-Parteien und die Extremisten an beiden Rändern. Es fehlt eine Kraft, die auf echte Veränderung setzt – da sehe ich die FDP.

Frage: Sie haben die FDP nach der Ära Lindner in der außerparlamentarischen Opposition übernommen. Es gibt leichtere Jobs.

Dürr: In der Vergangenheit wurden Fehler gemacht, aber daraus haben wir gelernt. Was für mich aber entscheidend ist: Ich nehme bei ganz vielen Menschen den Wunsch nach Veränderungen wahr. Friedrich Merz bittet jetzt bei jeder Gelegenheit nur um Geduld. Der ‚Herbst der Reformen‘ war groß angekündigt – und ist nie gekommen. Das ist auch ein Grund für Politikverdrossenheit. Während sich immer mehr Familien um ihre wirtschaftliche Existenz sorgen, haben die Bürger das Gefühl, es geht nicht voran. Die FDP wird der Gegenentwurf zu diesem Stillstand sein.

Frage: Bislang vermissen die Deutschen Ihre Partei nicht. In den Umfragen liegt die FDP konstant unter fünf Prozent.

Dürr: Es ist herausfordernder, in der außerparlamentarischen Opposition laut zu sein. Für mich geht es aber darum, unseren Markenkern herauszustellen: nämlich den der Gestaltungspartei. Das Wort Reformen lässt sich leicht sagen, man muss dann aber auch den Mut haben, sie umzusetzen.

Frage: Ein Grund für die schlechten Werte der FDP könnte noch immer das Ampel-Aus, inklusive D-Day-Papier, sein. Viele nehmen Ihnen das weiter übel.

Dürr: Die Ampel ist auseinandergebrochen, weil ihr der Reformmut fehlte. Nehmen wir das Beispiel Rente: Wir hätten auch – wie die Union es jetzt macht – alles durchwinken können. Dann hätten wir weiterregiert. Nur: Der Preis wäre extrem hoch gewesen. Das aktuelle Rentenpaket kostet über 200 Milliarden Euro. Die Koalition hat mit dem Rentenpaket jetzt falsche Politik gemacht — nur für den Machterhalt. Und es löst kein Problem. Unser Vorschlag der Aktienrente wäre ein echter Systemwechsel.

Frage: Sie wollen die FDP als Partei der „radikalen Mitte“ positionieren. Was soll das sein?

Dürr: Bleiben wir beim Thema sozialer Aufstieg. Für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen ist der Vermögensauf in Deutschland mittlerweile fast unmöglich. Wer hart arbeitet, muss oftmals fast die Hälfte an den Staat abgeben. Das ist unfair. Mit unserem Konzept der Aktienrente hätten gerade Menschen mit kleinen Einkommen erstmals die Chance, einen Kapitalstock fürs Alter aufzubauen.

Frage: Muss es aber gleich ‚radikal‘ sein? Das erinnert eher an die politischen Ränder.

Dürr: Radix ist das lateinische Wort für Wurzel. Und darum geht es: Wir wollen die Probleme an der Wurzel anpacken. Kosmetik funktioniert nicht mehr – weder bei der Bahn, die nicht pünktlich ist, noch im Sozialstaat. Und auch nicht bei der Migrationspolitik. Ich wünsche mir, dass wir komplett neu denken.

Frage: Was heißt das?

Dürr: Ich erkläre es am Beispiel Migration. Jeder, der einen Arbeitsvertrag hat und hier Steuern zahlt, darf gerne nach Deutschland kommen. Im Gegenzug muss gelten: Anspruch auf Sozialleistungen gibt es nicht. So machen das moderne Einwanderungsländer. Klingt radikal, ist aber möglich.

Frage: In der Debatte um das Verbrenner-Aus wirkt die FDP ganz und gar nicht radikal. Sie wollen, dass auch nach 2035 weiter Autos mit Verbrennungsmotor in der EU zugelassen werden dürfen. Das klingt eher verzagt.

Dürr: Im Gegenteil: Ich will radikal alles erlauben. Die Politik kennt nicht die Geschäftsmodelle der Zukunft. Der Staat sollte daher auch nicht eine Technologie festlegen. Ich will es konkret machen: Ein Batterieauto, das mit Kohlestrom geladen wird, ist nach den EU-Plänen klimaneutral. Und der Verbrenner mit 100 Prozent klimaneutralem Diesel aus Pflanzenölen und Fetten eben nicht. Das ist absurd. Wir wollen jede Technologie zulassen und sie einzig und allein am CO2-Ausstoß messen.

Frage: Die schwarz-rote Koalition im Bund wirkt zerstritten wie die Ampel. Dabei hat die Merz-Regierung sich genügend Spielraum über viele Schulden verschafft. Was läuft schief?

Dürr: Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass viele neue Schulden eine Gesellschaft zusammenhalten. Friedrich Merz ist diesem Irrtum aufgesessen. Und vor allem: Als Kanzler macht er genau das, was er anderen früher vorgeworfen hat. Die Menschen wollten eine Veränderung und haben Merz gewählt. Mit ihm bekommt Deutschland jetzt aber die Schuldenpolitik der SPD und die Rentenpolitik der Grünen. Wir erinnern uns: Im Wahlkampf hat Robert Habeck vorgeschlagen, auch auf Dividenden und Zinsen noch Sozialbeiträge zu erheben. Das hat Merz damals abgelehnt. Aber genau das diskutiert jetzt seine Regierung.

Frage: Es sind vor allem Ideen aus der SPD. Beschlossen ist es noch nicht.

Dürr: Der Kanzler sagt selbst öffentlich: Was Schwarz-Rot bei der Rente beschlossen hat, ist falsch. Aber man müsse es jetzt trotzdem machen. Friedrich Merz macht also das Gegenteil dessen, was er eigentlich für richtig hält. Das lässt nichts Gutes für die weitere Rentenpolitik erahnen. Und es zeigt vor allem eines: Auch wenn diese Koalition noch hält, ist sie in Wahrheit schon jetzt gescheitert.

Frage: Sie trauen der Rentenkommission, die bald ihre Arbeit aufnimmt, also keinen großen Wurf mehr zu?

Dürr: Ich frage mich, was sie noch entscheiden soll. Die Koalition hat bereits Fakten geschaffen und Milliarden verteilt. Eigentlich müsste die Kommission als Erstes vorschlagen, das Rentenpaket wieder zurückzunehmen. Sie kann ohnehin nur Anregungen geben. Die Politik muss die Ideen dann umsetzen. Ich bezweifele, dass Schwarz-Rot die Kraft dafür hat.

Frage: Ein Blick aufs kommende Jahr: Im März stehen für die FDP wichtige Landtagswahlen an. Im Stammland Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz, wo eine Ampel regiert. Welches Ziel geben Sie aus?

Dürr: Wir wollen Verantwortung übernehmen. In Baden-Württemberg schlägt unser Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke radikale Reformen vor – etwa ein komplett neuer und vereinfachter Verwaltungsaufbau. Unser komplizierter Staat treibt Bürger und Unternehmen in den Wahnsinn.

Frage: Trotzdem wird es in Stuttgart laut Umfragen eng für die FDP. Und in Rheinland-Pfalz werden die Liberalen nicht mal mehr ausgewiesen.

Dürr: Der Wahlkampf hat noch gar nicht richtig begonnen und wir werden schon bei sieben Prozent im Landtag in Baden-Württemberg gesehen. Dort sehen wir, dass Grüne und CDU keine Aufbruchskoalition gewesen sind, das Land fällt zurück. Schauen Sie nur auf die Automobilindustrie oder die vielen Familienunternehmen. Überall steigt die Zahl der Insolvenzen. Es braucht einen Politikwechsel. Und was Rheinland-Pfalz angeht: Dass ein innovatives Unternehmen wie Biontech dort sitzt, ist kein Zufall. Das hat viel mit liberaler Wirtschaftspolitik zu tun, die auf Erlauben und nicht auf Verbieten setzt. Diese Erfolge sprechen für sich.

Frage: Angenommen, beide Wahlen gehen verloren: War’s das dann mit der FDP?

Dürr: Wir treten an, um unserem Land endlich den Ruck zu geben, den die Menschen erwarten. Darum drehen sich meine Gedanken. Ich will, dass Deutschland wieder erfolgreich ist. Dass Menschen wieder die Chance haben, sich etwas aufzubauen. Die Extremisten profitieren von jahrelanger Stagnation und einer hohen Unzufriedenheit in der Gesellschaft. Die Status-Quo-Parteien aus Union, SPD und Grünen verwalten nur. Wir sind das Gegenangebot. Es ist doch mit Händen zu greifen wie sehr eine solche Reformkraft eine solche Reformkraft in Deutschland fehlt. Dafür machen wir ein Angebot.

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