DÜRR-Interview: Familien brauchen eine stärkere Position gegenüber dem Staat
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Dürr gab dem „FOCUS“ folgendes Interview. Die Fragen stellte Leon Werner.
Frage: Herr Dürr, lange nichts mehr von der FDP gehört. Warum?
Dürr: Wir sind mitten in einer Phase der Erneuerung. Angesichts der aktuellen Performance der Bundesregierung zeigt sich allerdings, dass es eine Partei braucht, die konsequent auf Reformpolitik setzt. Stattdessen sehen wir beim Haushalt nur: immer mehr Ausgaben, immer mehr Schulden. So kann Deutschland nicht weitermachen.
Frage: Sie arbeiten derzeit am neuen Grundsatzprogramm. Manche in Ihrer Partei, wie Wolfgang Kubicki, halten das für überflüssig und wollen lieber jetzt schon stärker an die Öffentlichkeit.
Dürr: Wir beteiligen uns natürlich trotzdem an allen Debatten. Aber gleichzeitig müssen wir klar zeigen, dass die FDP konkrete Reformkonzepte hat. Und die werden jetzt erarbeitet. Der Bundeshaushalt zeigt warum das nötig ist: 90 Milliarden Euro neue Schulden im Kernhaushalt, 85 Milliarden in Schattenhaushalten. Das ist eine in Zahlen gegossene Reformverweigerung – zulasten der Steuerzahler und künftiger Generationen. Wir sind das Gegenmodell dazu.
Frage: Wie hätte eine Regierung mit FDP-Beteiligung denn dann die marode Infrastruktur in Deutschland modernisiert, wenn nicht mit Schulden?
Dürr: Wir steuern auf eine Staatsquote von über 50 Prozent zu. Es fehlt nicht an Einnahmen, sondern das Geld wird falsch ausgegeben. Der Verkehrsetat sinkt sogar um zehn Milliarden Euro.
Frage: Im Kernhaushalt, dafür wird durch das Sondervermögen mehr ausgegeben.
Dürr: Genau das ist doch das Problem. Trotz der vielen Schulden wird das Geld von A nach B geschoben, aber es wird nicht mehr gebaut. Es werden sogar Autobahnprojekte gestoppt und die Menschen stehen länger im Stau. Es wird nicht, wie versprochen, in die Zukunft investiert. Vielmehr werden Haushaltslöcher gestopft für immer neue Sozialversprechen.
Frage: Finanzminister Klingbeil fehlen für den Haushalt 2027 mehr als 30 Milliarden Euro. Wie würden Sie diese Lücke schließen?
Dürr: Zunächst muss man sich die Subventionen anschauen, etwa im Klima- und Transformationsfonds. Die Idee, die Wirtschaft mit Staatsgeld umzubauen, ist gescheitert. Das ist Planwirtschaft. Wir sollten den Fonds auflösen und die Milliarden sollten in Zukunftsbereiche wie Bildung investieren.
Frage: Der Klima- und Transformationsfonds ist aber auch nur ein Sondervermögen. Das Geld fehlt ja im Kernhaushalt.
Dürr: Da müssen die Sozialausgaben auf den Prüfstand.
Frage: Das heißt konkret?
Dürr: Zum Beispiel bei den Kosten der Unterkunft. Heute wird Menschen im Bürgergeld die komplette Warmmiete erstattet. Wer arbeitet, muss das aus dem Netto zahlen. Das ist nicht gerecht.
Frage: Was kann man daran ändern?
Dürr: Eine Reform könnte darin bestehen, nicht mehr die gesamte Warmmiete zu übernehmen, sondern einen festen Betrag auszuzahlen. Dann müssen sich die Menschen eine Wohnung in diesem Preisrahmen suchen. Sozialhilfe ist Notfallhilfe – kein bedingungsloses Grundeinkommen.
Frage: Beim aktuellen Wohnungsmarkt könnte das gerade in Großstädten schwierig werden. Vereinbart sich Ihr Plan mit dem Existenzminimum?
Dürr: Selbstverständlich. Aber das Ziel muss sein, dass Menschen schnell wieder in Arbeit kommen. Mit den heutigen Anreizen funktioniert das nicht.
Frage: Ihre Vorschläge setzen auf Einsparungen. Die SPD und auch Teile der Union diskutieren auch auf der Einnahmenseite. Denkbar wäre etwa die Abschaffung der Ausnahmen für Vermögende bei der Erbschaftssteuer. Bleibt das ein No-Go für die FDP?
Dürr: Politiker, die so etwas vorschlagen, drücken sich immer um das Konkrete. In aller Regel geht es bei der Erbschaftssteuer um investiertes Vermögen, also etwa die Übergabe von Familienunternehmen. Wenn man das mit hohen Steuern belegt, ist das faktisch eine Steuer auf Arbeitsplätze. Mittelständische Betriebe würden verkauft, Arbeitsplätze abgebaut. Es ist absolut unsozial zu glauben, dass daraus wirtschaftlicher Aufschwung entsteht. In Wahrheit geht es um Jobs – und um eine Neiddebatte.
Frage: Also selbst eine Abschaffung der Verschonungsbedarfsprüfung würde für Sie nicht in Frage kommen?
Dürr: Die Erbschaftsteuer ist die Steuer in Deutschland mit dem höchsten Erhebungs- und Bürokratieaufwand. Sie ist ineffizient, teuer, kompliziert. Wenn man in diesem System noch mehr Komplexität einführt oder einfach nur die Steuern erhöht, bringt das dem Staat in Wahrheit wenig und trifft direkt den Mittelstand.
Frage: Die Bundesregierung umgeht die Schuldenbremse durch Sondervermögen. Wollen Sie wieder zurück zur kompletten Schuldenbremse?
Dürr: Die Schuldenbremse erlaubt bereits einen gewissen Verschuldungsspielraum, aber eben nicht unendlich. Verteidigungsausgaben sind eine Ausnahme, die derzeit nötig ist. Aber sonst zeigt sich, dass Schulden nicht zu mehr Investitionen führen. Das Geld stopft Haushaltslöcher, anstatt Jobs und Wachstum zu schaffen. Statt immer neue Milliarden aufzunehmen, brauchen wir endlich radikale Reformen für den Bürokratieabbau und eine Stärkung des Standorts.
Frage: „Reform“ ist aktuell Ihr Lieblingswort. Auch die Rente ist ein Reformfall. Ihr Konzept?
Dürr: Die Aktienrente sollten wir erweitern – und mehr Anreize zur privaten Vorsorge schaffen. Zu glauben, die gesetzliche Rente reiche in einer alternden Gesellschaft, ist eine Illusion. Schon heute geben viele Beschäftigte über 50 Prozent ihres Lohns an Steuern und Sozialbeiträgen ab. Wir brauchen dringend mehr Kapitaldeckung und echten Vermögensaufbau, gerade für Familien.
Frage: Das allein wird das demografische Problem aber nicht lösen.
Dürr: Deshalb gehört auch eine andere Migrationspolitik dazu. Migration muss dem Arbeitsmarkt nutzen. Heute ist es oft leichter, ins Asylsystem zu gelangen, als eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Es dauert zwei Sekunden, an der Grenze das Wort ‚Asyl‘ zu sagen, aber Monate, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Das ist absurd. In Schweden gehen drei von vier Zuwanderern in Arbeit, in Deutschland ist es genau umgekehrt. Das müssen wir ändern.
Frage: Wie konkret?
Dürr: Wer einen Arbeitsvertrag hat, sollte sofort arbeiten dürfen. Statt jahrelanger Anerkennungsverfahren und Bürokratie braucht es einfache Regeln. Migration in die Sozialsysteme darf es nicht mehr geben.
Frage: Mit Karsten Wildberger gibt es nun einen Digitalminister aus der Wirtschaft. Kann er diese Bürokratie-Probleme lösen?
Dürr: Ich habe Zweifel, weil die Beharrungskräfte groß sind. Bürger und Unternehmen müssen ständig dieselben Daten an verschiedenen Stellen abgeben – das ist grundfalsch. Estland zeigt, dass es anders geht: Der Staat darf Daten, die er schon hat, nicht erneut abfragen. Das würde Verwaltung und Unternehmen entlasten.
Frage: Solche Forderungen gibt es seit Jahren. Warum haben Sie das in der Ampel nicht durchgesetzt?
Dürr: Wir als FDP waren für das Thema digitale Infrastruktur, nicht für den digitalen Staat zuständig. Aber ja: Wir brauchen ein Bürgerrecht, dass der Staat keine Daten doppelt erheben darf. Mit klaren Fristen kann er gezwungen werden, sich neu zu organisieren. Heute dauert ein Investitionsprojekt nicht selten mehr als fünf Jahre – in anderen Ländern weniger als eines. Das ist verrückt.
Frage: Sie sagen, Migration soll Schwerpunktthema der FDP werden. Was sie wollen, will aber auch die Union und mittlerweile selbst Teile der SPD. Was macht Ihr Konzept einzigartig?
Dürr: Die anderen Parteien reden, handeln aber nicht. Das sehen wir doch gerade. Wir wollen ein System, das Zuwanderung konsequent auf den Arbeitsmarkt ausrichtet. Wer einen Arbeitsvertrag hat, muss sofort arbeiten dürfen. Endlose Anerkennungsverfahren halten uns zurück.
Frage: Früher war die FDP eine Partei der jungen Menschen, auch wegen ihrer Bildungspolitik. Was ist davon übrig?
Dürr: Bildung bleibt Kernaufgabe. Jedes Kind muss beim Schuleintritt ausreichend Deutsch sprechen können. Es ist falsch, wie es in Nordrhein-Westfalen diskutiert wird, Klassenarbeiten in der Herkunftssprache anzubieten. Das schadet sowohl Kindern mit als auch ohne Deutsch als Muttersprache.
Frage: Welches politische Angebot wollen Sie jungen Familien machen?
Dürr: Familien brauchen eine stärkere Position gegenüber dem Staat. Ich habe einen konkreten Vorschlag: Bei jeder Dienstleistung bekommt man sein Geld zurück, wenn eine Leistung nicht erbracht wird. Das gleiche muss für Familien bei der Kinderbetreuung gelten, wenn die Kita oder die Schule ausfällt.
Frage: Also eine komplette Erstattung der Kosten für den Tag?
Dürr: Genau. Familien dürfen nicht die Leidtragenden sein. Wenn der Staat seine Pflicht nicht erfüllt, dürfen die Kosten nicht auf die Familien abgewälzt werden. Familien müssen sich wehren können. Sie sind keine Bittsteller. Wenn der Staat versagt, muss er zahlen.
Frage: Das würde die sowieso schon klammen Kommunen noch stärker belasten. Außerdem gibt es einen Arbeitskräftemangel in der Kinderbetreuung.
Dürr: Aber genau darum muss sich ja der Staat bemühen. Stattdessen verzettelt er sich. Unternehmen müssen sich doch auch bemühen, um Arbeitskräfte zu finden. Aber da, wo er stark sein müsste – bei der Bildung – da sind nicht genug Ressourcen da. Das muss radikal geändert werden.
Frage: Wie wollen Sie junge Familien beim Vermögensaufbau unterstützen?
Dürr: Wir müssen Ihnen den Erwerb von Eigenheimen erleichtern. Deshalb fordere ich: keine Grunderwerbsteuer mehr für selbstgenutzte Wohnimmobilien von Familien. Das ist die beste Altersvorsorge. Deutschland liegt bei der Wohneigentumsquote europaweit auf dem letzten Platz – das muss sich ändern.
Frage: Der Bundesvorstand berät am Wochenende die Ergebnisse Ihrer Mitgliederbefragung. Was hat Sie überrascht?
Dürr: Bestärkt hat mich, dass unsere Mitglieder die FDP klar als Reformpartei sehen. Wirtschaft, Bildung, Migrationspolitik – das sind entscheidende Themen. Besonders stark war der Wunsch, dass Kinderbetreuung endlich funktioniert. Und viele Menschen sind genervt, dass Politik Probleme nicht löst, sondern immer nur vertagt. Deshalb brauchen wir Reformvorschläge, wie meinen zu den Kitas. Die anderen Parteien bleiben das schuldig. Wir müssen den Beweis antreten, dass wir uns als Partei der Mitte nicht in wolkigem Politiksprech verlieren.
Frage: Sie sprachen kürzlich davon, die FDP müsse die Partei der „radikalen Mitte“ werden. Ist das nicht wolkiger Politiksprech?
Dürr: Nein. Radikal heißt mutig, ehrlich, pragmatisch. Die Kritik am Status quo darf nicht den Rändern überlassen werden. Aus der Mitte müssen konkrete Veränderungsvorschläge kommen.
Frage: War die FDP in den letzten Jahren nicht radikal genug?
Dürr: Wir müssen uns programmatisch erneuern. Der Reformbedarf ist massiv gestiegen. Ich fürchte, die neue Regierung wiederholt die Fehler der Ampel: viel Gerede von Reformen, am Ende Stillstand. Statt einem Herbst der Reformen kommt ein Winter der Enttäuschung.
Frage: Zweimal ist die FDP jetzt nach Regierungsbeteiligung aus dem Bundestag geflogen. Kann die FDP überhaupt noch regieren – oder hat sie das verlernt?
Dürr: Natürlich kann sie das. Die FDP hat den Anspruch, das Land zu verändern. Entscheidend ist, ein klares Reformprojekt zu haben. Viele Menschen sind offen für Veränderungen, aber enttäuscht vom fehlenden Mut der Politik. Wir wollen genau dieses mutige Angebot sein.
Frage: Neben der Mitgliederbefragung haben Sie auch eine interne Fehleranalyse durchgeführt. Was war der größte Fehler im letzten Wahlkampf?
Dürr: Die letzte Regierung hat nicht entschlossen genug auf den Ukraine-Krieg und die damit einhergehende Energie- und Wirtschaftskrise reagiert. Die Enttäuschung droht jetzt wieder. Richtig war, dass wir die Schleusen beim Geld nicht geöffnet haben.
Frage: Im kommenden Jahr stehen wichtige Landtagswahlen an, unter anderem in Baden-Württemberg, einst Hochburg der FDP. Ein Schicksalswahlkampf?
Dürr: Dort geht es nicht nur um die FDP, sondern um die Zukunft des Landes. Die Auto- und Zulieferindustrie leidet unter planwirtschaftlicher Politik und Bürokratie. Gerade Baden-Württemberg braucht eine FDP, die auf Technologieoffenheit und wirtschaftliche Dynamik setzt. Das macht diese Wahl so wichtig.