DÜRR-Interview: Zwei Jahre vor der Einschulung muss jedes Kind einen Test machen
Christian Dürr, FDP-Bundesvorsitzender, gab den Zeitungen der FUNKE Mediengruppe (Dienstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jochen Gaugele.
Frage: Die FDP ist aus dem Bundestag geflogen und liegt in den Umfragen stabil unter fünf Prozent. Hat es sich gelohnt, die Ampelkoalition zu sprengen, Herr Dürr?
Dürr: Die Entscheidung war damals: Gehen wir in die komplette Verschuldung oder gibt es echte Reformpolitik für Deutschland? Für uns war immer klar, dass man strukturelle Probleme nicht mit Geld ausmerzen kann. Diesen grundlegenden Fehler, statt Reformen nur Schulden zu machen, hat Friedrich Merz jetzt begangen. Mich wundert nicht, dass die aktuelle Koalition nach wenigen Monaten ähnlich unbeliebt ist wie die Ampel in der Schlussphase.
Frage: Wie viel Zeit geben Sie sich als Parteivorsitzender, um den Aufschwung zu schaffen? Bis zur nächsten Bundestagswahl?
Dürr: Für mich ist das ein Marathonlauf, aber die Landtagswahlen im kommenden Jahr sind wichtige Zwischenschritte – insbesondere in Baden-Württemberg, wo wir eine gute Ausgangsposition haben.
Frage: Im Wahljahr 2026 könnte die FDP aber auch ihre letzten beiden Regierungsbeteiligungen – Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt – verlieren. Welche Konsequenzen hätte das?
Dürr: Ich will auch diese Wahlen erfolgreich für die FDP bestreiten. Wir haben uns in den vergangenen Monaten erneuert. Ich würde nie wieder den Fehler machen, in eine Koalition zu gehen, die nicht mit echten Reformen verbunden ist. Wir erleben eine Zeitenwende des Parteiensystems. Auf der einen Seite sind Union, SPD und Grüne als Status-Quo-Lager, die nicht mehr ausreichend in der Lage sind, dem Land neue Vorschläge zu machen. Und das macht auf der anderen Seite die Extremisten von links und rechts stark. Ich will, dass die FDP der Gegenentwurf zu diesen Status-Quo-Parteien ist.
Frage: Sie scheitern in den unterschiedlichsten Konstellationen. Tut der FDP das Regieren generell nicht gut?
Dürr: Das stimmt so nicht. Ich selbst habe zehn Jahre Regierungsverantwortung in Niedersachsen mitgetragen. Damals haben wir in einer Koalition mit der CDU große Reformen gemacht und etwa die Bezirksregierungen komplett abgeschafft. Wenn die FDP den Mut zu Veränderungen aufbringt, ist sie auch erfolgreich. In Niedersachsen standen wir nach zwei Regierungsbeteiligungen bei zehn Prozent.
Frage: Die Sorge wächst, dass 2026 das Jahr der ersten Regierungsbeteiligung für die AfD werden könnte. Was tun Sie, damit es nicht so weit kommt?
Dürr: Ich trete nicht an, um etwas zu verhindern, sondern um Gegenvorschläge zu machen, die das Land wirklich voranbringen.
Frage: Was sagen Sie jenen, die einen AfD-Verbotsantrag organisieren?
Dürr: Rufe nach einem AfD-Verbot sind grundfalsch und sollen vom eigenen Versagen ablenken. Ich habe vor, mit der FDP den politischen Wettbewerb gegen Extremisten zu gewinnen.
Frage: Halten Sie die Brandmauer aufrecht?
Dürr: Ich halte nicht viel von Brandmauer-Debatten, die extremistische Parteien ins Zentrum rücken – ob AfD oder Linkspartei.
Frage: Sie setzen AfD und Linke gleich?
Dürr: Nein, ich setze die nicht gleich. Aber ich erkenne in AfD und Linkspartei gleichermaßen eine Gefahr. Mir geht es darum, den Extremisten etwas entgegenzusetzen. Beispiel Migrationspolitik: Die Linke sagt „Alle rein“, die AfD sagt „Alle raus“. Da muss es doch eine sinnvolle Position einer Partei der Mitte geben.
Frage: Was verstehen Sie darunter?
Dürr: Wir müssen die Frage anders stellen: Welchen Vorteil haben wir in Deutschland von Einwanderung? Wir brauchen händeringend Arbeitsmigration, aber keine Migration in die sozialen Sicherungssysteme. Mein Leitmotiv ist: Es muss leichter sein, nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen, um nicht zu arbeiten. Mit dieser Haltung kann man Millionen von Wählern in Deutschland gewinnen.
Frage: Sie müssen noch sagen, wie Sie das hinbekommen wollen.
Dürr: Für Migranten muss der Arbeitsmarkt, aber nicht der Sozialstaat offenstehen. Es dauert zwei Sekunden, um an der Grenze „Asyl“ zu sagen, aber teilweise zwei Jahre, um ein Arbeitsvisum in Deutschland zu bekommen. Es muss innerhalb kurzer Zeit möglich sein, einen Aufenthaltstitel zu bekommen, wenn man in Deutschland einen Arbeitsvertrag hat und Steuern und Abgaben zahlt. Als Herr Merz diese Stadtbild-Debatte angezettelt hat, ging es viel um die Frage: Wie sehen Menschen aus, die am Bahnhof herumlungern? Die zentrale Frage lautet aber: Warum lungern überhaupt Leute am Bahnhof rum und warum arbeiten die nicht?
Frage: Verstehen wir Sie richtig: Sie wollen sämtliche Sozialleistungen für Migranten streichen?
Dürr: Sozialleistungen müssen wir dann gar nicht mehr zahlen, denn mein Ziel ist Zuwanderung über den Arbeitsmarkt und nicht mehr über das Asylsystem. Wenn aber entschieden ist, dass jemandem bei uns Schutz gewährt wird, muss derjenige direkt in den Arbeitsmarkt gehen. Wenn jemand nicht bereit ist, durch eigene Leistung sein Einkommen zu bestreiten, hat er bei uns keine Zukunft und muss ausreisen. Dadurch wird es viel attraktiver sich gleich direkt um ein Arbeitsvisum zu bewerben als nach Asyl zu fragen. In den vergangenen Jahren sind dreimal so viele Menschen über das Asyl- und Flüchtlingssystem nach Deutschland gekommen als über den Arbeitsmarkt. In Schweden ist das umgekehrt. Das zeigt, dass sich Grundlegendes verändern müssen – übrigens auch im Bildungssystem.
Frage: Konkret?
Dürr: 40 Prozent der Kinder, die in eine deutsche Grundschule aufgenommen werden, haben einen Migrationshintergrund. In den Städten sind es teilweise 70 bis 80 Prozent. Auch da brauchen wir klare Maßgaben: Jedes Kind in der ersten Klasse einer Grundschule – ganz gleich, in welchem Bundesland – muss Deutsch sprechen können. Zwei Jahre vor der Einschulung muss jedes Kind einen Test machen, und wer keine ausreichenden Deutschkenntnisse hat, muss verpflichtend nachgeschult werden.
Frage: Wäre Christian Lindner noch Finanzminister, würde er jetzt fragen, woher das Geld für ein flächendeckendes Nachhilfeprogramm kommen soll.
Dürr: In der Tat hat man das, was ich gerade zur Bildung gesagt habe, von der FDP früher so nicht gehört. Der Staat muss zurückgebaut werden aber ich will, dass wir an einer Stelle einen sehr starken Staat haben: in der Bildungs- und Schulpolitik. Hier versagen alle – die Bundesregierung und leider auch viele Landesregierungen. Würde man nur einen Bruchteil der neuen Schulden dafür verwenden, dass jedes Kind Deutsch spricht, hätten wir mehr erreicht als mit lauter Subventionen und Sozialleistungen. Wir müssen alles Verfügbare in Bildung stecken. Ich bin davon überzeugt, dass der Staat ein Versprechen geben muss: Jeder hat die gleichen Chancen zu Beginn seines Lebens – unabhängig vom Elternhaus.
Frage: Beraten Sie sich noch mit Christian Lindner?
Dürr: Ich habe meinen eigenen Stil und meinen eigenen Weg. Im Vergleich zu anderen Parteien habe ich das Glück, einen Vorgänger zu haben, der mir nicht reinredet oder von der Seitenlinie kluge Ratschläge gibt.
Frage: Wird Lindner eine Rolle spielen bei den kommenden Wahlkämpfen?
Dürr: Christian Lindner hat sich nach der Wahl aus der Politik zurückgezogen und konzentriert sich auf andere Aufgaben. Die Situation ist jetzt auch eine komplett andere als 2013. Die Menschen in Deutschland spüren derzeit mehr denn je, dass es grundlegende, radikale Veränderungen braucht. Als Parteivorsitzender liegt mir jetzt daher viel daran, auch inhaltlich neue, konkrete Vorschläge für die notwendigen Reformen zu machen.