KÖRNER-Interview: Dem Abbau der Demokratie in Europa müssen wir stärker entgegentreten

Das FDP-Präsidiumsmitglied Moritz Körner gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Moritz Küpper:

Frage: Am Telefon ist nun Moritz Körner (FDP), Abgeordneter im Europäischen Parlament, auch Generalsekretär seiner Partei in Nordrhein-Westfalen. – Guten Morgen!

Körner: Guten Morgen, Herr Küpper! – Ich grüße Sie.

Frage: Herr Körner, aus Sicht der Europäischen Union, des Europäischen Parlaments, aus Brüsseler Sicht – macht Ihnen die Entwicklung in Polen Hoffnung oder Sorge?

Körner: Beides! Ich glaube, gestern war ein sehr hoffnungsvoller Tag. Wenn hunderttausende Menschen auf die Straße gehen und für die Demokratie in Polen demonstrieren, dann ist das, glaube ich, etwas, was uns berührt. Wenn man gerade auch Ihrer Reportage zugehört hat, dann macht mich das auch sehr hoffnungsfroh. Aber wir müssen ganz klar sehen: Der Auslöser hat große Sorgen ausgelöst, übrigens nicht nur in Brüssel. Auch die US-Regierung hat sich da entsprechend kritisch eingelassen, denn diese Untersuchung, dieser Untersuchungsausschuss zur russischen Einflussnahme, das ist kein Untersuchungsausschuss, wo es um Aufklärung geht, sondern das ist ein Scheingericht, wo am Ende Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen werden sollen. Das besorgt mich sehr, denn jeder Versuch, da tatsächlich unrechtsstaatliche Verfahren, diese Ausschlüsse, vorzunehmen, der würde die Wahlergebnisse im Herbst wirklich in Zweifel ziehen. Und da müssen wir sehr genau draufschauen.

Frage: Die Opposition sagt, es geht um die Verteidigung von Freiheit und Demokratie. Hat sie recht?

Körner: Ja! Ich glaube, soweit muss man gehen, wenn man sich die Lage in Polen anschaut in den letzten Jahren, nicht nur jetzt mit diesem Scheingericht, was Kandidaten ausschließen soll, sondern ja auch verschiedenste Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, was die Unabhängigkeit der Justiz angeht, Angriffe auf die Medienfreiheit in Polen, die wir in den letzten Jahren erlebt haben. Da ist tatsächlich ein Angriff auf die polnische Demokratie unterwegs und deswegen muss Europa da auch sehr genau hinschauen. 

Frage: Ist Polen, die polnische Regierung mittlerweile ein Gegner von Europa?

Körner: Ich glaube, die polnische Regierungskoalition sieht sich so, hat ja auch immer wieder sich rhetorisch genauso eingelassen und positioniert sich dagegen, hat auch die Unabhängigkeit der Gerichte angegriffen und dann zum Beispiel mit diesen, von PiS-Politikern besetzten Gerichten zum Beispiel auch den Vorrang des EU-Rechts in Zweifel gezogen. Ich glaube, ja, so positioniert sich zumindest diese Regierung, und ich glaube, das ist etwas, was wir mit sehr viel Ernst beobachten müssen. Da wird ein Stück weit das Vorbild Viktor Orbán genommen und da positioniert man sich gegen Europa und versucht gleichzeitig, den Staat, die Demokratie sich zu eigen zu machen. Und diesen Prozessen, diesem Abbau der Demokratie in Europa, dem müssen wir stärker entgegentreten.

Frage: In der Frankfurter Rundschau hieß es heute Morgen, auch nachzuhören in unserer Presseschau, die EU darf nicht vor dem erneuten Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat einknicken, den dieses Gesetz darstellt. Aber was kann die EU denn tun, ohne sich zu stark in innenpolitische Angelegenheiten einzumischen, auch ohne in diesen Wahlkampf einzugreifen?

Körner: Das ist genau die Herausforderung. Wir können ja die Demokratie nicht vorschreiben. Hier ist sich schon tatsächlich sehr klar, sehr deutlich von der Kommission positioniert worden, dass dieses Scheingericht ein schwerer Angriff wäre auf die Demokratie. Wir haben in den letzten Jahren viele Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gesehen, wo die Kommission das auch ganz konkret angemahnt hat.

Frage: Heute steht da ja unter anderem eine Entscheidung an.

Körner: Da steht heute wieder eine Entscheidung an. Wir haben heute wieder eine Entscheidung zur Unabhängigkeit der Justiz in Polen, und das ist ja nicht die einzige. Da hatten wir sehr viele in den letzten Jahren. Wir sehen aber, dass unsere Instrumente rechtsstaatliche Instrumente sein müssen. Das heißt, sie müssen auch entsprechend vor den Europäischen Gerichtshof gehen. Das würde gar nicht so schnell gehen, vor der nächsten Wahl. Insofern hoffe ich schon, dass auch jetzt mit dieser Demonstration, mit der internationalen Kritik, auch mit der Positionierung und auch mit dem klaren Hinweis aus Brüssel, dass die polnischen Regierungsparteien von diesen Plänen absehen. Sie würden auf jeden Fall die Legitimität der Wahlergebnisse in sehr, sehr ernste Zweifel ziehen.

Frage: Aber wird nicht genau das Gegenteil passieren, heute nach dieser Entscheidung, egal wie sie ausfällt, und auch nach jeder Ihrer Äußerungen, jeder Kritik, dass die PiS-Regierung das im Wahlkampf als Angriff brandmarken wird und für sich, für ihre Zwecke nutzen will?

Körner: Das kann man so sehen. Ja, das ist das Dilemma, in dem wir immer stecken. Ich höre immer sehr stark, wenn ich mit Oppositionellen in den Ländern spreche, in Polen und in Ungarn, dann höre ich immer, es braucht auch die klare Sprache aus Brüssel. Es muss deutlich sein, dass dieses Handeln der entsprechenden Regierungen Konsequenzen hat. Das hat es ja zum Beispiel auch im Fall von Polen jetzt, indem Kohäsionsgelder gesperrt wurden, weil die polnische Regierung nicht die Achtung der Grundrechte-Charta anerkannt hat, weil Gelder aus dem Wiederaufbaufonds gesperrt sind aufgrund der Unabhängigkeit der Justiz, die nicht eingehalten ist. Das heißt, es hat schon sehr, sehr konkrete Folgen mittlerweile. Und die wurden immer wieder eingefordert. Redet nicht nur, sondern es muss auch konkrete Konsequenzen haben für die Regierung, und das merken die Bürgerinnen und Bürger schon, wenn dann EU-Gelder fehlen.

Frage: Aber, Herr Körner! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Aber das sind so viele Schauplätze in der Auseinandersetzung zwischen Brüssel und Warschau, nenne ich es jetzt mal. Sollte die PiS-Regierung im Herbst bestätigt werden, stellt sich dann irgendwann eine grundsätzliche Frage der Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union?

Körner: Die Frage können wir ja nicht stellen.

Frage: Sie ist nicht vorgesehen, aber sie stellt sich vielleicht in der Praxis.

Körner: Natürlich! Die Grundfrage, Herr Küpper, da haben Sie völlig recht, schon mit Blick auf Ungarn müssen wir diese Frage stellen. Ich würde sogar sagen, bei Ungarn stellt sie sich noch viel dringender, denn in Polen sieht man eine sehr aktive Zivilgesellschaft. Das Land ist sehr polarisiert. In Ungarn ist der Schritt schon etwas weiter, ist das Justizsystem, ist die freie Presse, ist die Demokratie noch stärker beschädigt. Die OECD hat gesagt in ihrer Wahlbeobachtung, die Wahlen waren frei, aber nicht fair. Wir sagen im Europäischen Parlament, in einem Bericht haben wir beschlossen, dass Ungarn eine Wahlautokratie ist und natürlich stellt man sich die Frage, wie gehen wir eigentlich mit einem Mitgliedstaat um, der nicht mehr unseren demokratischen, rechtsstaatlichen europäischen Prinzipien entspricht. Wir können kein Mitgliedsland ausschließen. Ein Mitgliedsland kann nur selber gehen wie beim Brexit. Aber diese sehr, sehr grundsätzlichen Fragen stellen sich mittlerweile, denn die Europäische Union ist kein Bankautomat, sondern eine Wertegemeinschaft, und das müssen wir an dieser Stelle auch sehr, sehr deutlich in der Auseinandersetzung mit diesen Mitgliedstaaten sagen.

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