KUBICKI-Kolumne: Das Ende der politischen Glaubwürdigkeit
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für Cicero Online folgende Kolumne:
Friedrich Merz hat eigentlich Probleme genug: Die deutsche Volkswirtschaft steht unter enormem Druck, und seine Wirtschaftsministerin sieht das Land deswegen vor einem „Herzinfarkt“. Der Koalitionspartner tanzt ihm nicht nur auf der Nase herum, sondern diffamiert den Bundeskanzler in einer nie dagewesenen Form. Als der ehemalige ukrainische Botschafter den damaligen Kanzler Scholz als „beleidigte Leberwurst“ schmähte, habe ich noch öffentlich und sachlich korrekt festgestellt: „Olaf Scholz ist keine Wurst.“ Man war ja schließlich Koalitionspartner. Das hat immerhin für eine dpa-Meldung gereicht. Auf so viel Loyalität kann Merz nicht hoffen. Er erfährt die größten öffentlichen Schmähungen auch nicht von außen, sondern aus der eigenen Regierung. Teile des SPD-Fraktionsvorstandes beteiligten sich sogar an Demonstrationen gegen den Kanzler. Wenn dem eigenen Koalitionspartner dermaßen die Sicherungen durchbrennen, ist es eigentlich unerlässlich, den eigenen Laden in einigermaßen geordneter Verfassung vorzufinden. Aber Merz hat ein erhebliches Problem in den eigenen Reihen, und damit meine ich nicht die Truppe um Ruprecht Polenz, die verzweifelt, aber wirkungslos versucht, parteiintern die letzten Trümmer der Merkelschen Politik zusammenzuhalten. Merz’ Problem hat einen überraschenden Namen: Wolfram Weimer.
Dabei muss ich klarstellen, dass ich den Amtsantritt von Weimer durchaus positiv beobachtete – insbesondere im Vergleich zu seiner Vorgängerin Claudia Roth. Vor allem, weil er glaubhaft dafür stand, die Trennlinie zwischen Kulturpolitik und der Förderung von politischem Aktivismus klarer zu ziehen. Neue Antisemitismus-Skandale waren mit ihm nicht zu befürchten. Im Gegenteil: Er hat das strukturelle Problem in der staatlichen Kulturpolitik erkannt und klar adressiert.
Weimers Auftritt auf der Buchmesse hat mich hingegen politisch schwer irritiert. Das Schwadronieren über „digitale Raubzüge“ und das Betonen der Gefahren von KI war symptomatisch für die Hemmschuhe, die sich Deutschland immer wieder selbst anlegt – in etwa so sinnvoll wie die Warnung vor der Eisenbahn oder der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert. Der Fortschritt wird kommen, und die deutsche Politik hat nur die Wahl, ob sie dafür sorgt, dass unser Land davon mitprofitiert, oder ob wir uns mittelfristig aus dem Konzert der führenden Wirtschaftsnationen verabschieden. Dass Weimer hier für die zweite Variante plädierte, hätte ich nicht erwartet. Aber am Ende ist er halt ein Konservativer – sehr wohl aber ein streitbarer, und das ist es wiederum, was dem Land in seinen moralisch aufgeladenen Meta-Debatten zu sehr abgeht.
Leider können diese politischen Fragen hier nur als Fußnote herhalten, denn Wolfram Weimer wird nicht wegen seiner Politik zur Belastung, sondern wegen der Praktiken in seinem Medium The European. Das wurde als „Debatten-Portal“ mit „über 2000 Autoren“ beworben. Als Autoren gelistet waren dort etwa Papst Franziskus, Alice Weidel, Brad Pitt und Alexander Dobrindt – eine ziemlich wilde Mischung also. Die „Autoren“ von The European wussten bloß gar nichts von ihrer Mitarbeit bei Weimers Portal. Die Texte waren oft aus verschiedenen Quellen zusammengesammelt und dann als Beiträge auf der Plattform veröffentlicht. Digitale Raubzüge – war da was?
Der Umfang und die Dreistigkeit, mit der hier vorgegangen worden ist, sind nicht mit Schludrigkeit oder schlechtem Stil zu erklären. Es disqualifiziert die Verantwortlichen. Und verantwortlich war nun einmal Wolfram Weimer. Wie will ein Mann für die Integrität der deutschen Kulturpolitik werben, wenn er nicht einmal die Integrität seines Publikationsorgans wahren konnte? Und in Sachen Integrität sind im Zuge der Affäre noch weitere pikante Umstände ans Licht gekommen. Bei Amtsübernahme ließ die Weimer Media Group mitteilen, dass Weimer die Geschäftsführung niederlege und die Verlagsgruppe „verlasse“. Nun muss er einräumen, dass er weiterhin 50 Prozent des Unternehmens hält. Die anderen 50 Prozent hält seine Ehefrau, die auch die Geschäftsführung innehat. Bevor man das bewertet, muss man einmal festhalten, dass die ursprüngliche Mitteilung zumindest irreführend war. Man kann eine Verlagsgruppe nicht „verlassen“ und weiter mit 50 Prozent beteiligt sein.
Inhaltlich stellt sich die Frage nach einer Interessenkollision. Ob Weimer seine Regierungstätigkeit von seiner persönlichen und finanziellen Betroffenheit in einem Medienunternehmen trennen kann, mag man glauben oder nicht. Es sieht aber erst einmal nicht gut aus. Und verstärkt wird dies durch die irreführende Mitteilung, er habe das Verlagshaus verlassen. Hier manifestiert sich auch eine bedenkliche Unwucht in den deutschen Transparenzregelungen. Während Abgeordnete umfassend öffentlich Rechenschaft über Interessenkollisionen ablegen müssen, kommt ein Kulturstaatsminister mit so etwas durch. Das Misstrauen gegen die Parlamentarier ist also größer als gegen die Regierung. Neben Weimers persönlichem Versagen wird hier auch ein systemisches deutlich.
Weimer und sein Verlagshaus haben den Vorwürfen bis jetzt nichts Substanzielles entgegensetzen können. Die Hilflosigkeit zeigte sich auch in der Erklärung, es sei ein Angriff aus „rechten Kreisen“. Denn es spielt schlicht keine Rolle, ob die Vorwürfe von links, rechts oder von der amerikanischen Regierung kommen – wie manche schon orakeln. Entscheidend ist, ob die Vorwürfe stimmen. Und da ist die Erklärung, man habe ja keine Texte geklaut, sondern nur „dokumentiert“, einigermaßen kurios. Denn zu oft soll der Hinweis auf die Quelle, die „dokumentiert“ wird, nicht gegeben gewesen sein. Und wenn ein Geschichtsmagazin eine Rede von Wilhelm II. dokumentiert, würde es wohl kaum auf die Idee kommen, ihn als „Autor“ zu listen. Und wenn es das tun würde, kann man das Magazin getrost zur Seite legen. Man hat es offensichtlich mit einem größenwahnsinnigen Publikationsorgan zu tun.
Der Blogger Alexander Wallasch, der die Vorwürfe zuerst erhoben hatte und mit den „rechten Kreisen“ offenbar gemeint war, hat nun Zweifel angemeldet, ob Wolfram Weimer tatsächlich während der Nelkenrevolution in Portugal war, wie er in einem Interview behauptet hatte. Tatsächlich legt sein Lebenslauf etwas anderes nahe. Es stellt sich also die Frage, ob der deutsche Kulturstaatsminister ausgerechnet im Thomas-Mann-Jahr allzu sehr Felix Krull nacheifert. Die Vorgänge um The European gleichen ohnehin einer modernen Köpenickiade – mehr Schein als Sein. Das ist allerdings der einzige kulturpolitische Mehrwert dieser Geschichte.
Wolfram Weimer ist immer noch im Amt, und man versteht nicht so recht, warum. Wenn man sich vor Augen führt, wofür Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan oder Christian Wulff zum Rücktritt gedrängt wurden und mit welcher Selbstverständlichkeit in der Weimer-Affäre zur Tagesordnung übergegangen wird, stellt sich die Frage, ob die Maßstäbe nicht zu sehr ins Wanken geraten sind.
Friedrich Merz hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das hat er sich in weiten Teilen selbst eingebrockt – und zwar schon unmittelbar nach der Wahl, als er den Weg zur weiteren Verschuldung ebnete und herauskam, dass er diesen Bruch seines Wahlversprechens schon vor dem Urnengang vorbereitete. Sein ramponiertes Image verträgt in Fragen der Glaubwürdigkeit eigentlich keine großen Dellen mehr. Oder anders formuliert: Friedrich Merz kann sich Weimer als Kulturstaatsminister nicht mehr leisten. Es sei denn, er – der Kanzler – erklärt der deutschen Öffentlichkeit, wie sich das Geschäftsgebaren Weimers mit einer Position in seiner Regierung verträgt. Merz hat ein Problem und es sitzt eine Etage unter ihm.
Schon bei Karl Lauterbach fragten sich viele Bürgerinnen und Bürger, ob keine Verfehlung mehr ausreichend ist, um politische Verantwortung – und damit den Rücktritt – einfordern zu können. So vertieft sich die Kluft zwischen Regierten und Regierenden, und es leidet die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt.