KUBICKI-Kolumne: Die unkluge Rede des Frank-Walter Steinmeier

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für Cicero Online folgende Kolumne:

Anfang der 1980er Jahre war ein junger Student aus Gießen Redakteur bei der Publikation Demokratie und Recht – einer linken juristischen Fachzeitschrift, die in einem Verlag erschien, der maßgeblich aus der DDR finanziert wurde. Diese Publikation stand wegen ihrer scharfen Kritik am sogenannten Radikalenerlass unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Zeitschrift und Verlag sind inzwischen liquidiert. Der junge Student aus Gießen, dessen Fachbeiträge damals selbstverständlich auch staatlich auf Verfassungstreue hin ausgewertet wurden, ist unser heutiger Bundespräsident: Frank-Walter Steinmeier.

Ich erzähle das nicht, um unserem Staatsoberhaupt Jugendsünden vorzuhalten. Inhaltlich halte ich die Kritik am Radikalenerlass auch nicht für einen Sündenfall. Auch ich habe ihn damals erbittert bekämpft – und meine Haltung hierzu bis heute nicht geändert. Frank-Walter Steinmeier – so scheint es – schon.

Der Bundespräsident hat eine Rede zum 9. November gehalten, an der ich viel Kritik habe. Und diese Kritik hat ganz grundsätzliche Ursachen. Denn es ist schon einigermaßen bemerkenswert, wenn ein deutsches Staatsoberhaupt vor den Gefahren für die Demokratie durch Extremisten warnt – und damit an einer zentralen Stelle der Rede offensichtlich nur den Rechtsextremismus meint. Anders ist die Passage, in der der Bundespräsident die Unterschiede zwischen Extremisten und bürgerlicher Politik aufzeigen will, nicht zu verstehen, in der er unter anderem sagt: „Extremisten hängen einer völkisch-autoritären, im Kern menschenfeindlichen Ideologie an.“ Was soll das heißen? Dass es nur völkisch-autoritären Extremismus gibt? Hat unser Staatsoberhaupt bei einer Rede am „deutschen Schicksalstag“, dem 9. November, vergessen, dass die Weimarer Republik von rechts und links erdrosselt wurde? Dass Adolf Hitler die Macht nicht hätte ergreifen können, wenn die republikstützenden Kräfte eine parlamentarische Mehrheit gehabt hätten?

Interessanterweise weicht die vom Bundespräsidialamt veröffentlichte Rede an dieser Stelle von der tatsächlich gehaltenen Rede ab. Statt „Extremisten“ heißt es dort: „Rechtsextremisten hängen einer völkisch-autoritären, im Kern menschenfeindlichen Ideologie an.“ Irgendjemand in Bellevue scheint die Problematik dieser Aussage entweder schon vor oder nach der Rede erkannt zu haben. Aber: Das Wort „linksextrem“ kommt in der veröffentlichten Rede kein einziges Mal vor. Extremismus und Rechtsextremismus sind für den Bundespräsidenten in diesem Redeteil Synonyme. Und das ist erst der Beginn der Probleme.

Frank-Walter Steinmeier hat an diesem Tag – dem wohl kompliziertesten aller Gedenktage im erinnerungspolitischen Kontext – eine parteipolitische Rede gehalten. Genauer gesagt: eine Rede über eine Partei. Das hat jeder so verstanden, ohne dass er den Namen dieser Partei aussprechen musste. Das ist ihm nicht verboten; das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundespräsidenten aufgrund seiner Stellung einen sehr weiten Spielraum für Äußerungen im amtlichen Zusammenhang zugestanden. Klug war diese Rede trotzdem nicht. Denn wenn ein Bundespräsident sich schon so weit auf das Feld der Parteipolitik begibt – was in der Verfassungspraxis der Bundesrepublik stets unüblich war –, sollte er darauf achten, diese Äußerungen aus dem amtsbedingten symbolischen Kontext seiner Aufgaben herauszuhalten.

Steinmeier hat das nicht getan. Er hat den symbolischen Kontext des 9. Novembers bewusst für eine Rede über die AfD gewählt. Und das ist der schwerwiegendste Fehler, den er an diesem Tag begangen hat. Die AfD ist nicht die NSDAP. Die ständige Gleichsetzung der AfD mit der Nazi-Partei halte ich für unverantwortlich, ahistorisch und in letzter Konsequenz gefährlich. Sie führt dazu, dass das Bild des Nationalsozialismus in der öffentlichen Debatte verzerrt und verharmlost wird. Es ziehen derzeit keine SA-Schlägertrupps durch die Straßen, die Gewalt stiften und politische Gegner ermorden.

Die AfD ist in weiten Teilen tatsächlich ein irrer Haufen. „Gärig“ nannte sie einst Alexander Gauland – „übergärig“ trifft es spätestens seit Frauke Petrys erfolgreichem Machtkampf gegen Bernd Lucke wohl besser. Es ist richtig, dass die AfD schon damals eine Verächtlichmachung der Parteiendemokratie gepflegt hat, die mit dem Leitbild des Grundgesetzes nicht vereinbar ist. Ebenso stimmt es, dass die Radikalisierung der AfD seither jährlich an Fahrt aufgenommen hat. Auch hat sich der Parteiflügel um Björn Höcke ein festes ideologisches Fundament gezimmert, das antiliberal und völkisch geprägt ist. Antiliberale Strömungen gibt es in vielen politischen Parteien Deutschlands; die völkische in dieser Form ist jedoch ein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Schaut man sich hingegen das Vorsitzenden-Duo um Alice Weidel und Tino Chrupalla an, würde ich ersterer kein völkisches Gedankengut unterstellen – und letzterem überhaupt kein durchdachtes ideologisches oder theoretisches Fundament andichten wollen.

In dieser Gemengelage einen Bezug zu der politischen Partei herzustellen, die für die fabrikmäßige Ermordung von Millionen Menschen und den verheerendsten Krieg auf europäischem Boden verantwortlich ist, führt zu einer gefährlichen Abnutzung des Begriffs „Nazi“. Er wird zunehmend entkernt und losgelöst von der verbrecherischen Realität, die keine Begleiterscheinung des Nationalsozialismus war, sondern sein eigentliches Wesen.

Wenn ein Bundespräsident so parteiisch auftritt, muss er mit deutlichem Widerspruch rechnen. Und den hat er sich in der Sache redlich verdient. Denn wer jetzt einem Parteiverbotsverfahren das Wort redet, muss sich auch mit den tatsächlichen und juristischen Gegebenheiten auseinandersetzen. Wer glaubt, dass das zusammengestümperte Dossier des Verfassungsschutzes für ein Verbot reicht, wird sich bitter getäuscht sehen müssen. Wir reden hier wohlgemerkt von jener dem Bundesinnenministerium unterstehenden Behörde, die einst auch die Publikation beobachtete, für die Steinmeier Redakteur war.

Was also ist die Grundlage für ein Verbot? Erwarten die Befürworter etwa, dass in einem möglicherweise vom Gericht zu treffenden Beschluss die Durchsuchung der AfD-Zentrale angeordnet wird? Und was glaubt man dort zu finden? Hakenkreuzfahnen, geheime Umsturzpläne – oder irgendetwas, das das im Verbotsverfahren relevante Merkmal des „aggressiv-kämpferischen Auftretens“ gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung untermauern könnte?

Ich empfehle außerdem die Lektüre zum Verbot der „Sozialistischen Reichspartei“, des einzigen erfolgreichen Verbots einer rechtsextremen Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Man wird beim Lesen des Urteils schnell merken, dass wir es hier mit einer ganz anderen Kategorie von Partei zu tun haben: voll antijüdischer Hetze, klar antirepublikanisch und streng nach dem Führerprinzip aufgebaut und kontrolliert.

Ein Verbotsverfahren wird das Vertrauen in die Demokratie nicht zu neuen Höhenflügen führen. Im Gegenteil: Es wird Vertrauen weiter einreißen – nicht nur, aber insbesondere im Osten Deutschlands. Ein Bundespräsident sollte so etwas spüren; notfalls sollte er sich mit Leuten umgeben, die es ihm sagen. Das ist offenbar nicht der Fall, und das ist bedauerlich. Ich würde Frank-Walter Steinmeier persönlich wünschen, dass er es noch schafft, seiner Präsidentschaft ein substantielles Erbe zu verleihen. Mit solchen Reden wird er jedoch das Gegenteil erreichen.

Eines hat der Bundespräsident mit seiner Rede aber immerhin erreicht: Ganz Deutschland redet wieder über die AfD – in einer Weise, die ihr weiteren Zulauf bringen wird. Und das ist schon deswegen bemerkenswert, weil diese Partei im Moment einen harten inneren Konflikt öffentlich austrägt. Sie ist in entscheidenden außenpolitischen Fragen völlig orientierungslos und chaotisch – und bei innenpolitischen Fragen sieht es nicht anders aus. Die AfD ist mit der gleichen Inbrunst für und gegen die Wehrpflicht, was ein besonderes Kunststück ist. Sie ist, ganz sachlich und ohne moralischen Furor betrachtet, einfach nicht regierungsfähig. Aber statt darüber zu reden, reden wir über sie – wegen einer wirklich schlechten Rede des Bundespräsidenten. Vielleicht besorge ich mir mal einen der Beiträge Steinmeiers aus Demokratie und Recht. Sie können eigentlich nur besser gewesen sein.

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