KUBICKI-Kolumne: Ein Lehrstück über Heuchelei und Doppelmoral

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für Cicero Online folgende Kolumne:

Es steht für mich – und für jeden, der Friedrich Merz kennt – völlig außer Frage, dass er selbstverständlich kein Rassist ist. Dieser Vorwurf ist bösartig und, gerade wenn er von politischen Profis erhoben wird, nur mit Niedertracht zu erklären. Aber zu Lars Klingbeil kommen wir später.

Der eigentliche Vorwurf, den man Friedrich Merz machen muss, ist nicht, dass er auf einer Pressekonferenz eine etwas unscharfe Formulierung gewählt hat. Das Problem liegt darin, dass er, nachdem ihm eine unlautere Intention unterstellt wurde, seine Aussage nicht in den richtigen Kontext gestellt hat. So erreichte die Öffentlichkeit nicht seine tatsächliche Botschaft zur Migration, sondern die bereits entsprechend geframte, böswillige Interpretation. Wenn in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, der Kanzler störe sich an bestimmten Hautfarben im Stadtbild, darf das einen deutschen Regierungschef nicht kaltlassen. Schon gar nicht sollte er trotzig reagieren und auf Nachfragen von Journalisten eine Klarstellung verweigern. Dass er die Debatte am Mittwochabend ausgerechnet aus London einfangen musste, unterstreicht ein gewisses politisches Unvermögen – bemerkenswert für einen Mann, der seit 1989 jeden deutschen Kanzler als aktiver Politiker begleitet hat.

Als schließlich eine Klarstellung erfolgte, war die Diskussion bereits so weit entgleist, dass die bloße Rekapitulation fast wie politische Satire wirkte. Da ist zum Beispiel Luisa Neubauer, deren Markenzeichen eine nahezu grenzenlose Flexibilität im politischen Aktivismus ist. Mit ihrem untrüglichen Gespür für populistische Inszenierung rief sie zur Demonstration vor dem Konrad-Adenauer-Haus auf. Merz hatte zuvor darauf verwiesen, man könne „die Töchter“ fragen, was er mit seiner Stadtbild-Aussage gemeint habe. Neubauer dürfte sofort erkannt haben, dass sie sich nun zur Sprecherin aller deutschen Töchter aufschwingen kann – denn Sprecherin der „jungen Generation“ kann man schließlich nicht ewig bleiben. Vermutlich hatte sie sich eine größere Resonanz erhofft, doch Empörung lässt sich nun einmal schwer verordnen.

Das musste auch Katrin Göring-Eckardt erfahren. Sie wollte etwas Positives zur Migration im Stadtbild beitragen – und fiel dabei unsanft auf die Nase. Auf X postete sie ein Bild eines vegetarischen Döners mit weißer Soße und schrieb: „Ich hatte heute Stadtbild. Töchter waren keine.“ Viele empfanden das als herablassend, manche sogar als rassistisch. Überheblich und dumm war es allemal. Doch anders als Merz versuchte Göring-Eckardt, ihre Aussage zu erklären – und redete sich am nächsten Tag um Kopf und Kragen: Ohne die Dönerläden gäbe es „in der ostdeutschen Provinz“ kaum Treffpunkte. Die Betreiber seien oft „die einzige Anlaufstelle weit und breit“. Das dahinterstehende Weltbild lässt sich leicht zusammenfassen: Wären die Türken nicht so gute Dönerverkäufer, stünde der Osten schlecht da. Einmal Döner mit allem, bitte – für den sozialen Frieden in Ostdeutschland.

Dann kam da noch Lars Klingbeil. Auf einer Veranstaltung der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie äußerte er sich ebenfalls zum Thema Stadtbild: Politiker hätten die Verantwortung, nicht zu spalten, sagte er, und er wolle nicht in einem Land leben, in dem das Aussehen darüber entscheide, ob man dazugehöre oder nicht. Der entsprechende Videoschnipsel wurde sogar über die Kanäle des Bundesfinanzministeriums verbreitet. Eine bemerkenswerte Eskalation: Der Vizekanzler wirft dem Bundeskanzler damit implizit nicht nur gesellschaftliche Spaltung, sondern auch Rassismus vor. Spätestens an diesem Punkt, an dem die Debatte zur Regierungsfarce verkommen war, stellte sich die Frage: Worum ging es hier eigentlich noch einmal?

Lars Klingbeil scheint nicht begriffen zu haben, dass in Deutschland das Aussehen schon längst darüber entscheidet, ob man ins Stadtbild passt – etwa wenn Mitbürger jüdischen Glaubens mit Kippa durch bestimmte Stadtteile gehen oder homosexuelle Paare Händchen haltend unterwegs sind. Vielleicht sollte Katrin Göring-Eckardt ihren Döner in Thüringen einmal gegen Falafel in der Großstadt tauschen: In Neukölln reicht das Wort „Falafel“ auf Hebräisch auf einem T-Shirt bereits für einen Rauswurf in einem linken Café. Und die selbsternannte Sprecherin der deutschen Töchter Neubauer sollte sich fragen, wie es sein kann, dass wir 2024 über 127.000 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verzeichneten – 2015 waren es noch 46.000. Laut einer Auswertung aus Nordrhein-Westfalen sind Asylbewerber bei diesen Taten deutlich überrepräsentiert. Und was sagen jene, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Merz gefährdet sehen, zu den Menschen, die „Fuck you Germany“ skandieren und auf unseren Straßen für das Kalifat demonstrieren?

Wir schreiben das Jahr 2025. In Justiz, Wirtschaft, Politik und Medien gibt es zahlreiche erfolgreiche Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund – dafür muss man nicht in die thüringische Provinz fahren. Kürzlich traf ich einen Taxifahrer, geboren in der Türkei. Er erkannte mich, bedankte sich für meine politische Arbeit und sagte unverblümt mit Blick auf die Fehlentwicklungen in der Migration: „Herr Kubicki, halten Sie uns diese Leute vom Leib!“ So denken viele Deutsche – unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft. Das ist keine Frage des Rassismus, sondern eine der Verteidigung einer freien und lebenswerten Gesellschaft. Ich will ein Stadtbild, in dem sich alle wohlfühlen – egal, wo sie herkommen, was sie fühlen und wen sie lieben. Und es ist nicht vermessen zu unterstellen, dass der Imbissbetreiber von Katrin Göring-Eckart das auch will.

Abschiebungen sind dabei natürlich eine zu einfache Antwort, um dieses Ziel zu erreichen. Neben denen, die kein Bleiberecht haben und das Land verlassen müssen, müssen wir den Blick auf jene richten, die hier sind. Ich sage es deutlich: Parallelgesellschaften und Ghettoisierungen müssen mit aller staatlichen Härte aufgebrochen werden – etwa durch Wohnsitzauflagen, wo bestimmte Quartiere zu kippen drohen. Meine Fraktion hatte schon 2023, also lange vor ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag ein Papier unter der Federführung von Konstantin Kuhle erarbeitet, das genau dies forderte. Es ärgert mich, dass wir diese Debatte in Deutschland bis heute nicht entschiedener führen.

Ebenso müssen wir uns dagegen wehren, wenn islamistische Symbole – die für das Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung stehen – den öffentlichen Raum prägen. Die Vollverschleierung ist ein solches Symbol, und wir täten gut daran, sie im öffentlichen Raum nicht länger zu dulden – so wie es etwa Frankreich, Belgien, Dänemark, Italien oder Österreich handhaben.

Das sind die Debatten, die wir führen müssten – und die für Linke und Grüne besonders schmerzhaft sind, weil sie einige Lebenslügen berühren, auf denen ihre politische Identität fußt. Deswegen zwingen sie uns seit Tagen eine völlig abstruse Meta-Debatte auf. Es ist ein Lehrstück über Heuchelei und Doppelmoral. Das sollten wir uns nicht länger gefallen lassen.

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