LINDNER-Interview: Welche Fehler haben Sie gemacht, Herr Lindner?

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.

BamS: Am ersten Tag der Wiedereröffnung der Restaurants haben Sie ein Berliner Promi-Lokal besucht und in der Öffentlichkeit ohne Mundschutz Freunde umarmt. Keine Angst mehr vor Corona, Herr Lindner?

Lindner: Das war ein privates Abendessen. Bei der Verabschiedung bin ich spontan freundschaftlichen Gefühlen gefolgt. Das war ein Fehler, denn wir alle müssen uns an Regeln halten. Allerdings besorgt mich eine wachsende Gereiztheit.

BamS: Was meinen Sie damit?

Lindner: Wenn der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer mit Demonstranten diskutiert, bekommt er wegen fehlender Maske und mangelndem Mindestabstand eine Anzeige. Wo jemand unbedacht nachlässig ist, könnte man einen höflichen Hinweis geben. Es passt nicht zur menschlichen Natur, dass man den Wunsch unterdrücken muss, Freunde und Verwandte zu umarmen. Deshalb müssen wir diesen Zustand bald beenden.

BamS: Die Zahl der Neuinfektionen sinkt, die Maßnahmen werden gelockert, Deutschland legt wieder los. Ist die Krise vorbei?

Lindner: Wir werden länger mit Corona zu tun haben. Aber mit Hygieneregeln, einer Corona-App und an die regionale Lage angepassten Maßnahmen können wir hochfahren. Am Anfang war der Stillstand richtig, auf Dauer war die Rigorosität aber nicht verhältnismäßig. Stress in Familien, Angst vor Jobverlust, ausgefallener Unterricht und verschobene Operationen bergen Risiken. Bei der Bekämpfung einer Pandemie dürfen die sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Kosten nicht ausgeblendet werden.

BamS: Aber im internationalen Corona-Vergleich steht Deutschland sehr gut da.

Lindner: Ja, die staatliche Verantwortungsgemeinschaft hat funktioniert. Die Einschätzungen der Regierung wechselten aber. Masken galten zum Beispiel erst als unnötig, dann als Höflichkeitsgeste, nun sind sie Pflicht. Als Opposition fragen wir stets nach, welche Einschränkungen sinnvoll sind. Oft sind die Antworten unbefriedigend. Nach der Krise sollte das Corona-Management der Bundesregierung daher im Parlament aufgearbeitet werden. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, zu erfahren, auf welcher Basis die Regierung entschieden hat und warum unser Staat unzureichend vorbereitet war.

BamS: Wo vermuten Sie die größten Fehler?

Lindner: Beim Katastrophenschutz sind wir nicht auf der Höhe der Zeit. Ich hätte etwa nicht für möglich gehalten, dass wir zwar eine nationale „Erbsenreserve“ haben, aber kein Depot mit Millionen Schutzmasken.

BamS: Sind die Grenzkontrollen und weltweiten Reisewarnungen noch notwendig?

Lindner: Nein. Die Grenzen innerhalb Europas sollten geöffnet werden. Jeder weitere Tag schadet den Grenzregionen und dem europäischen Einigungsprojekt. Ich weiß nicht, worauf der Innenminister noch wartet. Auch der Sinn einer Reisewarnung für Österreich, Italien oder Kroatien erschließt sich mir nicht, wenn es dort kaum noch Neuinfektionen gibt und sich die Länder wieder für Touristen öffnen wollen.

BamS: Was halten Sie vom 500 Milliarden Euro schweren Wiederaufbauplan für die EU, den Merkel und Macron vorgelegt haben?

Lindner: Robert Habeck und Friedrich Merz haben den sofort pauschal begrüßt. Wir werden den Plan erst genau prüfen. Dass die Niederlande und Österreich nicht mitmachen wollen, ist ein Warnzeichen für uns. Ein falscher Anreiz zu unsolider Finanzpolitik könnte darin bestehen, dass die Gelder nicht zurückgezahlt werden müssen. Zudem sind die Bedingungen und Ziele unklar. Europa wird nicht stärker, wenn mit gemeinsamen Schulden wieder nur notwendige Reformen aufgeschoben werden. Und woher kommt diese gigantische Größe, die auch die Stabilität unseres Staatshaushalts berührt? Wir gehen davon aus, dass es für ein solches Projekt im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit braucht. Daher wäre es gut, wenn die Bundesregierung bald das Gespräch mit dem Parlament sucht.

BamS: Braucht es staatliche Zuschüsse für Urlaub in Deutschland, wie es Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vorschlägt?

Lindner: Ich würde gerne abwarten, ob das ein ernsthafter Vorschlag ist. Seine Ideen verändern sich rasch. Was ist zum Beispiel aus der Kabinettsumbildung geworden, die er mit großem Medienaufschlag gefordert hat? Ausfallende Wertschöpfung kann man jedenfalls nicht endlos mit immer neuen Rettungspaketen auf Pump ersetzen. Alles muss zurückgezahlt werden. Außerdem gerät die Balance von Staat und Privat aus dem Lot. Daher muss Ziel sein, das gesellschaftliche Leben zu normalisieren. Das ist die beste Wirtschaftsförderung!

BamS: Wie konnte Deutschland so schnell in die Krise rutschen?

Lindner: Die Pandemie ist eine Naturkatastrophe. Sie hat aber Defizite offengelegt, die es vorher gab. Bei der Handlungsfähigkeit des Staates, der Digitalisierung und der Zukunftsfähigkeit vieler Branchen. Vor Corona hat unser Land gerne über das bedingungslose Grundeinkommen und anderes debattiert, wir haben uns einer Wohlstandsillusion hingegeben. Jetzt sollten wir wieder darüber sprechen, wovon wir morgen leben wollen.

BamS: Bei der letzten Bundestagswahl hat die FDP 10,7 Prozent geholt. Jetzt krebsen Sie an der 5-Prozent-Hürde. Welche Fehler haben Sie gemacht?

Lindner: Alle Oppositionsparteien haben in der Krise Federn gelassen, es ist die Stunde der Regierung. Es kommt hinzu, dass der Typus des strengen Landesvaters gegenwärtig populär ist. Eine große Mehrheit der Menschen hat laut Umfragen kein Problem mit den Freiheitseinschränkungen. Aber auch wenn es gerade nicht den Applaus des Tages bringt, setzen wir uns für Bürgerrechte und Freiheit und Eigenverantwortung ein.

BamS: Kritiker sagen, die FDP sei zu weit nach rechts gerückt, bei manchen Themen fast in AfD Nähe.

Lindner: Wir wollen die Macht von Google und Amazon einschränken. Das gilt als links. Wir wollen Steuern und Bürokraie reduzieren. Das gilt als rechts. Wir wollen die nicht kommerzielle Leihmutterschaft so legalisieren wie die Spende einer Niere. Das gilt als links. Wir wollen eine Schulpolitik, die Leistungsfreude und Wirtschaftskenntnisse vermittelt. Das gilt als rechts. Ich kann also mit diesen Richtungsbegriffen nicht viel anfangen. Für mich steht der einzelne Mensch im Zentrum und die Frage, wie wir seine Chancen verbessern, sein Glück zu finden.

BamS: Ex-FDP-Ministerpräsident Kemmerich aus Thüringen hat an Corona-Protesten teilgenommen: Ist das eher rechts oder links?

Lindner: Das ist dumm. Liberale haben in der Nähe obskurer Kreise nichts verloren.

BamS: In NRW regiert die FDP mit Armin Laschet. Drücken Sie Ihrem Landsmann im Rennen um CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur die Daumen?

Lindner: Das ist Sache der CDU. Tatsächlich sehe ich aber das Tandem Laschet und Jens Spahn vorne. Armin Laschet hat Regierungserfahrung und Wahlen gewonnen. Beides unterscheidet ihn von seinen Wettbewerbern.

BamS: Könnten Sie sich eine Koalition mit Laschet auch im Bund vorstellen?

Lindner: Das entscheiden Inhalte, aber bei Armin Laschet könnten wir uns sicher sein, dass es Fairness gibt. Klar ist jedenfalls: Ich möchte als Vorsitzender meine Partei in die Regierung führen, am besten nach der nächsten Wahl. Beim CDU-Vorsitz sehe ich das Tandem Laschet und Jens Spahn vorne.

 

 

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