RÜLKE-Gastbeitrag: Überbürokratisierung in aller Radikalität begegnen

FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Hans-Ulrich Rülke MdL schrieb für „Cicero online“ folgenden Gastbeitrag:

Die Stimmung in der Bevölkerung und insbesondere im kleinen Mittelstand ist mies. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Politik nimmt immer mehr ab. Wer die Menschen noch mehr auf die Palme bringen will, der muss über Bürokratieabbau reden. Bürger und Unternehmen werden von bürokratischen Normen drangsaliert. Aber keiner glaubt mehr daran, dass die Politik Ankündigungen zum Bürokratieabbau auch tatsächlich Taten folgen lässt. Das komme von Brüssel, man könne nichts machen; so oder so ähnlich lauten die gängigen Ausreden.

Die baden-württembergische FDP hat sich in ihrem Wahlprogramm für die anstehende Landtagswahl im März 2026 auf die Fahnen geschrieben, der Überbürokratisierung nun in aller Radikalität und ohne Ausreden zu begegnen. Und das ist auch notwendig, wenn man nicht die Demokratie wie auch den europäischen Gedanken vor die Hunde gehen lassen will.

Die Bürger winken zunehmend genervt ab und wählen radikal. Die Großunternehmen wandern aus, und die kleinen Mittelständler sterben leise. Daneben wächst der Unmut insbesondere über das Tun einer inzwischen völlig weltfremden Brüsseler Blase um Ursula von der Leyen, die mit quasireligiösem Eifer immer absurdere Regelungen erfindet, die den Menschen die Zornesröte ins Gesicht treiben. Beispiele gefällig?

Sektenhafte Radikale in Brüssel

Bislang besteht die Möglichkeit, schwerkriminelle Mörder und Terroristen mit außereuropäischer Staatsangehörigkeit nach Strafverbüßung dauerhaft abzuschieben. Was haben die Eurokraten nun erdacht? Die Lebenslänglichkeit müsse weg. Wo kämen wir denn hin, wenn Mörder und Terroristen nicht nach spätestens zehn Jahren wieder in die EU einreisen dürften? Kein halbwegs normal denkender Mensch kann solche Gedankengänge nachvollziehen!

Oder die sogenannte EU-Transparenzrichtlinie. Als politische Partei kann man kaum noch (oder in manchen sozialen Medien gar nicht mehr) im Wahlkampf für sich und seine Ideen werben, weil die Regulatorik derart komplex und weltfremd geworden ist, dass man die Finger davon lassen muss. Anbieter verzichten lieber auf Werbeeinnahmen, als sich von diesen Bürokraten schikanieren zu lassen.

Diese sektenhaften Radikalen in Brüssel treiben es so weit, dass bald überall in Europa die Boris Johnsons nur so aus dem Boden sprießen werden: „Get Frexit done!“ oder „Get Dexit done!“ So gewinnen Nationalpopulisten bald möglicherweise nicht nur in England, sondern in ganz Europa Wahlen, und der europäische Gedanke liegt dann in Trümmern.

Lerneffekt? Null! Bemerkenswert, mit welcher Sturheit und Borniertheit Ursula von der Leyen beispielsweise alle ökonomischen und technologischen Einsichten aussitzt und ignoriert, den industriepolitischen Wahnsinn eines Verbrennerverbots 2035 zu korrigieren. Die Selbstgerechtigkeit dieser Frau wird nur noch von dem Schaden übertroffen, den sie der Wirtschaft der EU zufügt. Ihr Green Deal muss dringend auf den Prüfstand. Die Bürokratiegenerierungsmaschinerie ihrer Kommission schon längst!

Auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen Schubladen 

Mit den Mitteln der Landespolitik kann man an dieser Stelle wenig korrigieren – leider. Aber wir stellen fest, dass eine Vielzahl an Berichts- und Dokumentationspflichten aus Verordnungen der EU – und bedauerlicherweise auch des Bundes – erwächst. Aber für deren Umsetzung brauchen diese Herrschaften die Länder. In unserem Falle das Statistische Landesamt Baden-Württemberg (StaLa). Dieses erhebt dann im Auftrag der EU und des Bundes Daten, die auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen Schubladen verschwinden.

Für diese Datenerhebung haben die größeren Unternehmen Stabsstellen, die Kleinunternehmen sich aber nicht leisten können. Im kleinen Mittelstand und im Handwerk fragen sich viele immer wieder: Weshalb erheben die das nochmal? Das wissen die doch bereits! Und ja, vielfach nutzen auch die Länder die Gelegenheit und satteln noch eins drauf. Nach dem Motto: Wenn Brüssel oder der Bund was wissen will, hätten wir da auch noch eine Frage. Das sogenannte Goldplating!

Aus diesem Befund ergeben sich für das Land Baden-Württemberg aus Sicht der FDP drei Handlungsoptionen, um nicht zu sagen Handlungsnotwendigkeiten:

1.) Wir verbieten dem StaLa das Goldplating!

2.) Wir verbieten dem StaLa, Bürger und Unternehmen Dinge zu fragen, die der Staat schon weiß! Ja, hier muss der Liberale auch Abstriche beim Datenschutz machen. Es muss möglich sein, dass das Sozialamt in einem Rathaus oder Landratsamt das Jugendamt im selben Hause nach einer Information fragt.

3.) Wir verbieten dem StaLa generell, Berichts- und Dokumentationspflichten bei Kleinunternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten überhaupt noch zu erheben.

Der dritte Punkt ist durchaus heikel. Die Pflicht zur Erhebung dieser Daten erwächst aus europäischem und nationalem Recht. Dies zu verweigern, könnte rechtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Die EU bzw. der Bund könnte das Land vor Gericht zerren und die Erhebung dieser Daten einklagen. 

Das ist uns durchaus bewusst. Ich will aber unumwunden sagen, dass ich stolz auf meine Landespartei bin, dass unser Parteitag mit überwältigender Mehrheit beschlossen hat, diesen Weg zu gehen.

Es ist nämlich inzwischen so weit, dass so etwas wie ein demokratisches Notwehrrecht für die Bürger, für die Wirtschaft und für die ausführenden Bundesländer aus dem bürokratischen Irrsinn mancher Bürokraten in Brüssel und Berlin erwachsen ist. Der Wohlstand, der europäische Gedanke, ja letztlich die Demokratie stehen auf dem Spiel. Ich für meinen Teil wäre bereit, diese Auseinandersetzung vor Gerichten zu führen. Vielleicht käme die Dramatik der Lage dann noch mehr Menschen ins Bewusstsein; und vielleicht denken dann manche Bürokraten auch um, wenn sie sich dieser demokratischen Notwehr ausgesetzt sehen.

Demokratische Notwehr gegen bürokratischen Irrsinn

Daneben brauchen wir in Baden-Württemberg eine radikale Verwaltungsreform, die sich auch andere Bundesländer zum Vorbild nehmen könnten. Das Land verfügt über fünf Verwaltungsebenen (Ministerien, Regierungspräsidien,Regionalverbände, Landkreise und Kommunen), die sich gegenseitig kontrollieren und zu schwergängigen Prozessen führen. Das Tauziehen um die Fledermäuse im Eisenbahntunnel der Hermann-Hesse-Bahn zwischen dem Karlsruher Regierungspräsidium und dem Calwer Landratsamt führt inzwischen bundesweit zu wahlweise Erheiterung oder Entsetzen.

Wir schlagen nun vor, in einem zehnjährigen Verwaltungsreformprozess zwei dieser Ebenen zu streichen und deren Aufgaben neu zu verteilen. Die Kommunen müssen nach dem Subsidiaritätsprinzip gestärkt werden. Wir brauchen beispielsweise keine Landesbauordnung mehr. Diese setzen wir aus und vertrauen der Entscheidungskompetenz vor Ort.

Erst die Regionalverbände und dann die Regierungspräsidien entfallen komplett. Sie – wie die 44 Stadt- und Landkreise – gehen in 13 Regionalkreisen auf, die die meisten Kompetenzen dieser drei Ebenen erhalten.

Die Ebene der Landesregierung erhält zusätzlich die Zuständigkeit für den Straßenbau und den ÖPNV auf Landesebene. Der Flickenteppich der Verkehrsverbünde weicht einem einzigen Landesverkehrsverbund. Die Landesebene wird auch zur einzigen Revisioninstanz im Falle von Entscheidungsstreitigkeiten.

Ein durchaus notwendiges liberales Konzept

Über Straffung und Zusammenlegung von Aufgaben und konsequente Digitalisierung erhalten wir eine Effizienzrendite von 20 Prozent des Personals. Da die Boomergeneration auch in der baden-württembergischen Beamtenschaft in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand tritt, ist diese Effizienzrendite durch natürliche Fluktuation erreichbar.

Demokratische Notwehr gegen bürokratischen Irrsinn und eine disruptive Verwaltungsreform; das ist ein vielleicht radikal erscheinendes, aber durchaus notwendiges liberales Konzept, um in Baden-Württemberg den Wohlstand und die Akzeptanz der Demokratischen Ordnung zu erhalten und – gegen antidemokratische Kräfte – zu verteidigen.

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