RÜLKE-Interview: Die FDP ist viel klimafreundlicher als die Grünen
FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Hans-Ulrich Rülke gab der „Schwäbischen Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) und „schwaebische.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Dirk Gruppe und Ulrich Mendelin:
Frage: Herr Rülke, die Welt befindet sich in Aufruhr, in Berlin werden wichtige innen- und außenpolitische Entscheidungen getroffen – die FDP spielt aber keine Rolle. Wie sehr schmerzt das auch die Liberalen im Südwesten?
Rülke: Natürlich äußern wir uns auch zur Bundespolitik oder zur internationalen Politik. Als außerparlamentarische Opposition fällt das aber besonders schwer. Und das ist auch für uns als Landesverband nicht erfreulich. Wir müssen jedoch mit der Situation umgehen, und ich habe ja Erfahrungen damit und schon einmal einen Landtagswahlkampf geführt in Zeiten, in denen die Bundes-FDP außerparlamentarisch war.
Frage: Was haben Sie damals gemacht, um die FDP im Land trotzdem zum Erfolg zu führen?
Rülke: Man braucht eine gewisse Relevanz. Es ist immer schwierig, wenn die Leute sagen, die FDP wird sowieso nicht für die Regierungsbildung gebraucht. Das wird, denke ich, 2026 nicht der Fall sein. Und es war 2016 auch nicht der Fall, als es letztlich drei Alternativen gab. Zwei davon hätten mit der FDP stattgefunden. Eine davon war die Ampel, da habe ich gesagt, das mache ich nicht. Die zweite war die Deutschlandkoalition, das hat die SPD nicht gewollt, also blieb nur noch Grün-Schwarz. Aber die FDP war auf jeden Fall relevant und ich gehe davon aus, dass wir wieder relevant sein werden. Und zweitens glaube ich, wird es ein gewisses Interesse an der Landes-FDP geben.
Frage: Wieso glauben Sie daran?
Rülke: Weil es erkennbar sein wird, dass diese Landtagswahl eine Schicksalswahl für die Freie Demokraten insgesamt ist. Wenn die baden-württembergische FDP als der einzige Landesverband, der noch nie außerparlamentarisch war, der auch immer die besten Ergebnisse aller sechzehn Landesverbände abgeliefert hat, wenn der am 8. März mit einem guten Ergebnis abschneidet, dann wird das auch der Bundes-FDP wieder Auftrieb geben. Sollte der Landesverband Baden-Württemberg es aber nicht schaffen, dann wird auch niemand glauben, dass noch irgendein anderer Landesverband der FDP jemals wieder über die fünf Prozent kommt.
Frage: Spüren Sie den Druck?
Rülke: Diesen Druck gibt es, aber ich gehöre jetzt nicht zu den Leuten, die ihn als unangenehm empfinden. Das ist für mich eher ein Ansporn. Für die CDU ist diese Wahl aber auch elementar wichtig. Und auch für die Grünen, wenn sie ihren einzigen Ministerpräsidenten verlieren, wonach es aussieht, wäre das ein strategischer Meilenstein.
Frage: Bei der Bundestagswahl konnte die FDP lange hoffen, dass Wirtschaft das wichtigste Wahlkampfthema wird, schließlich dominierte aber doch wieder die Flüchtlingspolitik. Viel hängt auch diesmal von äußeren Einflüssen ab, oder?
Rülke: Man muss eben mit den Themen richtig umgehen. Sie hatten ja gefragt, wie wir 2016 reagiert haben. Niemand hat was anderes interessiert als die Flüchtlingskrise. Und es ist uns trotzdem gelungen, eine Position einzunehmen, die offensichtlich für die Bevölkerung überzeugend gewesen ist. Ich hatte damals für die FDP den Satz geprägt: Wir sind die Alternative für Demokraten. Das heißt, wir positionieren uns zwischen dem Zuwanderungsoptimismus einer Angela Merkel und der Fremdenfeindlichkeit der AfD. Und das hat offensichtlich gut funktioniert.
Frage: Aktuell ist das Top-Thema der FDP, einen XXL-Landtag verhindern zu wollen. Ein populäres, manche sagen populistisches Thema. Um einen Volksentscheid durchzusetzen, braucht es im laufenden Volksbegehren 770.000 Stimmen. Ist das überhaupt zu schaffen?
Rülke: Die Hürde ist tatsächlich sehr hoch. In den ersten vier Wochen haben wir etwa zehntausend Stimmen gesammelt. Hochgerechnet kämen wir auf etwa eine Viertelmillion. Das wäre bei Weitem nicht das, was wir brauchen, aber deutlich mehr als die Zahl der Unterschriften, die diese Landesregierung dazu gebracht hat, G9 wieder in den Schulen einzuführen. Das war ja auch eine Volksinitiative mit gut hunderttausend Unterschriften. Insofern ist unsere Hoffnung, entweder tatsächlich die Hürde zu überspringen oder zumindest so viele Unterschriften zu sammeln, dass die anderen Parteien im Parlament unter Druck geraten und das Wahlrecht beziehungsweise die Größenordnung des Parlaments doch noch ändern.
Frage: Die Landesregierung propagiert eine Politik des Gehörtwerdens, wie sie es nennt, mit Instrumenten wie der Dialogischen Bürgerbeteiligung. Mit dem Volksentscheid setzen Sie dagegen auf direkte Demokratie – und schwächen damit das Parlament?
Rülke: Es ist eine gesunde Herausforderung für Politik und Bürgerschaft, da einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Direkte Demokratie ergibt beispielsweise keinen Sinn beim Haushalt, also im Detail zu sagen: Jetzt stimmt das Parlament drüber ab, ob wir in Baden-Württemberg 140.000 oder 160.000 Lehrerinnen und Lehrer finanzieren. Aber solche Entscheidungen, bei denen die Bürgerschaft Einfluss nehmen kann auf das, was sie originär betrifft, wie hier ihre eigene Repräsentation im Parlament, da kann die direkte Demokratie funktionieren. In der Schweiz funktioniert das seit Jahrhunderten. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die Schweizer Demokratie in einer tiefen Krise steckt.
Frage: Hätten Sie sich beim Nationalpark Schwarzwald auch einen Volksentscheid gewünscht?
Rülke: Die Frage ist, wie Sie so etwas organisieren. Wenn Sie einen landesweiten Volksentscheid gemacht hätten, wäre sicher eine Mehrheit für den Nationalpark zustande gekommen, weil die Leute beispielsweise am Bodensee und im Main-Tauber-Kreis sagen: Der Nationalpark ist doch was Nettes. Aber klar erkennbar war eben auch, dass die Menschen, die dort leben, ihn mehrheitlich nicht wollen. Und ich halte es schon für sehr bedenklich, wenn eine Regierung sich aufs Panier schreibt, eine Politik des Gehörtwerdens machen zu wollen, dann feststellt, dass eine breite Mehrheit der Betroffenen gegen einen solchen Nationalpark ist und ihn trotzdem durchsetzt. Was hat sich dann geändert zu früher? Es war ja nicht so, dass es vor Herrn Kretschmann ein Denk- und Sprechverbot für die Bevölkerung gegeben hätte. Es war so, dass die Menschen ihre Meinung sagen konnten und im Parlament wurde entschieden. Und wenn Winfried Kretschmann jetzt erklärt: „Gehört werden heißt nicht erhört werden“, dann stellen wir schon die Frage: Ist das Ganze nur ein Etikett ohne Inhalt?
Frage: Um den Nationalpark ist zwischenzeitlich eine Art Kulturkampf entbrannt, ein grünes Vorzeigeprojekt …
Rülke: … das Vermächtnis von Winfried Kretschmann …
Frage: … ähnliches gilt für den Verbrennermotor, an dem die FDP festhalten will, ist das nicht rückwärtsgewandt?
Rülke: Wir setzen uns ja nicht für den Verbrenner ein in dem Sinne, dass wir noch in hundert Jahren mit Benzin und Diesel fahren wollen. Sondern wir wollen den umweltfreundlichen Verbrenner. Wir wollen den Verbrenner, der beispielsweise mit synthetischen Kraftstoffen betrieben wird. Die Grünen wollen dagegen keine synthetischen Kraftstoffe. Und die Grünen wollen ab 2035 die Neuproduktion von Verbrennungsmotoren verbieten. Wenn sie aber 2035 die Neuproduktion von Verbrennungsmotoren verbieten, haben sie weltweit immer noch 1,4 Milliarden Verbrenner, die über die Straßen fahren. Und wenn die Grünen dann gegen den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen sind, dann sind sie dafür, dass diese 1,4 Milliarden Fahrzeuge mit Benzin und Diesel bis zum Ende ihrer Lebensspanne laufen. Und deshalb ist die Mobilitätspolitik der Grünen ganz besonders umweltfeindlich. Die FDP ist sehr viel klimafreundlicher als die Grünen.
Frage: Kontrovers wird auch über den Mindestlohn debattiert, den die FDP ebenfalls kritisch sieht. Haben die Liberalen denn kein soziales Gewissen?
Rülke: Reden sie mal mit einem Spargelbauer und dessen Saisonarbeitskräften. Die Anbauflächen gehen immer weiter zurück. Warum? Weil sich’s nicht mehr lohnt angesichts des Mindestlohns. Und die Saisonarbeiter, die vielleicht in Polen vier Euro in der Stunde verdienen, die würden liebend gern für zehn oder elf Euro in der Stunde drei Monate lang Spargel stechen in Deutschland. Aber wenn deren Arbeitsplätze dann nicht mehr ausgebracht werden, weil die Spargelbauern sagen, das lohnt nicht mehr, dann haben sie damit keine soziale Tat verrichtet, sondern eine unsoziale Tat. Und ich kann gut nachvollziehen, warum Bauernpräsident Rukwied sagt, man müsste die Möglichkeit schaffen, dass in der Landwirtschaft nur achtzig Prozent vom Mindestlohn gezahlt wird. Das hilft den Bauern und das hilft auch den Beschäftigten in der Landwirtschaft. Und für diejenigen, die mit dem Mindestlohn nicht klarkommen, gibt es ja die Möglichkeit, durch das Bürgergeld aufzustocken.
Frage: Die Landesregierung fährt einen anderen Kurs. Wie beurteilen sie denn die zu Ende gehende Ära Kretschmann, welche Note würden Sie dem Ministerpräsidenten geben?
Rülke: Wenn ich mich auf dieses Spiel einlasse, dann lasse ich mich auch auf die Bildungspolitik der Grünen ein. Und die möchte ja keine Noten mehr, sondern verbale Beurteilungen. Deshalb würde ich sagen: Er bemühte sich sehr.
Frage: Nun kommt eine neue Regierung, für CDU und FDP allein wird es wohl nicht reichen. Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu SPD-Chef Andreas Stoch?
Rülke: Mein persönliches Verhältnis zum Kollegen Stoch ist gut. Ich habe auch den Eindruck, dass wir mit der SPD insgesamt gut zusammenarbeiten. Aber eine schwarz-rot-gelbe Deutschlandkoalition wäre natürlich auch wieder eine lagerübergreifende Koalition. Und lagerübergreifende Koalitionen erfordern Kompromisse. Im vergangenen Jahr haben wir mit der Bildungsallianz versucht auszuloten, ob wir das hinbekommen. Und der Kollege Stoch wäre dazu bereit gewesen. Gescheitert ist es an Herrn Kretschmann, nicht an der SPD. Nachdem ich jedoch gesehen habe, dass wir auf dem schwierigsten Feld – und das ist die Bildungspolitik – mit der SPD einen Konsens finden, glaube ich, dass wir’s in allen anderen Politikbereichen erst recht schaffen können.
Frage: Und wenn es nicht dazu kommt, würden Ihnen fünf weitere Jahre in der Opposition nicht ganz schön weh tun?
Rülke: Man kann sich Wahlergebnisse natürlich nicht aussuchen, wir müssen schauen, dass wir gut abschneiden. Und ich sage ja deutlich, natürlich strebe ich in eine Regierung, aber nicht um jeden Preis. Nur damit auf meinem Grabstein steht „Minister a. D.“, muss ich nicht in eine Regierung gehen.