RÜLKE-Interview: Wir können Technologie nicht abwickeln, sondern müssen sie klimafreundlich machen
FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Hans-Ulrich Rülke MdL gab dem „Reutlinger General-Anzeiger“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte David Drenovak:
Frage: Herr Rülke, wenn wir gleich so ein bisschen in Medias Res gehen, wie steht denn die Landes-FDP zur Aufarbeitung der Ampelzeit und der Ära Lindner?
Rülke: Ich persönlich stehe und stand nie in dem Ruf ein großer Ampel-Freund zu sein. Es ist sicherlich so, dass uns diese Regierungsbeteiligung viele Wähler gekostet hat. Auf der anderen Seite waren wir natürlich in einer besonderen Lage im Jahr 2021: die CDU war zutiefst zerstritten und damals schlicht nicht regierungsfähig. Für ein Bündnis ohne die extremen Ränder wie AfD und Linke brauchte es damals eben die anderen demokratischen Parteien, um die Regierung zu bilden. Die FDP hat diese Verantwortung übernommen — wohlwissend, dass viele unserer Wähler ein solches Bündnis nicht schätzen. In der Ampelzeit gab es natürlich viele negative Entwicklungen, die auch von außen kamen, wie zum Beispiel den Ukraine-Krieg, der nicht vorhersehbar war. Man hätte wohl irgendwann sagen müssen: jetzt müssen wir den Koalitionsvertrag neu verhandeln. Kurz vor Ende der Ampel war es dann ein ziemliches hin und her, was zum Vertrauensverlust bei der Bevölkerung geführt hat.
Frage: Wenn ich jetzt aber da gerade mal einhake. Dann ist doch für den Landtagswahlkampf dieser politische Druck aus Berlin weg, oder?
Rülke: Die aktuelle Situation hat Vor- und Nachteile. Der große Nachteil ist mit Sicherheit, dass die FDP dadurch, dass sie nicht mehr im Bundestag vertreten ist, eine geringere Wahrnehmung in den Medien hat und in der Öffentlichkeit. Das haben wir allerdings in der Vergangenheit auch schon gehabt, zum Beispiel 2016. Ich habe auch damals schon die Landes FDP in einen Wahlkampf führen dürfen, zu Zeiten der außerparlamentarischen Opposition im Bund und das ist gleichwohl gelungen. Andererseits muss man sich die Frage stellen, was wäre die Alternative? Die Alternative wäre, dass sich die FDP jetzt möglicherweise im Bund in einer Deutschlandkoalition mit den Herren Merz und Klingbeil befände. Da wäre es schwierig, mit theoretisch knapp über 5 Prozent, politische Inhalte umzusetzen. Generell wünschen wir uns mittelfristig natürlich eine neuaufgestellte und erfolgreiche Bundespartei.
Frage: In den kommenden Landtagswahlen rückt die Wirtschaft ganz deutlich in den Fokus. Das ist ja die Expertise ihrer Partei. Können Sie da ein bisschen was dazu erzählen, wo sie stehen, wo ihre Partei steht, was die Inhalte ihrer Kampagne sein sollen?
Rülke: Ein zentrales Feld ist das originäre Interesse des Automobil-Landes Baden-Württemberg. Wir erleben derzeit eine Transformation, insbesondere im Bereich der Automobil- und Zulieferindustrie. Wir erfahren täglich von Insolvenzen. Wir erfahren von Job-Abbau und Frühverrentungsprogrammen, denken wir an ZF. Wir hören von Diskussionen über Standortschließungen bei Bosch. Wir hören von Umsatz-Einbrüchen bei Mercedes und bei Porsche. Da muss man sich die Frage stellen: Sind wir da auf dem richtigen Weg, ist auch der amtierende Ministerpräsident derzeit noch auf dem richtigen Weg? Ich sage Nein! Die Grünen sind auf einem Irrweg, wenn sie sagen, die Zukunft des Automobils ist rein elektrisch. Natürlich wird die elektrische Mobilität eine Rolle spielen beim Automobil der Zukunft. Aber jetzt in Brüssel den Verbrennungsmotor ab 2035 zu verbieten — das ist eine verheerende Politik. Die Arbeitsplätze sichert in Baden-Württemberg nämlich der Verbrenner. Wir können die Technologie nicht einfach abwickeln, sondern müssen sie klimafreundlich machen. Also die FDP will auch nicht, dass noch in 100 Jahren Verbrenner mit Benzin und Diesel über die Straßen fahren. Aber es gibt ja Alternativen, beispielsweise synthetische Kraftstoffe.
Frage: Bleiben wir ein bisschen im Land. Was würden Sie in der Wirtschaftspolitik des Landes ändern?
Rülke: Wir können in der Wirtschaftspolitik des Landes die großen ordnungspolitischen Themen nicht im Alleingang lösen. Wir können weder Einkommens- noch Körperschaftssteuer reformieren oder flexiblere Arbeitszeiten einführen, das kann nur der Bund. Was wir aber tun können, ist Infrastrukturpolitik zu betreiben. Wir können dafür sorgen, dass die Verkehrswege funktionieren in Baden-Württemberg. Wir können dafür sorgen, dass die digitale Infrastruktur funktioniert. Hürden für den Wohnungsbau verringern. Dazu müssen wir aber den Flickenteppich an Zuständigkeiten in der bisherigen Landesregierung beenden. Für die Wirtschaftspolitik sollte ein starkes Wirtschafts- und Infrastrukturministerium zuständig sein. Das Wirtschaftsministerium ist aktuell aber nur zuständig dafür ein paar Förderbescheide zu übergeben und ganz „nette Reisen“ zu organisieren.
Frage: Sie sehen also strukturelle Probleme in der Landesregierung?
Rülke: Unbedingt. So wurde ja beispielsweise der Wohnungsbau in ein Tiny-Haus-Ministerium ausgegliedert, was der Koalitionsarithmetik geschuldet ist. Für den Verkehr ist wiederum ein eigenes Ministerium zuständig. Und die Digitalisierung ist im Innenministerium, wo ein überforderter Polizeiminister dieses wichtige Thema sozusagen als Minijob nebenher betreibt. Das muss sich ändern. Wir brauchen ein Wirtschafts- und Infrastrukturministerium, mit Zuständigkeit für Verkehr, für Digitalisierung, für Wohnungsbau, um hier die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Wirtschaft die Infrastrukturbekommt, die sie in Baden-Württemberg braucht.
Frage: Wie gehen Sie denn jetzt in den Landtagswahlkampf, welches Ziel haben Sie sich gesetzt, was möchten Sie erreichen?
Rülke: Unser Ziel ist es ganz klar eine Regierungsbeteiligung, also auch ein Regierungswechsel in Baden-Württemberg. Wir wollen wieder eine bürgerliche Regierung. Wir sind der Meinung, dass die Zeit, in der die bürgerlichen Parteien CDU und FDP zusammen das Land regiert haben, gute Zeiten für Baden-Württemberg waren. In diesen Zeiten gab es kein Landesmobilitätsgesetz, das den Landkreisen vorschrieb: Ihr müsst jetzt einen Fahrradkoordinator stellen. Es gab kein Anti-Diskriminierungsgesetz mit einer Beweislastumkehr, wo Polizisten beweisen müssen, dass sie einen Grund haben, um jemanden zu kontrollieren. Es gab zu unserer Zeit auch nicht plötzlich 1440 Lehrerstellen, die gefunden wurden, wo das Kultusministerium nicht weiß, warum sie nicht besetzt wurden und das Finanzministerium nicht gemerkt hat, dass 120 bis 130 Millionen Euro im Jahr gar nicht abgeflossen sind.
Frage: Kann sich die FDP auf Landesebene dann ein Dreierbündnis vorstellen? Das wäre ja nicht das erste Mal, dass gewisse Mehrheiten dies notwendig machen.
Rülke: Das können wir uns vorstellen. Am liebsten wäre uns eine bürgerliche Mehrheit mit der CDU. Aber im Moment geben das die Umfragen nicht her. Wenn man sich die Umfragen anschaut, dann gibt es momentan nur zwei Regierungsalternativen. Das eine ist eine schwarz-grüne Koalition und das zweite wäre eine Deutschlandkoalition, bestehend aus CDU, FDP und SPD. Wir können uns das vorstellen und glauben, dass wir in der Landespolitik in vielen Bereichen mit der SPD zu Kompromissen kommen könnten. Es gibt zwei große Felder, wo das traditionell schwierig ist. Das eine Feld ist der Haushalt. Die SPD ist traditionell sehr ausgabefreudig, die FDP ist eher sparsam. Aber durch die zusätzlichen Schulden des Bundes, die auch den Ländern aufgezwungen werden, dürften wir in den nächsten Jahren vermutlich keine großen Auseinandersetzungen in der Haushaltspolitik haben.
Frage: Und das zweite Konfliktthema?
Rülke: Das zweite große Thema ist die Bildungspolitik, wo wir traditionell unterschiedliche Positionen haben. Deshalb habe ich Anfang des Jahres 2024 eine Bildung-Allianz vorgeschlagen, mit der Zielsetzung, dass sich die demokratischen Fraktionen, also Grüne, CDU, FDP und SPD, zusammensetzen und schauen, dass wir ein Bildungskonsens finden. Zentrales Ziel war, auf diesem wichtigen Feld der Landespolitik nicht alle fünf Jahre Lehrer, Schüler und Eltern zu verunsichern. Das Ergebnis des Treffens in Bebenhausen war, dass CDU, FDP und SPD an einem Konsens interessiert waren. Gescheitert ist dieser aber an Winfried Kretschmann, der gesagt hat, er will kein Konsens mit der Opposition, sondern er will eine Bildungspolitik, die rein von der Regierung dominiert wird. Mit der SPD wäre ein Konsens möglich denkbar gewesen. Was die FDP vor allem will, ist der Erhalt der Werkrealschule, eine starke Realschule, ein leistungsfähiges G9 und eine verbindliche Grundschulempfehlung für alle Schulen. Ich stelle also fest, dass in den beiden Hauptkonfliktfeldern von FDP und SPD in der Landespolitik Kompromisse in einem Koalitionsvertrag möglich wären. Dann würde man auch in anderen Feldern Lösungen finden.
Frage: Wir haben schon ein bisschen die neue Bundesregierung gestreift, wie bewerten Sie deren Start?
Rülke: Da gab es wenig Licht, aber viel Schatten. In der Tat ist die Stimmung in der Bevölkerung und in der Wirtschaft spürbar etwas besser geworden — allein weil die Ampel zu Ende ist. Aber wenn man sich mal anschaut, was diese Regierung sonst liefert, dann erkenne ich nicht viel mehr Licht. Merz ist der erste Bundeskanzler, der im ersten Wahlgang durchgefallen ist. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat er mit der Schuldenbremse einen großen Wortbruch begangen. Er hat versprochen, die Stromsteuer für alle zu senken, auch das kam aber nicht für den Mittelstand, das Handwerk oder den Bürger. Und dann schafft es diese Koalition noch, sich wochenlang über die Wahl einer Verfassungsrichterin zu prügeln. Das hat nicht mal die Ampel geschafft.
Frage: Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie als Teil einer neuen Landesregierung anstoßen, um den Mittelstand von Baden-Württemberg zu unterstützen?
Rülke: Die Hauptaufgabe der Landespolitik ist, die Voraussetzungen für die nötige Infrastruktur zu schaffen. Ich sage, wir müssen die Digitalisierungspolitik völlig ändern. Es ist doch absurd, dass die Kommunen irgendwelche Zweckverbände gründen müssen, ins Innenministerium nach Stuttgart bestellt werden und der Minister überreicht dann im Stil eines Barockfürsten irgendwelche Förderbescheide. Wir müssen für den Mittelstand bei Verkehrsinfrastruktur, Wohnungsbau und Digitalisierung die notwendigen Voraussetzungen schaffen, dass die Wirtschaft arbeiten kann. Wir sind keine Subventionspartei — das ist nicht unser Politikansatz. Unser Politikansatz ist, für die Wirtschaft Rahmenbedingungen zu schaffen, Planungsprozesse zu beschleunigen und vor allem bürokratische Hemmnisse abzubauen. Diese Veränderung kann die Wirtschaft dann nutzen. Die Unternehmer im Land wissen besser als die Politik, was rentabel ist. Natürlich kann man dann auch an der einen oder anderen Stelle unterstützen.
Frage: Welche Pläne haben Sie noch?
Rülke: Was ich anbieten möchte, ist die sogenannte Experimentierklausel. Das bedeutet, beispielsweise Landratsämtern einen gewissen Ermessenspielraum zu geben. Ich will da mal ein praktisches Beispiel nennen: Im Raum Calw wollte man einen ehemaligen Bahntunnel wieder reaktivieren und das konnte man nicht wegen der Fledermäuse. Die vermeintliche Lösung war eine zweite Tunnelröhre für die Fledermäuse, verbunden mit einer Kostensteigerung von 100 auf 180 Millionen Euro. Auf meine Frage, woher die Fledermäuse wissen, in welchen Tunnel sie fliegen müssen, war Schweigen im Walde. Da lacht ganz Europa über uns. In solchen Fällen bräuchte ein Landratsamt bzw. ein Regierungspräsidium den Handlungsspielraum zu sagen, so eng sehen wir das nicht mit dem Artenschutz und dem letzten Paragraphen in diesem Bereich.
Frage: Was haben Sie sich denn sonst noch auf die Fahnen geschrieben für den Wahlkampf?
Rülke: Auch das Thema Migration können wir nicht rein landespolitisch lösen. Aber eine vernünftige, gemäßigte Migrationspolitik im Bund zu beeinflussen, das geht. Nicht den Willkommensfanatismus einer Angela Merkel und der Grünen nach dem Motto „Wir schaffen das“. Aber auch nicht die Remigrationsfantasien der AfD nach dem Motto: Jeder raus, der einen Migrationshintergrund hat. Was wir brauchen ist eine geregelte Zuwanderung, um dem Thema Fachkräftemangel zu begegnen. Wenn jetzt die Baby-Boomer in Rente gehen macht es gar keinen Sinn zu sagen: Wir ziehen die Zugbrücke hoch. Wir brauchen Menschen, die arbeiten und unsere Gesetze respektieren – aber keine Zuwanderung in die Sozialsysteme oder kriminellen Straftätern.