STARK-WATZINGER-Interview: Die Sicherheit der Forschung hat für uns hohe Priorität.

Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger und ihr niederländischer Amtskollege Robertus Henricus Dijkgraaf, Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft, gaben „Welt Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Inga Michler:

Frage: Über 40.000 Chinesinnen und Chinesen studieren in Deutschland. Einige Tausend forschen an den Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten. Viele von Ihnen sind per Vertrag verpflichtet, ihr Wissen an den chinesischen Staat weiterzugeben. Das ist seit Jahren bekannt. Warum erkennt die Politik erst jetzt „Gefahren des ungewollten Wissensabflusses“?

Stark-Watzinger: Hinter jedem chinesischen Forscher kann sich die kommunistische Partei verbergen, darüber müssen wir uns klar sein. Notwendig ist daher eine Überprüfung bestehender Kooperationsbeziehungen auch von Hochschulen, gerade bei Stipendiaten des staatlichen China Scholarship Council (CSC). Denn die Sicherheit der Forschung hat für uns hohe Priorität.

Frage: Die China-Strategie 2015–2020 Ihres Ministeriums nannte China noch als „wichtigen Partner, um Deutschland als Forschungs- und Innovationsstandort zu stärken“. War das naiv?

Stark-Watzinger: China hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark verändert. Das Land wird immer mehr zum systemischen Rivalen. Wir müssen die Chancen und Risiken der Zusammenarbeit daher immer wieder neu prüfen. Bei globalen Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel sollte es weiter Zusammenarbeit geben. Auch wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China ist grundsätzlich wünschenswert. Anders sieht es in sensiblen Bereichen aus, die militärische Relevanz haben oder Menschenrechte betreffen, etwa Gesichtserkennung mithilfe Künstlicher Intelligenz.

Frage: Herr Dijkgraaf, Sie haben vorgeschlagen, außereuropäischen Studierenden und Forschenden in den Niederlanden einem Screening-Verfahren zu unterziehen. Wie genau soll das gehen?

Dijkgraaf: Noch ist das Gesetz nicht fertig. Der Teufel liegt wie immer im Detail. Wir müssen sehr fein sezieren, um die Chancen der internationalen Zusammenarbeit nicht unnötig zu beschneiden und nicht mit zu viel Bürokratie zu belasten. Das Screening soll eine Kombination des persönlichen Hintergrunds des jeweiligen Forschers, seines Forschungsgebiets und seines Einsatzorts sein. Wir achten darauf, länderneutral vorzugehen, wollen nicht einzelne Länder ausschließen.

Frage: Wieso nicht? Müssten Forschende aus autoritären Staaten wie Russland oder China nicht durchfallen?

Dijkgraaf: Natürlich hängt die Risikoeinschätzung stark von der Herkunft ab. Einige Länder sind riskanter als andere, beispielsweise Iran und Nordkorea. Aber Geopolitik verändert sich, Lagen in einzelnen Ländern können sich verschlechtern, das haben wir gerade in Russland gesehen. Wir müssen also immer anpassungsfähig bleiben in unserem System und natürlich die sensiblen Bereiche besonders im Blick haben.

Frage: Was genau sind die „sensiblen Bereiche“?

Dijkgraaf: Das kann und werde ich nicht allein entscheiden. Es gibt offensichtliche Fälle: Alles rund um die Produktion von Nuklearwaffen zum Beispiel. Bei Künstlicher Intelligenz oder Biotechnologie können Menschenrechte berührt sein, es kann auch um Bestandteile von Waffen gehen – muss aber nicht. Wir müssen die Experten an den Hochschulen und Forschungsinstituten einbinden. Die Regierung will ihnen helfen, die für sie wichtigen Teile des Puzzles zusammenzubringen. Wir können in das Screening Informationen der Regierung und Nachrichtendienste einspeisen, etwa zum Hintergrund der jeweiligen Forscher.

Frage: Wäre solch ein Screening ein Modell für Deutschland?

Stark-Watzinger: Wir haben die Debatte mit der Wissenschaft über Forschungssicherheit begonnen. Es gibt von Hochschulen und Forschungseinrichtungen den Wunsch nach Orientierung und Unterstützung. Hier machen wir Angebote. Welche Maßnahmen darüber hinaus sinnvoll sind, erarbeiten wir gemeinsam mit der Wissenschaft.

Frage: Als Bundesbildungsministerin können Sie nur Rat geben, nicht aber Forscher ausschließen?

Stark-Watzinger: Wissenschaftsfreiheit hat bei uns Verfassungsrang. Damit ist aber auch eine Verantwortung der Einrichtungen und der Forschenden verbunden. Das Risikobewusstsein in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist bereits stark gestiegen. Es gibt immer mehr Selbstregulierung und Aktivitäten in diesem Bereich. Als Bund haben wir mit der Nationalen Sicherheitsstrategie und der China-Strategie einen wichtigen Rahmen geschaffen, den wir jetzt ausfüllen. Zudem unterliegt auch das Wissenschaftssystem der Exportkontrolle. Das ist besonders für Dual-Use-Güter wichtig.

Frage: Würden Sie sämtliche ausländischen Wissenschaftler einem möglichen Screening unterwerfen, auch diejenigen etwa aus den USA?

Stark-Watzinger: Wertepartner genießen selbstverständlich unser Vertrauen. Mir machen Länder wie China oder der Iran Sorgen. Da müssen wir sehr genau hinschauen.

Dijkgraaf: Sichere und offene internationale Zusammenarbeit kann helfen, den Kreis der gleichgesinnten Länder zu erweitern. Es lohnt sich, die Werte der Wissenschaft in vielen Ländern zu fördern. Selbst im Kalten Krieg gab es auf einzelnen Gebieten noch wissenschaftlichen Austausch mit der Sowjetunion.

Stark-Watzinger: Forscherinnen und Forscher wollen Wissen erlangen. Neugier treibt sie an. Offene Debatten und kritisches Denken gehören zu ihrer DNA. Wissenschafts-Diplomatie kann deshalb dazu beitragen, dass sich Länder und ihre Systeme öffnen und daraus Partnerschaften entstehen. Freie Wissenschaft ist Teil der Aufklärung.

Frage: War das nicht genau der Irrglaube unserer China-Politik der vergangenen Jahrzehnte? Wandel durch Handel und Wissenschaft hat in China so leider nicht stattgefunden.

Stark-Watzinger: Das stimmt. Dennoch sollten wir diejenigen unterstützen, die sich für eine Öffnung und für unsere Werte einsetzen. Wissenschaftler in anderen Ländern können unsere Verbündeten sein.

Dijkgraaf: In China sehen wir ein riesiges Wachstum der Wissensbasis, ein Drittel der gesamten Wissensproduktion weltweit kommt von dort. Es gibt viele Bereiche, in denen wir kooperieren können und sollten. Aber wir brauchen ein Risikobewusstsein und müssen immer alert sein. Wir wollen weder naiv, noch paranoid sein.

Frage: Deutsche Sicherheitsbehörden haben vor einem Muster gewarnt: chinesische Doktoranden sind an Projekten in deutschen Unternehmen beteiligt. Sie bekommen Zugang zu IT-Systemen und beschaffen sich so Informationen über weitere Forschungsprojekte. Brauchen Firmen Empfehlungen zu Wissenschaftskooperation von der Politik?

Stark-Watzinger: Unternehmen entscheiden frei. Allerdings brauchen wir auch hier mehr Risikobewusstsein. China wird ein immer stärkerer Wettbewerber. Was Abhängigkeiten bedeuten, haben wir während der Energiekrise erlebt. China geht das sehr strategisch an. Dem setzen wir unsere China-Strategie entgegen: nicht Abkopplung, sondern Risiko-Minimierung. Wir dürfen nicht naiv sein, müssen die Risiken kennen und unsere Forschung schützen. Am besten gemeinsam auf europäischer Ebene. Daran arbeiten wir.

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