STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Die Ukraine muss aus der Stärke heraus agieren können

Die Leiterin der FDP-Delegation im Europäischen Parlament und Mitglied im FDP-Präsidium Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdEP gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Dirk Müller:

Frage: Ist Kiew jetzt schon der Verlierer?

Strack-Zimmermann: Zumindest wird über Kiew verhandelt. Aber 7.500 Kilometer entfernt – das ist schon die Ironie schlechthin. Und dann wird auch noch in Alaska verhandelt, was ja einst mal Russland gehörte. Kiew ist der Verlierer dahingehend, dass Selenskyj zwingend hätte mit am Tisch sitzen müssen. Denn eins ist klar: Putin will die Ukraine einnehmen, ohne Wenn und ohne Aber. Und Trump hat im Grunde keine Lust mehr auf diesen Konflikt und will ihn endlich abgeräumt haben. Das ist eine hochgefährliche Situation für die Ukraine, aber auch für ganz Europa.

Frage: Ist das dennoch gut, das Wladimir Putin sich mit Donald Trump trifft?

Strack-Zimmermann: Naja, ich will nicht abstreiten, dass es immer gut ist, wenn Leute versuchen miteinander zu sprechen. Mir fehlt allein der Glaube, dass wirklich etwas dabei rauskommt. Insofern ist es sehr gut, dass die Europäer unter Führung der Deutschen, Franzosen, Briten – in diesem Fall über die EU hinaus – versuchen, Druck zu machen und zu versuchen, zumindest Trump klar zu machen, dass es keinen Deal ohne die Europäer geben kann.

Frage: Also Donald Trump hat ja auch gesagt, so wird er ja auch zitiert: ‚Wir wollen am Freitag keinen Deal machen. Ich mache keinen Deal mit Wladimir Putin.‘ Ist das ein gutes Signal?

Strack-Zimmermann: Das wissen wir ja nicht. Wir wissen bei Trump ja nur, dass er aus der Situation heraus agiert. Und wenn Putin höflich und nett und freundlich ist, dann schließe ich nichts aus. Wie gesagt: letztendlich ist sowohl Trump als auch sein Vizepräsident wenig interessiert an der Ukraine, geschweige denn an Europa. Und deswegen ist es dringend erforderlich, dass Europa aufhört, sich wie ein Zwerg zu benehmen. Europa ist ein starkes Europa, vor allen Dingen wirtschaftlich, wenn es will. Und ich glaube, es wäre sehr gut – losgelöst von den Verhandlungen – Trump zu verdeutlichen, dass die Vereinigten Staaten wirtschaftlich ein ganz großes Problem ohne Europa haben. Ich glaube, das sollte man ihm endlich mal vermitteln.

Frage: Das versuchen ja viele Politiker immer wieder zu tun. Jetzt sagen Sie das auch, dass Europa kein politischer Zwerg ist. Wenn die beiden jetzt zusammenkommen, die beiden großen – wenn ich sie jetzt so nennen darf, auch aus der Geschichte heraus so interpretiert: Zeigt das nach wie vor die wahren politischen, militärischen Machtverhältnisse?

Strack-Zimmermann: Sie sagten es gerade aus der Geschichte heraus: Putin beziehungsweise Russland ist ja nicht natürlich groß. Für Putin ist es fantastisch auf Augenhöhe mit Trump zu arbeiten und zu sprechen. Aber sowohl wirtschaftlich als auch was die Einflussnahme betrifft, ist Russland natürlich überschaubar, wenn wir nur endlich unsere Rolle spielen würden. Ich glaube, es ist von ganz großer Bedeutung, dass das Gespräch heute mit Trump stattfindet. Es wird ja kolportiert, dass der letzte, der mit ihm spricht, am meisten Einfluss auf ihn hat. Und es muss völlig klar sein, dass wir an der Seite der Ukraine stehen. Und das bedeutet ein Waffenstillstand zu 100 Prozent, der auch als solches überprüft wird. Das bedeutet auch Sicherheitsgarantien. Und ich räume ein, Herr Müller: Mir wird ganz schwummerig, wenn ich höre, dass Mark Rutte indirekt vom Einfrieren der Konfliktlinie spricht. Die Geschichte lehrt: Einfrieren ist keine Lösung, nur weil wir in Deutschland positiv erlebt haben, dass sich zwei Staaten wieder zusammengefunden haben. Das ist einzigartig in der Geschichte. Und ein Einfrieren kann nicht die Lösung sein.

Frage: Vielleicht ist das auch nur in Deutschland eine Vokabel, ein Stichwort beziehungsweise eine Überschrift, die so umstritten ist und in anderen Ländern weniger. Einfrieren bedeutet dort zunächst einmal keine Toten mehr.

Strack-Zimmermann: Also Einfrieren bedeutet, dass letztendlich das Problem kurzfristig eingefroren wird. Es ist übrigens eine Masche, die Russland geradezu beherrscht über die Geschichte hinweg. Ein sogenannter `frozen conflict` ist ein nicht-Frieden und das kennen wir schon von den Rändern des russischen Imperiums seinerzeit: Bergkarabach, Transnistrien, Moldawien… Ich könnte ihnen viele Beispiele nennen. Und da hat Russland immer eine Doppelstrategie gefahren: Es hat auf der einen Seite die Separatisten mit Waffen, auch mit Kämpfern, unterstützt, um dann auf der anderen Seite sogenannte russische ‚Friedenstruppen‘ zu schicken, die dann im Interesse Russlands agieren. Und das haben wir ja schon beim Minsk-Abkommen 2014/2015 erlebt. Das sind alles Tricks, die Russland anwendet. Und die Tragödie ist natürlich, dass auch Europa müde ist dieses Konflikts. Und ich glaube, dass es viele gibt, die jetzt Ruhe haben wollen. Das verstehe ich. Das wird auf Dauer und auch auf kurz oder lang nicht funktionieren. Bei Putin funktioniert nur klare Ansage. Das heißt, wir müssen die Ukraine weiter unterstützen, wirtschaftlich und militärisch, damit sie aus der Stärke heraus agieren kann. Und am langen Ende, Herr Müller: In Alaska wird die Ukraine ja oder nein dazu sagen müssen und kein anderer.

Frage: Aber was könnte Deutschland, was könnte Europa dann dagegen tun, wenn es jetzt zu einer Zementierung des Status quo kommen würde? Militärisch, gebietsstechnisch, politisch?

Strack-Zimmermann: Dann müsste Europa die Ukraine bewaffnen bis unter die Zähne, um weitere Angriffe abzuwehren und darauf hoffen, dass in den nächsten 30 Jahren nicht weiter etwas passiert.

Frage: Und dass Russland das nicht merkt?

Strack-Zimmermann: Nein, das geht ja nur aus der Stärke heraus. Wissen Sie, wir können das Problem jetzt kurzfristig stoppen. Stoppen werden wir es nur, indem es abgewehrt wird. Ich sage immer, wenn Sie irgendwie ein Häufchen Mist einfrieren, dann wird der in 30 Jahren, wenn Sie ihn auftauen, immer noch ein Häufchen Mist sein und keine Blumenwiese. Und wir sollten uns darüber im Klaren sein: Das kann keine Lösung sein. Und das sollten wir als Deutsche wissen. Unsere Geschichte ist ein Glücksfall. Schauen Sie nach Korea: Ein eingefrorener Konflikt seit Anfang der 50er Jahre und nichts hat sich geändert – im Gegenteil. Dass Nordkorea jetzt an der Seite Russlands kämpft, ist ein Zeichen dafür, dass Einfrieren keine Lösung sein kann.

Frage: Jetzt gehören ja immer zwei Seiten dazu. Reden wir noch einmal über Europa – die militärische Stärke, die politische Stärke. Sie sagen ja immer noch: Europa sei kein Zwerg. Das sollte Europa endlich begreifen. Ungarn als, relativ kleines Land mal außen vor gelassen: Sind Sie da immer noch der Einschätzung, dass Sie sagen, Europa funktioniert immer noch nicht richtig in puncto gemeinsames Auftreten, trotz dieser Initiative auch heute?

Strack-Zimmermann: Also die Initiative ist gut. Sehr gut war, dass auch Frau Kallas, die Außenbeauftragte Europas, die Länder, die Europäer zusammengerufen hat. In einer Telefonkonferenz hat man sich sehr dezidiert erklärt, dass man an der Seite der Ukraine steht mit einem Waffenstillstand zu 100 Prozent und Sicherheitsgarantien. Das bedeutet am Ende eine Mitgliedschaft in der EU, und muss am Ende auch heißen: Mitgliedschaft in der NATO.

Frage: Das meinen Sie auch?

Strack-Zimmermann: Wenn Sie mich fragen, ist das absolut ein Muss. Und es ist ja eine Ironie der Geschichte, dass die Amerikaner jetzt Nein sagen. 2008 waren es die Deutschen und Franzosen, die es verhindert haben. Also die Lehre aus der Geschichte ist sehr übersichtlich. Offensichtlich interessiert das keinen, was war. Aber daraus sollten wir lernen. Es ist in der Tat so: Europa ist nicht einig. Wir haben keine konsistente gemeinsame Außenpolitik. Und solange wir das nicht haben, solange jedes Land in Europa seine eigene geographische Sichtweise auf die Dinge hat – je näher man an der russischen Grenze ist, je näher ist man bei der Ukraine und je weiter man entfernt ist, je weniger – wird Europa nicht die Stärke haben, die es haben könnte, wirtschaftlich und auch militärisch.

Frage: Jetzt sagen Sie, dass das die Bedingung ist. Jetzt muss ich Sie noch mal fragen: Unter realpolitischen Perspektiven, ohne das freilich wissen zu können, ist das nicht das aller Mindeste, was Wladimir Putin verlangen wird, dass es keine EU-Mitgliedschaft geben wird, dass es keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine geben wird?

Strack-Zimmermann: Das wird er. Bei der EU-Mitgliedschaft hat er überhaupt keine Karten. Und wir werden uns auch nicht vorschreiben lassen von Russland, wer Mitglied in der Europäischen Union wird. Weder heute noch morgen. Und was die NATO-Mitgliedschaft angeht: Natürlich will das Putin nicht. Aber wo kommen wir denn hin, wenn wir uns von Putin sagen lassen, was wir zu tun und zu lassen haben?

Frage: Weil er mit seinen Soldaten in der Ukraine steht?

Strack-Zimmermann: Weil er mit seinen Soldaten völkerrechtswidrig in der Ostukraine steht. Und wir sollten dafür Sorge tragen, mit aller Unterstützung, die wir haben, dass das nicht weiter fortschreitet, sondern dass es Frieden gibt und Russland sich zurückzieht. Und wenn man sagt, das ist alles Quatsch, das wird nicht passieren, muss man entgegnen: Das kann passieren. Aber nur, wenn wir stark an der Seite der Ukraine stehen und wirklich alle Trümpfe ziehen, die wir haben. Und das haben wir bisher nicht gemacht. Und jetzt rächt sich die Zögerlichkeit Europas der letzten zweieinhalb Jahre. Das ist bitter genug.

Frage: Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europäischen Parlament. Danke für Ihre Zeit, Ihnen noch einen guten Tag.

Strack-Zimmermann: Ich danke Ihnen.

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