STRACK-ZIMMERMANN/HÖNE-Gastbeitrag: Eine Pflicht für alle

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Europäischen Parlaments und Leiterin der FDP-Delegation im Europäischen Parlament Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdEP und der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Henning Höne MdL schrieben für die „Rheinische Post“ (Dienstag-Ausgabe) folgenden Gastbeitrag:

Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich in den letzten Jahren fundamental verändert. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die damit einhergehenden NATO-Luftraumverletzungen durch Drohnen und russische Kampfflugzeuge, Cyberangriffe, Sabotageakte auf die europäische Unterwasserinfrastruktur und Spionageaktivitäten machen dies deutlich. Die vielfältige hybride Bedrohungslage rückt zunehmend in unseren Fokus. Es ist offensichtlich, dass die seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 angekündigten und teilweise ergriffenen Maßnahmen zur besseren Ausstattung der Bundeswehr nicht ausreichen, um Deutschland langfristig so aufzustellen, dass es sich gegen äußere Bedrohungen zur Wehr setzen kann.

Die FDP hat die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 mitgetragen, denn gefordert war eine Bundeswehr mit professionell ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten, die überwiegend im Ausland eingesetzt wurden. Bündnis- und Landesverteidigung war kein Thema mehr. In dieser Lage bestand kein Grund mehr, junge Männer nach dem Schulabschluss einzuziehen und damit in ihre individuelle Lebensplanung einzugreifen. Spätestens nach 2014, der russischen Annexion der Krim, änderte sich das – und das, was damals begann, ist heute Realität geworden. Wir werden konfrontiert mit Despoten, die das Völkerrecht mit Füßen treten und keine Scheu kennen, Nachbarn anzugreifen. Diese Realität braucht neue Antworten. Neue Antworten aber holt man nicht aus der Klamottenkiste der Geschichte – und man lässt schon gar nicht das Los darüber entscheiden.

Die Wehrfähigkeit unseres Landes stützt sich auf zwei Säulen: eine Professionalisierung und Aufstockung der Bundeswehr mit verpflichtender und fortlaufender Musterung aller 18- bis 20-Jährigen sowie die Anwerbung für die Bundeswehr in den unterschiedlichsten Teilstreitkräften – und eine zivile Resilienzausbildung aller gesellschaftlichen Gruppen.

Erste Säule: Professionalisierung und Aufstockung der Bundeswehr

Die Bundeswehr muss nicht nur quantitativ wachsen, sondern qualitativ. Wir brauchen eine Armee, die in der Tiefe, nicht in der Breite, professionell ausgebildet wird. Nur so werden wir der Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten gerecht, in komplexen Verteidigungsszenarien zu bestehen.

Schon heute erreicht die Bundeswehr ihre selbst gesteckte Sollstärke von rund 201.000 Soldatinnen und Soldaten nicht. Für den Eintritt des Bündnisfalls nach Artikel 5 erwartet die NATO von Deutschland zudem deutlich mehr Personal. Unbestritten ist deshalb: Die Bundeswehr muss wachsen.

Mehr Bürgerinnen und Bürger müssen gewonnen werden, sich als Soldatinnen und Soldaten zu verpflichten. Grundsatz hierbei sollte immer die Freiwilligkeit bleiben. Die FDP schlägt hierfür ein „Kontingentmodell 25+“ vor. Erforderlich ist ein Kontingent von etwa 25.000 Soldatinnen und Soldaten pro Jahr, um den Aufwuchs der Truppe kontinuierlich zu gewährleisten.

Ende 2024 lebten in Deutschland rund 2,4 Millionen Menschen zwischen 18 und 20 Jahren, etwa zur Hälfte Frauen. Rechnet man also mit ungefähr 400.000 jungen Männern pro Jahrgang, ergibt sich folgende Ausgangslage: Alle 18-Jährigen werden künftig erfasst. Zieht man rund 50.000 ohne deutschen Pass und etwa 100.000 aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen nicht verfügbare Personen ab, bleiben etwa 250.000 junge Männer übrig. Zehn Prozent der Gemusterten sind realistisch über Freiwilligkeit zu erreichen. Im Sinne der Gerechtigkeit sollten auch 18-jährige Frauen gemustert würden. Dass die Bundesregierung zu einer solchen Grundgesetzänderung nicht fähig ist, spricht Bände.

Sie alle müssen für eine intensive Ausbildung gewonnen werden, um den militärisch äußerst komplexen Herausforderungen zu Land, zu Wasser, in der Luft und im Cyberraum gerecht zu werden. Diese Ausbildung muss weit mehr sein als eine sechsmonatige Grundausbildung.

Für einen solchen Einsatz müssen junge Menschen gewonnen werden – nicht durch Imagekampagnen und Karrierecenter mit dem Charme der 1960er-Jahre, sondern mit umfassender Information über die Arbeit der Bundeswehr, die bereits mit Jugendoffizieren in den Schulen beginnt. Alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zwischen 18 und 20 Jahren sollen gemustert werden. Zudem braucht es deutlich bessere Anreize und Vorteile für eine freiwillige Verpflichtung – beispielsweise eine weiterlaufende Bezahlung über mehrere Monate nach dem Dienst, ein Stipendium oder Vorrang bei Studienplätzen.

Zweite Säule: Resilienzausbildung weiter Teile der Gesellschaft

Neben einer professionell aufgestellten Truppe müssen auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes auf die neuen Herausforderungen vorbereitet sein. Es braucht ein Grundverständnis für die Bedrohungslage und für das, was im Ernstfall auch zivil zu tun ist. Erforderlich ist dafür eine Grundausbildung zur Stärkung der Resilienz von vier bis sechs Wochen für jede und jeden. Denn die Freiheit, in der wir leben dürfen, muss auch verteidigt werden.

Diese Grundausbildung kann entweder am Stück innerhalb weniger Wochen nach dem Schulabschluss oder in mehreren Blöcken im Einklang mit Ausbildung oder Beruf absolviert werden. Es folgen Übungen zur Vertiefung und Spezialisierung, die so zu organisieren sind, dass sie mit dem regulären Berufsleben vereinbar bleiben. Die Resilienzausbildung sollen grundsätzlich alle Deutschen bis 40 Jahre durchlaufen, die noch keinen Wehr- oder Zivildienst geleistet haben. Sie kann bei entsprechend befähigten zivilen Einrichtungen absolviert werden.

Wer die Freiheit liebt, übernimmt immer auch Verantwortung – in und für die Gesellschaft.

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