TEUTEBERG-Interview: Liberalismus gehört ins Feuilleton und auch ins Bierzelt

Die designierte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg MdB gab der Tageszeitung „Die Welt“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt.  

Frage: Frau Teuteberg, im September 2018 haben wir Sie gefragt, ob Sie Nicola Beer als Generalsekretärin der FDP nachfolgen. Ihre Antwort: „Mir ist nichts Derartiges bekannt.“ Aber gerechnet haben Sie schon damit?

Teuteberg: Gerechnet wäre zu viel gesagt. Das ist ja eine sehr persönliche Entscheidung des Vorsitzenden. Sagen wir so: Ich habe mich darüber gefreut, dass viele Parteifreunde und Beobachter mir das offenbar zugetraut haben.

Frage: Wie muss man sich das vorstellen, wenn der Parteichef einem so eine Aufgabe anträgt? Und wie lange haben Sie dann überlegt?

Teuteberg: Er sagte einfach, dass wir uns mal unterhalten müssten. In dem Gespräch habe ich dann direkt zugesagt. Klar ist das jetzt ziemlich kurzfristig, nächste Woche ist ja schon der Wahlparteitag. Aber schnelle Entscheidungen gehören zum Anforderungsprofil eines Politikers.

Frage: Wie wollen Sie das Amt interpretieren: Als Lindners Sekretärin oder als Frau General der FDP?

Teuteberg: Ich halte nichts von diesen künstlichen Gegensätzen. Sekretär oder General, Säbel oder Florett, Programmatik entwickeln oder hörbare Stimme der FDP sein: Das zählt alles zur Aufgabe einer Generalsekretärin. Und der Liberalismus gehört sowohl ins Feuilleton als auch ins Bierzelt. Für die Werte, über die man intellektuell räsoniert, muss man am Ende eine möglichst breite gesellschaftliche Unterstützung gewinnen. Deshalb will und werde ich da hingehen, wo die Bürger sind.

Frage: Haben Sie so etwas wie ein Vorbild aus den Reihen der bisherigen Generalsekretäre?

Teuteberg: Kein Vorbild. Aber wenn es darum geht, die Dinge erst sehr gründlich zu durchdenken, sie dann aber verständlich zuzuspitzen und so hörbar wie möglich in Debatten einzubringen: Das hat Guido Westerwelle schon sehr gut gemacht. Ich bewundere seinen Mut, sich auch auf unpopuläre Debatten einzulassen — selbst dann, wenn es nicht immer zu seinem persönlichen Wohlbefinden beigetragen hat. Aber es geht darum, nicht nur die Menschen anzusprechen, die unsere Partei ohnehin schon irgendwie schätzen, sondern auch in anderen Milieus zum Nachdenken anzuregen. Wenn die Delegierten mich wählen, wird meine Aufgabe eine Art seriöse Komplexitätsreduktion sein.

Frage: Gewählt werden müssen sie jetzt von den Delegierten. Womit rechnen Sie: den 99,1 Prozent eines Karl-Hermann Flach 1971 oder den 53,2 Prozent einer Irmgard Adam-Schwätzer 1982?

Teuteberg: Sozialistische Ergebnisse an die 100 Prozent dürften in der FDP ein historischer Ausnahmefall bleiben. Ich freue mich einfach über jede Stimme, der Rückhalt von möglichst vielen Delegierten ist mir schon wichtig. Denn in unserer Gesellschaft für freiheitliche Werte zu werben, das ist keine geringe Herausforderung.

Frage: In der Tat: Seit der Bundestagswahl stagniert die FDP in den Umfragen. Die Grünen dagegen haben extrem zugelegt. Warum?

Teuteberg: Wir sind nicht der Versuchung erlegen, auf Kosten unserer Überzeugungen randständige Positionen zu vertreten — um damit möglicherweise Umfragewerte zu steigern. Nehmen Sie die Migration, um das Thema kümmere ich mich ja im Bundestag. Da vertreten wir einerseits eine Position der Weltoffenheit und werben für mehr Fachkräftezuwanderung. Wenn aber nach einem rechtsstaatlichen Verfahren eine Ausreisepflicht feststeht, dann wollen wir die notwendigen Abschiebungen auch konsequent durchsetzen. Das ist eine erklärungsbedürftige Position der politischen Mitte, mit der man vielleicht nicht so schnell Aufmerksamkeit bekommt wie mit einfachen Randpositionen.

Frage: Die Grünen vertreten Randpositionen?

Teuteberg: Bei der Migration beispielsweise durchaus. Zwar bekunden grüne Spitzenpolitiker in Interviews gern, dass mehr Ordnung und Steuerung sinnvoll seien. Aber diesen Parolen folgen keine Taten. Wenn es zu Abstimmungen kommt, verhalten sie sich nämlich anders. Da sind sie dann gegen die Benennung sicherer Herkunftsstaaten, gegen sinnvolle Änderungen bei der Mitwirkungspflicht von Asylbewerbern im Verfahren oder gegen Maßnahmen für funktionierende Abschiebungen.

Frage: Ein Grund für die stagnierenden Umfragewerte ist auch die Schwäche der FDP in Ostdeutschland. Sie sind Brandenburgerin: Woran hapert es?

Teuteberg: Das ist die Frage nach Henne und Ei. Wenn sie nicht in den Parlamenten vertreten sind, wenn sie keine Mandatsträger und vorwiegend ehrenamtliche Politiker haben, dann werden sie auch weniger gehört. Aber ich bin da aus guten Gründen sehr zuversichtlich. Ich bin jetzt seit 20 Jahren dabei in Brandenburg — und so stabile Umfragewerte, dass man uns jetzt schon über ein Jahr stabil den Einzug in den Landtag voraussagt, habe ich noch nicht erlebt. Daraus wollen wir jetzt etwas machen.

Frage: Braucht der Osten eine besondere Ansprache?

Teuteberg: Im Stil und in der Wortwahl durchaus. Was es nicht braucht, ist inhaltliche Anbiederung. Wichtig ist das klare Selbstverständnis: Ostdeutschland braucht in vielen Politikfeldern genau das, was ganz Deutschland braucht. Es gibt nur in vielerlei Hinsicht verschärfte Probleme, die schneller und in einer größeren Dramatik sichtbar werden als in anderen Regionen. Jammerei widerspreche ich ganz entschieden, aber ich werbe schon für Empathie. Nehmen Sie den industriellen Strukturwandel. Klar, den gibt es auch im Ruhrgebiet, der Abschied von Kohle und Stahl dort war hart. Aber das waren zwei Branchen, es dauerte Jahrzehnte und wurde durch Subventionen abgefedert. In Ostdeutschland sind in kürzester Zeit praktisch alle Industriearbeitsplätze verloren gegangen — und manch andere auch, sodass ganze Familien mit existenziellen beruflichen Herausforderungen konfrontiert waren. Ich finde, dass die meisten Menschen das sehr, sehr gut gemeistert und allen Grund für Zukunftsoptimismus haben. Aber wir dürfen nicht geschichtsvergessen sein. Viele Besonderheiten im Osten, auch die Einstellung zu Marktwirtschaft, Rechtsstaat oder Demokratie, haben ganz viel mit diesen historischen Prägungen und Erfahrungen zu tun.

Frage: Angesichts von drei Landtagswahlen in Ostdeutschland stellt sich die politische Konkurrenz thematisch darauf ein. Die AfD will mehr Bundesbehörden im Osten, die Linke eine Ostquote im öffentlichen Dienst. Was halten Sie davon?

Teuteberg: Gar nichts. Zunächst mal ganz praktisch: Wie wollen Sie bei einer Ostquote rechtssicher definieren, wer ein Ostdeutscher ist? Absurd. Nein, wir sollten keiner politischen Agenda auf den Leim gehen, die Ursache und Wirkung verwechselt. Wenn die Linke die geringe Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen beklagt, dann ist das ja in Wahrheit eine Spätfolge der Bildungs- und Personalpolitik ihres DDR-Vorläufers, der SED. Die hat politisch beeinflusste und gebrochene Bildungsbiografien zu verantworten. Richtig ist, dass sich das nicht verstetigen darf. Aber dafür braucht es keine Quoten, sondern Durchlässigkeit, die es ermöglicht, dass jeder nach seiner Leistung und Eignung Positionen erreichen kann. Fast noch schlimmer aber finde ich die Forderung der SPD nach einer Wahrheitskommission.

Frage: Die kennen wir nur aus Südafrika, als Einrichtung zur Aufarbeitung der Verbrechen der Apartheid-Diktatur…

Teuteberg: Die SPD will damit die Arbeit der Treuhand aufarbeiten. Bei allen Fehlern, die damals gemacht worden sind in diesem schwierigen Prozess der deutschen Einheit: Jetzt Verschwörungstheorien zu prägen, dass die Treuhand eine vermeintlich wettbewerbsfähige DDRWirtschaft einfach plattgemacht hätte, ist hochgefährlich. Der Begriff Wahrheitskommission ist völlig unverhältnismäßig. Wir sollten Populismus weder von rechts noch von links betreiben, sondern im politischen Streit die Verhältnismäßigkeit wahren und Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur nicht verwischen. Auch die neuerliche Forderung der Linken nach einem weiteren Untersuchungsausschuss zur Treuhand ist ein rückwärtsgewandtes Ablenkungsmanöver, das keinen Arbeitsplatz zurückbringt. Konsequent wäre dann auch ein weiterer Untersuchungsausschuss zum Verbleib des SED-Vermögens. Wir treten für eine seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung der Treuhand-Akten ein, die im Übrigen längst begonnen hat. Und vor allem für eine Politik, die Zukunftschancen für Menschen in allen Teilen dieser Republik schafft.

Frage: Außenpolitisch positioniert sich die SPD als Friedenspartei, was bedeutet: Sie ist gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, gegen Rüstungsexporte, gegen militärische Abschreckung gegenüber Russland. Kommt das im Osten an?

Teuteberg: Bei einigen sicher, aber längst nicht bei allen. Unabhängig davon: Es ist Aufgabe von Politik, auch für die Dinge zu werben, die unpopulär sind oder vielleicht auch noch nicht mehrheitsfähig. Infrage zu stellen, wo man hingehört, das hat in der deutschen Geschichte noch nie gut getan. Wir gehören zum Westen, müssen zu unseren Werten und auch Bündnisverpflichtungen stehen. Ich diskutiere gern, ob Prozentziele in der Nato an sich sinnvoll sind. Aber wenn man sie eingegangen ist, muss man sie einhalten. Wir können als Bundesrepublik nicht nur Sicherheit in Anspruch nehmen, sondern müssen in den Bündnissen auch etwas dafür geben. Das alles schließt übrigens überhaupt nicht aus, ausgiebig mit Russland zu reden — auf der Basis einer festen Verankerung in Nato und EU.

Frage: Sie sind Brandenburgerin und Frau. Welche Rolle spielen diese Merkmale dafür, dass sie jetzt Generalsekretärin werden?

Teuteberg: Bin ich beides, das lässt sich nicht leugnen. Das ist aber weder Makel noch Verdienst. Mein liberales Menschenbild besagt jedenfalls, dass jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten und seiner Eignung Positionen erringen kann. Insofern werde ich eine weibliche und ostdeutsche Sicht in die FDP-Spitze einbringen, mich aber nicht darauf reduzieren lassen.

Frage: Eine Arbeitsgruppe hat sich lange damit beschäftigt, wie man dem akuten Frauenmangel in der Partei begegnen könnte. Auch über die Quote ist dabei geredet worden. Wird die kommen?

Teuteberg: Das ist doch erst mal ein Zeichen, dass wir offen in der Debatte sind. Aber nicht alles, was man debattiert, muss man ja dann auch beschließen. Insofern glaube ich: Eine Frauenquote wird es in der FDP nicht geben. Aber weil wir das Instrument nicht gut finden, heißt das ja nicht, dass wir das Problem nicht sehen und angehen, und zwar ganz konkret. Ich habe zum Beispiel als Kreis- und stellvertretende Landesvorsitzende Frauen aktiv angesprochen und für Kandidaturen vorgeschlagen. Das ist eine Führungsaufgabe, die ich auch als Generalsekretärin annehmen werde.

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