THEURER-Interview: Die Bundesregierung legt einen Schwerpunkt auf den Bahnverkehr.

FDP-Präsidiumsmitglied und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr Michael Theurer gab der „WirtschaftsWoche online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Max Biederbeck:

Frage: Herr Theurer, sind Sie eigentlich noch gerne Mr. Schiene bei all der Frustration da draußen?

Theurer: Grundsätzlich gilt die Autonomie der Tarifpartner. Die Streiks sind eine massive Belastung für alle diejenigen, die auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind. Ich kenne den Stress aus der eigenen Familie, wenn Bus und Bahn streikbedingt nicht fahren und die Kinder nicht in den Kindergarten kommen. Das müssen die Tarifpartner schnell regeln. Und zwar am Verhandlungstisch. Und ja, ich bin noch immer gerne „Mr. Schiene“. Weil es uns als Bundesregierung trotz aller Sparnotwendigkeiten gelungen ist, einen Schwerpunkt auf den Bahnverkehr zu legen. Noch vor einigen Jahren hätte sich keiner eine Strukturreform wie die Gründung der gemeinwohlorientierten InfraGO AG oder eine solche Finanzierung in Milliardenhöhe für das Streckennetz vorstellen können.

Frage: Das klingt optimistisch, im frisch beschlossenen Ampel-Haushalt wird allerdings massiv gekürzt. Nur noch 27 Milliarden Euro stehen bis 2027 für die Generalsanierung der Bahn zur Verfügung. Eigentlich hatte der Bund im vergangenen November noch 40 Milliarden zugesagt.

Theurer: Die dringend notwendigen Arbeiten im kommenden Jahr sind abgesichert und wir haben 11,5 Milliarden Euro zusätzlich im Haushalt bekommen für die Arbeit bis 2027. Hinzu kommen 20 Milliarden Eigenkapitalerhöhungen sowie eine Ausweitung des Kreditspielraums der Deutschen Bahn. Es ist doch so: Wir werden bei der Kostenfrage erst auf der sicheren Seite sein, wenn die jeweiligen Ausschreibungsergebnisse vorliegen. Zur Wahrheit gehört aber natürlich, dass das KTF-Urteil einen massiven Einschnitt darstellt, der insbesondere mit Blick auf die rasante Baupreisentwicklung oder die eingeschränkten Möglichkeiten für überjährige Fondslösungen alle schmerzt.

Frage: Was sagen Sie zur Kritik, dass die angesprochene Eigenkapitalerhöhung der Bahn nicht zielführend sei? Vor allem dann nicht, wenn gleichzeitig die Mittel im Haushalt schrumpfen.

Theurer: Wir mussten einen Weg finden, wie wir in schwierigster Zeit und massiven Sparnotwendigkeiten die zusätzlichen Finanzierungsmittel für die Schiene bereitstellen. Und das verfassungskonform. Unser Nachbarland Österreich ist auch diesen Weg gegangen, und dort habe ich mir das nochmal erklären lassen. Nach diesem Beispiel stellen auch wir jetzt unsere Pläne auf und schaffen mittels Vereinbarungen zwischen Bund und Bahn über die Verwendung der Mittel aus der Eigenkapitalerhöhungen für die Infrastrukturfinanzierung Planungssicherheit für Politik, Bahn und Bauindustrie.

Frage: Ein neues Unternehmen des Bundes, die InfraGO, soll es jetzt richten. Und die große Generalsanierung auf den Weg bringen. Kritikerinnen sprechen von einer leeren Hülle. Der WirtschaftsWoche wurde berichtet, das nicht einmal die hauseigene Steuerungsgruppe einen Plan für die nächsten Schritte des Unternehmens habe.

Theurer: Diese Kritik teile ich nicht, die InfraGO bleibt die größte Bahnreform seit 1994. Und sie bietet enorme Chancen, weil sie die Planungen des deutschen Streckennetzes und der Bahnhöfe als Unternehmen in sich vereint. Klar, manchen geht das nicht weit genug. Aber hinter der InfraGO steckt ein Prozess. Wir haben eine Plattform geschaffen, die jetzt ins Handeln kommen muss. Unser Ziel ist es, wie übrigens von vielen gefordert, dass der Bund offensiver als Eigentümer der Bahn auftritt. Und dass er damit die Steuerung der DB intensiviert und verbessert. Und daran arbeiten hier in unserem Ministerium viele fleißige und kluge Köpfe unter Hochdruck und natürlich auch mit einem Plan.

Frage: Wann lebt denn der Plan?

Theurer: Die InfraGO hat jetzt ihren Startschuss, läuft aber natürlich schon. Immerhin hat sie als Zusammenschluss zweier Unternehmen – NetzAG und DB Station&Service AG – bereits rund 60.000 Mitarbeitende. Es geht nun um das Zusammenwachsen und um den neuen Unternehmenszweck. Ging es bei der NetzAG früher um Gewinne, ist die InfraGO nun gemeinwohlorientiert. Das ist ein Gamechanger.

Frage: Nicht jeder kauft Ihnen diese Gemeinwohlorientierung ab. Es gehe nach wie vor um den Gewinn, heißt es.

Theurer: Aber das ist doch eine Scheinkritik, die aufs Abstellgleis gehört. Dem Verkehrsausschuss des Bundestages habe ich die Gegenfrage gestellt, ob denn Verlustorientierung das richtige Ziel sei? Wir kommen von maroden Staatsbetrieben der 70er-Jahre, die sich genau an solchem Verlust orientiert haben. Aber es muss doch darum gehen, dass Züge in dichten Netzen pünktlich und profitabel verkehren. Und Gemeinwohl bedeutet, dass wir eben nicht nur wenige stark genutzte Strecken profitabel gestalten und Rosinen picken. Sondern, dass wir das gesamte Schienennetz wirtschaftlich machen. Es geht uns nicht darum, die Bahn fit zu bekommen für einen Börsengang oder ähnliches. Deutschland muss als Gesamtes so schnell es geht wieder ins Rollen kommen.

Frage: Gibt es genug Druck auf die DB, um dieses Ziel zu erreichen?

Theurer: Der Bund wird seine Rolle als Eigentümer künftig wieder stärker wahrnehmen. Sonst hätten wir die InfraGO ja gar nicht gegründet. Dazu haben wir bereits 70 Prozent der Maßnahmen in Umsetzung, die die Beschleunigungskommission Schiene unter meiner Leitung vergangenes Jahr auf den Tisch gelegt hat. Wir setzten klare Prioritäten und haben dem System eine Richtung gegeben. Wir sind im Zeitplan und werden mit dem Moderne-Schiene-Gesetz noch im ersten Halbjahr 2024 bereits die nächste gesetzliche Grundlage schaffen.

Frage: Die Bauindustrie hat gerade heftige Kritik am Zeitplan der Sanierung geübt. Einzelne Projekte wie die Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt könnten in so kurzer Zeit gar nicht saniert werden.

Theurer: Wir wissen, dass die Sanierung unseres Netzes eine Mammutaufgabe für alle Beteiligten ist. Über die Kritikpunkte von Herrn Hübner haben sowohl Minister Wissing als auch Berthold Huber direkt mit ihm gesprochen. Wir sind uns mit der Branche darin einig, dass die Sanierung der Hochleistungskorridore der richtige Ansatz ist. Aber die Situation ist, wie sie ist. Über die letzten Jahrzehnte hat sich leider ein Sanierungsstau aufgebaut, den wir nun im Rekordtempo abbauen müssen.

Frage: Das wird die Bauherren kaum beruhigen.

Theurer: Wir konnten gerade trotz der haushalterischen Ausnahmesituation viele zusätzliche Milliarden für die kommenden Jahre sichern. Wir geben damit der Bauindustrie ein klares Signal, die notwendigen Kapazitäten entsprechend hochfahren und bereitstellen zu können. Beim Schienengipfel vergangenes Jahr hat sich die gesamte Bauindustrie hinter unser Sanierungskonzept gestellt. Gerade die Bündelung der Maßnahmen wurde ausdrücklich begrüßt. Und da nehmen wir die Branche jetzt beim Wort.

Frage: Es entsteht der Eindruck, dass die Ampel ganz viel bauen will, gleichzeitig aber immer weniger Zeit und Geld da ist…

Theurer: Dieses marode Schienennetz in Stand zu setzen und zu modernisieren, bleibt eine riesige Aufgabe, der wir uns stellen. Das Entscheidende ist, dass wir uns davon auch nicht erdrücken lassen. Und natürlich gibt es bei Projekten dieser Dimension Unsicherheiten, die man derzeit nur abschätzen kann. Auch übersteigt die Sanierung die Perspektive einer Legislatur und ergibt nur Sinn, wenn wir uns mindestens ein Jahrzehnt auf diese Aufgabe festlegen. Trotzdem bleibt das Schienennetz eine der Kernaufgaben dieser Bundesregierung. Ich als Schienenbeauftragter setze mich dafür ein, dass die Auswirkungen auf die Fahrgäste so gering wie möglich sind. Zum Beispiel mit einem nie dagewesenen Umleitungs- und Ersatzverkehrskonzept während der Sperrungen.

Frage: Geht das schnell genug? Mit jedem Tag verliert die Schiene Kundschaft an den Lkw-Verkehr.

Theurer: Das entspricht nicht den Erfahrungswerten der Vergangenheit. Die Schiene kann sehr wohl ihre Marktanteile halten oder zurückholen. Vor allem in den Korridoren ist die Bahn doch unschlagbar, wenn etwa jeder fünfte Zug durch die Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt geht. 90 Prozent aller Güterverkehre werden über diese Kernnetze abgewickelt.

Frage: Trotzdem äußert der Verband der Güterbahnen laut seine Bedenken.

Theurer: Ich verstehe die wirtschaftlichen Sorgen der Wettbewerbsbahnen, die ja während der Baumaßnahmen teils nicht mehr fahren können. Aber die InfraGO wird dazu auch entsprechend Umleitungsstrecken anbieten, die seit einigen Monaten ertüchtigt werden. Dann müssen Güterbahnen Umwege fahren, aber sie können fahren. Das ist doch das wichtigste. Ich stimme zu, dass der Güterverkehr bislang nicht genug politische Lobby hatte und verstehe die Vorsicht der Verbände. Das Primat des Personenverkehrs muss sich jetzt zu einer Perspektive auf den Nutzen aller Verkehrsarten ändern und die Bereitschaft für den Aus- und Umbau wachsen.

Frage: Passt dazu, dass die Ampel auch die Trassenpreise nach dem neuen Haushalt anzieht?

Theurer: Die Trassenpreise werden von den Eisenbahninfrastrukturunternehmen in eigener Verantwortung festgelegt. Dass hier steigende Kosten übersteigende Trassenpreise weitergegeben werden, ist ein turnusmäßiger Vorgang. Wir als Gesetzgeber legen durch das Eisenbahnregulierungsgesetz die gesetzlichen Rahmenbedingungen fest. Die DB Netz AG muss danach die bei ihr verbleibenden Kosten für Betrieb und Instandhaltung des Schienennetzes in voller Höhe über die Trassenpreise refinanzieren. Dies bedeutet auch, dass sich steigende Kosten in steigenden Trassenpreisen niederschlagen. Dieser Vorgang wird standardmäßig von der Bundesnetzagentur auf Angemessenheit geprüft. Dass wir durch das KTF-Urteil gezwungen sind, den ursprünglichen Ansatz der Trassenpreisförderung im Regierungsentwurf für 2024 abzusenken, ist natürlich etwas, was den betroffenen Leistungserbringern empfindlich wehtut. Die Wahrheit ist: Wir müssen einsparen und wollen trotzdem unsere Ausbauziele erreichen. Eine gewisse Frustration, um zu ihrer Eingangsfrage zurückzukommen, gilt es auszuhalten.

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