Antragsbuch für den 76. Ordentlichen Bundesparteitag

BFA Internationale Politik

Europas Freiheit verteidigen – Die EU als Weltmacht für Recht und Freiheit

Europas Freiheit verteidigen – Die EU als Weltmacht für Recht und Freiheit

Zu keinem Zeitpunkt nach dem Ende des Kalten Krieges war die Freiheit Europas so bedroht wie heute. Eine Achse aus autokratischen, revanchistischen und neoimperialistischen Mächten um Russland, China, Iran und Nordkorea attackiert die regelbasierte Weltordnung und ihre Institutionen. Russland greift Europa direkt an. Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine markiert weder den Beginn noch das Ende russischer Machtambitionen gegen Europa. Seit Jahren führt Putins Russland einen hybriden Krieg gegen Deutschland und unsere europäischen Partner, gegen unsere demokratischen Institutionen und unsere offene Gesellschaftsordnung. Wenn sich die aktuelle Entwicklung fortsetzt, wird Russland spätestens zum Ende des Jahrzehnts in der Lage sein, Europa mit konventionellen Waffen glaubwürdig zu bedrohen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass dieses Szenario auch früher eintreffen könnte.

Gleichzeitig bricht Europas wichtigster Alliierter – die Vereinigten Staaten – unter der Regierung von Donald Trump radikal mit den vergangenen achtzig Jahren US-amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik. Die Zukunft amerikanischer militärischer Präsenz ist ungewiss und die Konturen der neuen Außen- und Sicherheitspolitik in Trumps zweiter Amtszeit werden erst langsam sichtbar, aber klar ist: Europa kann sich für seine Sicherheit nicht mehr uneingeschränkt auf die Vereinigten Staaten verlassen. Die Freiheit und Sicherheit Europas liegt in den Händen der Europäerinnen und Europäer.

Europa ist heute ein Leuchtturm von Demokratie und Freiheit weltweit. Doch Europa muss endlich selbst Verantwortung übernehmen, um Europa zu schützen. Wenn die EU angesichts der globalen Realitäten bestehen will, muss sie den strategischen Anspruch formulieren, weltpolitisch auf Augenhöhe mit den Weltmächten USA und China zu agieren und sich eigenständig gegen Russland verteidigen können. Dafür muss Europa nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine diplomatische und militärische Macht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer enormen Kraftanstrengung in allen relevanten Handlungsfeldern.

Deutschlands Interessen, Europas Sicherheit

Kerninteresse deutscher Politik ist der Schutz unserer freiheitlichen Lebensweise, von wirtschaftlicher Stabilität, Sicherheit, Frieden und Wohlstand. Dieser Schutz lässt sich nur mit einer starken Europäischen Union und gemeinsam mit unseren Bündnis- und Wertepartnern umsetzen. Allein wäre Deutschland verwundbarer gegenüber globalen autokratischen Mächten wie China und Russland. Nur gemeinsam mit der EU und der NATO kann Deutschland seine Interessen wirkungsvoll verteidigen, da es im Verbund mit anderen Mitgliedsstaaten größere Verhandlungsmacht und strategische Tiefe besitzt.

Die Ukraine bleibt erste Verteidigungslinie des freien Europas. Die Ukraine zu unterstützen ist in unserem ureigenen Sicherheitsinteresse sowohl im Krieg als auch nach einem Waffenstillstand. Dies schließt potenziell auch eine deutsche Beteiligung an europäischen Truppenkontingenten als Sicherheitsgarantien in der Ukraine ein. Ein Frieden wird nur nachhaltig sein, wenn es ein gerechter Frieden ist, der weitere Kampfhandlungen auf europäischem Boden auch in Zukunft effektiv verhindert. Wir werden keinen Diktatfrieden gegen den Willen der Ukrainerinnen und Ukrainer akzeptieren, aus dem der Aggressor Russland als Sieger hervorgeht. Daher bleibt es wichtig, die Ukraine durch eine Ausweitung der Waffenlieferungen (inklusive Marschflugkörpern wie dem System Taurus), verstärkte Sanktionen gegen Russland (durch ein komplettes Handelsembargo, inklusive Öl- und Gaslieferungen, sowie ein vollständiger Ausschluss aus SWIFT) und finanzielle Hilfen (auch unter weiterer Nutzung eingefrorener russischer Gelder) in eine möglichst starke Verhandlungsposition zu versetzen sowie auch nach einem möglichen Waffenstillstand zu ihrer Verteidigungsfähigkeit und zum Wiederaufbau beizutragen. In diesem Zusammenhang setzen wir uns für ein europäisch-ukrainisches Rüstungsprogramm ein, um die ukrainische Verteidigungsindustrie strategisch in europäische Lieferketten zu integrieren. Die Ukraine soll nicht nur Empfängerin von Waffen sein, sondern Co-Produzentin moderner europäischer Verteidigungssysteme.

Die konventionelle Verteidigung des europäischen Bündnisgebiets wird in absehbarer Zukunft allein den europäischen NATO-Partnern und der Europäischen Union sowie ihren Mitgliedsstaaten obliegen. Die EU-Mitgliedsstaaten in der NATO und die EU insgesamt benötigen daher eine schlagkräftige gemeinsame Verteidigungspolitik, um eigenständig und glaubwürdig handlungsfähig zu sein. Dazu gehört eine engere Koordinierung der nationalen Armeen, eine leistungsfähige europäische Rüstungsindustrie und mittelfristig eine echte europäische Armee. Es liegt dabei sowohl im nationalen Sicherheitsinteresse Deutschlands, selbst in die eigenen Verteidigungsfähigkeiten und damit in unsere Freiheit zu investieren, als auch, dass die Mitgliedsstaaten der EU und der NATO ausreichend für Verteidigung ausgeben, um die Fähigkeitsziele der EU und der NATO zu erfüllen. Damit Deutschland seinen Beitrag zur konventionellen Verteidigung leistet, müssen die Investitionen in Verteidigung signifikant erhöht werden. Schätzungen gehen derzeit von 3 bis 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Letztlich müssen sich diese Ausgaben aber nicht an Prozenten, sondern an den Fähigkeitszielen der NATO, also dem orientieren, was Deutschland an Fähigkeiten zur Verteidigung des Bündnisgebiets beitragen muss. Die beschlossene Bereichsausnahme von der Schuldenbremse allein wird nicht reichen, um dieses Ziel zu erreichen. Um diese Mittel langfristig und belastbar zur Verfügung zu stellen, bedarf es einer erheblichen Konsolidierungsanstrengung und einer echten Priorisierung im Bundeshaushalt. Zudem muss Deutschland bei den Verteidigungsausgaben effizienter und effektiver werden; dazu bedarf es einer mittelfristigen Bedarfsplanung orientiert an den NATO-Fähigkeitszielen, der Reform bestehender Beschaffungsprozesse und Strukturmaßnahmen im Personalbereich. Um dem Anspruch der Verteidigungsfähigkeit gerecht zu werden, muss Deutschland sein Handeln zudem strategisch und institutionell einheitlicher aufstellen. Der im Koalitionsvertrag angekündigte Nationale Sicherheitsrat inklusive eines nationalen Lagezentrums und eines gesamtstaatlichen Krisenzentrums müssen schnell handlungsfähig und mit entsprechenden Unterstützungsstrukturen ausgestattet werden, so dass Risiken frühzeitig identifiziert, eine sinnvolle Entscheidungsfindung ermöglicht und gemeinsame Strategien entwickelt werden.

Europäische Verteidigungsunion – Die EU als militärische Macht

Europa wird sich nur gemeinsam verteidigen können. Analog zu einer Ausnahme für Verteidigungsausgaben der Schuldenbremse sollte es auch im Stabilitäts- und Wachstumspakt eine zeitlich befristete Regelung für Verteidigungsausgaben geben, die Mitgliedsstaaten zumindest regulatorisch mehr Investitionen in Verteidigung ermöglicht. Ein gemeinsamer europäischer Rahmen, um den kurz- und mittelfristigen finanziellen Mehrausgaben für Verteidigung gerecht zu werden, muss dazu beitragen die Stabilität im Euroraum zu wahren. Angesichts der Bedrohungslage sind mehr Mittel für Verteidigung bei europäischen Bündnispartnern immer auch eine Stärkung unserer eigenen Verteidigungsfähigkeit. Unser Ziel ist der Aufbau einer Europäischen Armee mit einer einheitlichen Oberbefehlsstruktur entweder über den Weg der verstärkten Zusammenarbeit oder über eine besondere Vereinbarung und jeweils versehen mit einer verbindlichen automatischen Beistandsklausel, auch als ein integraler Bestandteil der Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb der NATO. Im ersten Schritt sollten dafür bi- und multilaterale Kooperationen und regionale Verbände wie die deutsch-französische Brigade weiter auf- und ausgebaut, Ausbildungs-, Einsatz- und Dienstvorschriften harmonisiert, sowie eine europäische Eingreiftruppe unter gemeinsames Kommando im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit aufgestellt werden. Militärische Fähigkeiten sollen dabei zur Effektivitätssteigerung künftig (wie beim Framework Nations Concept) besser gepoolt werden, um Synergieeffekte zu nutzen. Daraufhin sollen im Rahmen der PESCO schrittweise und systematisch einzelne geeignete Truppengattungen teilnehmender Länder unter einem gemeinsamen Kommando verschmolzen werden; einen Anfang könnten dabei etwa die Luftstreitkräfte bilden. Die Rapid Deployment Capacity, die 2025 in Dienst gestellt wird, sollte dauerhaft als multinationale Truppe angelegt werden. Oberstes Ziel muss die Herstellung einer zügigen Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und unserer europäischen Partner werden.

Auch vor diesem Hintergrund müssen wir in der EU gemeinsame Beschaffung, Standardisierung und Streitkräfteintegration im Rahmen der NATO vorantreiben. Die europäische Rüstungsplanung und Beschaffung sollte daher künftig durch die Europäische Verteidigungsagentur koordiniert erfolgen. Dazu sind alle Waffensysteme und Standards schnellstmöglich anzugleichen. Dabei sind die Entscheidungshoheit und Souveränität über Systeme sicherzustellen. Für die Europäische Investitionsbank (EIB) muss Verteidigungsfinanzierung zu einem Teil des Kerngeschäfts werden, weil es sich um Investitionen in unsere gemeinsame europäische Freiheit handelt. Sind militärische Zwecke bis vor kurzem auf der Ausschlussliste der Bank gewesen, muss die Verteidigung künftig zum Förderschwerpunkt werden. Vor allem sollen gemeinsame Projekte im Bereich der Luftverteidigung und weiterer grenzüberschreitender Verteidigungsinfrastruktur durch die EIB über günstige Darlehen finanziert werden.

Es braucht neue europäische Rüstungsprogramme, die auch durch europäische Anleihen finanziert werden und Anreize für gemeinsame Beschaffung setzen, Beschaffungsprozesse europäisieren und die Herausbildung eines Binnenmarktes für Rüstungsgüter und einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie fördern. Das beginnt mit der Öffnung von Rahmenverträgen, geht über Kooperationsprojekte und mündet in der gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern als neuer Standard auch im Zulauf auf eine europäische Armee.

Die Regeln in europäischen Förderprogrammen müssen dafür so ausgestaltet sein, dass sie dem europäischen Kapazitätsaufbau dienen, aber ohne die Rüstungskooperation mit Partnerstaaten außerhalb Europas gefährden. Der Einsatz von europäischen Mitteln, beispielsweise im Rahmen von Programmen wie EDIP, SAFE oder Readiness 2030 sollte dementsprechend dem Aufbau von Produktionskapazitäten in Europa dienen, ohne dabei starre Festlegungen bei den Komponenten zu machen. Diese Programme können vor allem in Bereichen einen Mehrwert liefern, in denen Fähigkeitslücken bestehen. Das gilt unter anderem für den Bereich der Luftverteidigung und die Weltrauminfrastruktur. Insbesondere der zügige Ausbau an Satelliten ist zu priorisieren, um nicht von einzelnen Firmen und Ländern abhängig zu sein. Europäisch sollte dabei über die EU hinausgedacht werden, gerade Großbritannien und Norwegen sind ein entscheidender Teil des europäischen NATO-Pfeilers und müssen bei der europäischen Sicherheitspolitik mitgedacht werden. Das gilt insbesondere auch für die nukleare Abschreckung. Die strategischen Nuklearstreitkräfte Frankreichs und Großbritanniens tragen bereits heute zur Sicherheit unseres Bündnisses bei. Die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe mit der Stationierung von US-Nuklearwaffen in Deutschland ist in deutschem Interesse, und dafür muss auch weiterhin die Beschaffung von Mehrzweckkampfflugzeugen erfolgen. Gleichzeitig muss mit Großbritannien und Frankreich ein gemeinsamer Umsetzungsplan entwickelt werden, für eine Stärkung und den konkreten Ausbau des europäischen Elements nuklearer Abschreckung im Rahmen der NATO. In diesem Rahmen würden wir auch die Stationierung britischer oder französischer Atomwaffen in Deutschland unterstützen.

Integrierte Sicherheit europäisch

Desinformationskampagnen, Cyberangriffe und Sabotageakte in der Ostsee sind Teil eines schon seit Jahren geführten hybriden Krieges gegen Europa. Um dieser hybriden Bedrohungen entgegenzuwirken, bedarf es auch von der EU den Ansatz integrierter Sicherheit. Aufgrund vielfältiger grenzüberschreitender Kampagnen braucht die EU eine eigene Lagebildfähigkeit, die in der Lage ist, hybride Bedrohungen als solche zu erkennen und die Mitgliedsstaaten in ihrer Antwort darauf zu unterstützen.

Ein europäisches Sicherheitskoordinierungsgremium, mit einem europäischen Lage und Krisenreaktionszentrum sowie ein maritimes Sicherheitszentrum, in dem die jeweiligen nationalen Pendants vertreten sind, leistet hier einen Beitrag. Hier genauso wie in der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit muss der Weg über die verstärkte Zusammenarbeit gewählt werden, bei denen nur Staaten beteiligt werden können, solange diese sich als zuverlässig erweisen und im Einklang mit den in den europäischen Verträgen dargelegten Werten handeln.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen in der Lage sein, Angriffe auf die kritischen Infrastrukturen abzuwehren und zu verhindern. Sicherheitsmaßnahmen für Energie und Kommunikationsnetze werden EU-weit erhöht, für Investitionen aus Drittstaaten sollen die Kriterien in Rücksprache mit Sicherheitsexperten fortlaufend aktualisiert werden.

Gemeinsam mit der NATO muss die EU ihre Fähigkeiten im Bereich der aktiven Cyberabwehr sowie im digitalen Raum und im Weltraum weiter ausbauen und stärken, um die Sicherheit ihrer Mitgliedstaaten auch dort gewährleisten zu können. Da wir uns im Cyber- und Weltraum bereits heute in einer aktiven Auseinandersetzung mit Groß- und Supermächten befinden, können wir uns gerade hier kein Zögern und keine Kleinstaaterei leisten. Unser Ziel ist daher die zügige Integration der Weltraum- und Cybereinheiten der teilnehmenden nationalen Streitkräfte (in Deutschland etwa der CIR) in eine gemeinsame europäische Space and Cyber Force.

Bereit für die Selbstbehauptung nach dem Epochenbruch – Die Wirtschaftsmacht EU stärken

Ohne die Europäische Union wird sich unsere freiheitliche Lebensweise nicht schützen lassen. Die europäische Integration mit dem Binnenmarkt und ihren vier Freiheiten, Zusammenarbeit und ein gemeinsames Miteinander zwischen Staaten und Menschen sind längst Teil und Grundlage unseres „Way of Life“. Europa findet gemeinsame Lösungen für grenzüberschreitende Probleme und setzt dabei Standards und Normen, die weltweit inspirieren. Der beispiellose Wohlstand und die Freiheit in Europa sind ohne den europäischen Integrationsprozess undenkbar. Doch die EU muss auch stärker in die Lage versetzt werden, diese Errungenschaften gegen äußere Feinde und innere Angriffe zu verteidigen. Zu häufig agiert die EU in der Welt tapsig, wird ihrem wirtschaftlichen Gewicht geopolitisch nicht gerecht und gefährdet dadurch den eigenen Einfluss und die Glaubwürdigkeit.

Den Binnenmarkt wettbewerbsfähiger machen – Kapital und Köpfe anziehen

Nur als Wirtschaftsmacht mit außerordentlich starker Wettbewerbsfähigkeit wird sich Europa auch politisch und militärisch behaupten können. Grundvoraussetzung dafür sind ein ausgezeichnetes Bildungsniveau und ein voll funktionsfähiger und auf Innovation und Wachstum ausgelegter Binnenmarkt. Nach wie vor bestehen im europäischen Binnenmarkt, der größer ist als der US-amerikanische, zahlreiche Hürden und Hindernisse für eine vollständige Integration. Diese gilt es weitestgehend und schnellstmöglich abzubauen, ohne die europäische Diversität als solche infrage zu stellen. Die Europäische Union braucht eine umfassende Wirtschaftswende mit radikalem Abbau überflüssiger und schädlicher Regulierung, einer Vereinfachung von Regeln und einer massiven Reduktion von Bürokratie auf allen Ebenen. Die Europäische Union muss sich vom Regulierungsweltmeister und Bremser zu einem Top-Standort für innovative Unternehmen entwickeln. Gerade weil unsere Wirtschaft von außen unter Druck ist, muss unser Binnenmarkt wettbewerbsfähiger und weniger bürokratisch überreguliert sein.

In der neuen geopolitischen Lage bekommen auch unsere gemeinsame Währung und der europäische Finanzmarkt eine noch größere Bedeutung für unseren Wohlstand und die eigenständige Handlungsfähigkeit Europas. Die noch immer nicht bestehende Kapitalmarktunion muss zur Chefsache gemacht werden und endlich umgesetzt werden, damit der europäische Kapitalmarkt die Tiefe bekommt, um private Investitionen für die notwendigen wirtschaftlichen wie geopolitischen Herausforderungen zu ermöglichen. Die USA verlieren durch Trumps erratischen Zollkrieg massiv an Attraktivität als Zielort von Investitionen und Kapital. Auch europäische Investitionen in die USA sind weniger attraktiv geworden. Die EU muss jetzt die richtigen Rahmenbedingungen setzen weltweites Kapital anzuziehen. Die EU und ihre Institutionen müssen dazu beitragen, dass der Euro seine internationale Rolle ausbauen und perspektivisch auch Reservewährung werden kann. Die europäischen Stimmrechte im IWF und der Weltbank sollten perspektivisch zusammengezogen werden, so dass Europa in den internationalen Finanzinstitutionen mit einer starken Stimme sprechen kann.

Deutschland und die EU müssen eine Anwerbeoffensive für Fachkräfte starten. Insbesondere die USA sind für viele hochqualifizierte Menschen, vor allem Forscher und Wissenschaftler aufgrund dogmatischer und unzuverlässiger Rahmenbedingungen von Visa- bis Forschungsfreiheit kein attraktiver Standort mehr. Insbesondere Deutschland muss attraktiver werden, um hochqualifzierte Fachkräfte anzuziehen, wie niedrigere Steuern und Abgaben.

Für mehr Wettbewerbsfähigkeit müssen auch die Prioritäten im EU-Haushalt neu geordnet werden. Investitionen in Forschung, Innovation und Verteidigung müssen dabei künftig ganz oben stehen. Verteidigung muss in die Ziele der EU-Taxonomie aufgenommen werden, damit diese künftig auch Investitionen in Verteidigung unterstützt. Zudem sollen EU-Kohäsionsmittel künftig genutzt werden dürfen, um den Zivilschutz zu stärken.

Handelspolitische Partnerschaften stärken

Auch handelspolitisch muss die EU pragmatischere Wege gehen, ökonomische Zusammenarbeit ist eine Frage unserer wirtschaftlichen und geopolitischen Stärken. Denn die USA entpuppen sich auch handelspolitisch als ein nicht mehr verlässlicher Partner. Statt auf regelbasierte Zusammenarbeit setzt die Trump Regierung auf Zölle und Zwangsmaßnahmen („Coercion“). Auch China flutet weiterhin unseren Markt mit billigen und oftmals gefährlichen Produkten und hochsubventionierten Waren - von Spielzeugen bis Stahlprodukten und Elektroautos, was eine Gefahr für Verbraucher und europäische Unternehmen gleichermaßen darstellt. Die erste Prämisse der EU muss sein regelbasierter Handel und Freihandelsabkommen zu stärken. Deshalb muss die EU auch bereit sein, wenn es notwendig wird, die volle Palette der Handelsverteidigungsinstrumente gegen unfairen Handel einzusetzen, von Gegenzöllen bis hin zu den Mittel des Anti-Coercion-Instruments. Denn unser Ziel bleibt weiterhin ein möglichst freier, multilateraler Welthandel. Sollten die USA dazu bereit sein, bleiben wir daher offen für ein neues, für beide Seiten vorteilhaftes und faires Freihandelsabkommen, z.B. auf Grundlage von TTIP. Gleichzeitig wollen wir ein attraktiverer Handelspartner für viele weitere Länder werden.

Gerade jetzt muss die EU die Zusammenarbeit mit anderen Partnern suchen Europa muss zur weltweiten und gut diversifizierten Handelsmacht werden, um sich aus der Abhängigkeit autoritärer Regime zu befreien und daraus resultierende Risiken zu verringern. Dafür muss die Freihandelsskepsis überwunden werden. Wir Freie Demokraten sagen Neomerkantilismus, Protektionismus und Isolationismus den Kampf an. Gerade jetzt brauchen wir mehr Handel mit mehr gleichgesinnten Partnern weltweit. Allen voran kämpfen wir für eine zügige Ratifizierung des MERCOSUR Handelsabkommens. Es eröffnet für die Partner auf beiden Seiten nie dagewesene Chancen für Wachstum und Zusammenarbeit. Gerade für die deutsche Exportwirtschaft wird so ein bisher weitgehend verschlossener Markt geöffnet. Wir Freie Demokraten setzen uns für eine umgehende Ratifizierung des erneuerten Handelsabkommens mit Mexiko ein. Alle Mitgliedsstaaten, die noch nicht das CETA-Abkommen mit Kanada ratifiziert haben, müssen dies umgehend tun. Eine stärkere Zusammenarbeit mit Mexiko und Kanada stärkt alle drei Partner auch gegenüber den USA. Daher wollen wir insbesondere Kanada darüber hinaus dazu einladen, perspektivisch etwa über eine EFTA-Mitgliedschaft auch Teil des Europäischen Wirtschaftraums zu werden sowie auch politisch enger in bestehende Gremien wie die Europäische Politische Gemeinschaft einbinden. Bei der Zusammenarbeit mit Indien engagieren wir uns für ein pragmatisches Handelsabkommen, auch wenn vielleicht nur ein Teilabkommen zur jetzigen Zeit möglich ist. Denn in der Zusammenarbeit mit Indien geht es nicht allein um eine ökonomische Zusammenarbeit, sondern auch um ein wichtiges geopolitisches Signal.

Wir Freie Demokraten setzen uns darüber hinaus für einen Ausbau von Rohstoff- und Technologiepartnerschaften ein. Uns geht es dabei nicht allein darum, Zugang zu Rohstoffen zu sichern und Abhängigkeiten von einzelnen Ländern zu reduzieren. Vielmehr wollen wir die wirtschaftliche Entwicklung in anderen Ländern und das Engagement für Klimaschutz weltweit proaktiv stärken. Wir sehen den weltweiten Rückschlag im Einsatz gegen Klimawandel als eine ernsthafte Gefahr für unsere Lebensgrundlagen. Gleichzeitig glauben wir, dass wir den besten Beitrag zu Klimaschutz durch marktwirtschaftliche Prinzipien und technologischen Fortschritt erreichen können. Daher wollen wir Handelspolitik vermehrt als ein Instrument nutzen, technologischen Fortschritt weltweit zu stärken.

Auch Rüstungspartnerschaften wollen wir sowohl für Deutschland als auch die EU ausbauen. Viele Länder sehen die USA nicht mehr als einen verlässlichen Partner in Fragen von Rüstung und militärischer Beschaffung. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben hier die große Chance, weltweit Sicherheit zu stärken, Wirtschaftswachstum in Europa zu schaffen und zu einem relevanten militärisch-sicherheitspolitischen Player zu werden.

Die EU als diplomatische Macht – Für mehr Realpolitik und einen pragmatischen Multilateralismus

Der Wandel der Weltordnung und die Selbstbehauptung Europas erfordern, dass auch Deutschland einen Politikwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik erlebt. In diplomatischer Mission sitzt man nicht nur mit Freunden am Tisch – zumindest nicht, wenn man die Interessen unseres Landes erfolgreich wahren will. Eine moralinsaure Außenpolitik mit erhobenem Zeigefinger, aber ohne Macht und Substanz läuft nicht nur ins Leere, sondern schadet auch unserem Land. Wir Freie Demokraten stehen deshalb für eine kluge Balance zwischen einer wertegeleiten Außenpolitik und einem interessenorientierten Ansatz. Wir sind überzeugt, dass der diplomatische Einsatz für Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit immer Grundpfeiler einer erfolgreichen deutschen Außenpolitik sein muss, die nicht nur unseren Werten verpflichtet ist, sondern auch die Interessen unseres Landes fest im Blick hat. Wir wollen deshalb mehr Realpolitik in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik wagen.

Multilateralismus mutig stärken

Unser Ziel bleibt eine multilaterale Weltordnung, in der die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt. Wir stehen für eine regelbasierte internationale Ordnung, die für alle gilt. Nicht nur als starke Exportnation, sondern auch gerade aus seiner geschichtlichen Erfahrung hat Deutschland ein besonderes Interesse an dieser friedlichen und stabilen Weltordnung und wendet sich gegen jede Form hegemonialer Bestrebungen. Gleichzeitig werden die wichtigen multilateralen Institutionen zunehmend zum machtpolitischen Spielball in der neuen Systemrivalität. Multilaterale Instrumente und Entscheidungsprozesse werden aufgrund multipler und überlappender Krisen teilweise dauerhaft blockiert. Deshalb bedarf es neben einem globalen und umfassenden Multilateralismus, neuer fokussierter Formate, die unsere Interessen und Werte stärken und dazu beitragen, dass die regelbasierte Weltordnung wieder an Stärke gewinnt. Wir Freie Demokraten wollen, dass Deutschland und unsere europäischen Partner den Blockaden multilateraler Organisationen mit pragmatischen Partnerschaften begegnet, mit neuen und im Zweifel auch alternativen Formaten. Starke Allianzen von Demokratien können dabei ein liberales Gegengewicht zum autoritären Rollback bilden. Die oberste Priorität in dieser geopolitischen Lage bleibt die Verteidigung der Freiheit und Sicherheit Europas. Wir werden uns gemeinsam mit unseren europäischen Partnern für die Bewahrung unserer freiheitlichen Lebensweise in Europa und auch weiterhin für den Schutz von Frieden und Menschenrechten weltweiteinsetzen.

Strategische Entwicklungszusammenarbeit

Wir Freie Demokraten setzen uns für eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit ein. Durch den Wegfall von USAID wurde die EU über Nacht zum weltweit größten Geldgeber in diesem Bereich. Wir betrachten Entwicklungszusammenarbeit als ein strategisches Werkzeug der Außenpolitik und als nicht zu unterschätzende Softpower. Wir müssen von paternalistischer Entwicklungszusammenarbeit zu echter wirtschaftlicher Zusammenarbeit kommen. Öffentliche Gelder müssen private Investitionen nach sich ziehen. Daher braucht Entwicklungszusammenarbeit auch immer Anknüpfungspunkte für deutsche und europäische Unternehmen, um langfristig für beide Seiten einen nachhaltigen Mehrwert zu bieten. Die Kooperation der EZ mit der Privatwirtschaft muss vorurteilsfrei erfolgen und strategisch ausgebaut werden. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen dabei wesentlich stärker interessen- und wertegeleitet agieren. Insbesondere Projekte in unserer unmittelbaren Nachbarschaft sowie im afrikanischen Raum sind dabei von hoher Relevanz. Eine positive wirtschaftliche Entwicklung der afrikanischen Länder und wachsende Stabilität auf dem Kontinent sind dabei in unserem Interesse.

Nach außen mit einer Stimme sprechen und handeln

Notwendig für ein handlungsfähiges Europa, das unsere Interessen und Werte wirksam in einer zunehmend herausfordernden Welt durchsetzen kann, ist, dass wir die notwendige Geschlossenheit haben, um handlungs- und sprechfähig zu sein. Deshalb ist es eine gefährliche Entwicklung, wenn einzelne Mitgliedsstaaten effektive Entscheidungsfindungen zu Gunsten der Akteure behindern, die unsere Interessen und Sicherheit gefährden. Wir dürfen uns von Viktor Orbán nicht länger erpressen lassen und fordern aufgrund der systematischen Verstöße seiner Regierung gegen Rechtsstaatlichkeitsprinzipien und die Grundwerte der EU dessen Stimmrechtsentzug nach Artikel 7 EUV.

Wir bekräftigen unsere Forderung nach einer gestärkten, echten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Konkret setzen wir uns dafür ein, dass Mehrheitsentscheidungen in diesem Bereich endlich zur Regel werden müssen und eine Stärkung der Rolle der Hohen Vertreterin hin zu einer echten europäischen Außenministerin, die gemeinsam mit den Präsidenten von Rat und Kommission nach außen allein und geschlossen alle Mitgliedstaaten vertritt. Sollte das nicht unter Einbeziehung aller möglich sein, sollen sich bis dahin auch hier gewillte Mitgliedstaaten im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit, unter Einbeziehung von Mitgliedern der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (wie Großbritannien), zusammentun. Die klare Linie für die Kommunikation nach außen muss sein: Europa lässt sich nicht spalten, sondern spricht geschlossen mit einer Stimme.

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