Das Chancenministerium

Die fdplus befragte Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zu Zukunftsprojekten, Präsenzunterricht und zu dem Schwerpunkt beim Klimaschutz.

Bettina Stark-Watzinger
© BMBF/Rickel

Frau Stark-Watzinger, was treibt Sie persönlich an?

Bildung macht den Einzelnen stark und selbstbestimmt. Das haben mir schon meine Eltern mit auf den Weg gegeben. Dass Mädchen genauso viel können wie Jungs und dass einem Bildung niemand mehr nehmen kann, wenn man sie einmal erworben hat. Das hat mich geprägt. Meine Mutter wäre gerne Architektin geworden, durfte es aber nicht. Meine Schwester und ich hatten andere Möglichkeiten, wir konnten studieren.

Welche konkreten liberalen Anliegen können Sie im Ministerium für Bildung und Forschung nun endlich umsetzen?

„Mehr Chancen durch mehr Freiheit“ heißt es im Leitbild der Freien Demokraten. Diesem Gedanken fühle ich mich verpflichtet und deshalb verstehe ich mein Haus als Chancenministerium. Wir wollen als Koalition mehr Fortschritt wagen und für mehr Chancengerechtigkeit sorgen. Dabei kommen Bildung und Forschung eine Schlüsselrolle zu. Entsprechende Vorhaben sind im Koalitionsvertrag vereinbart: etwa der Digitalpakt 2.0, das Startchancen-Programm und die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation.

Viel zu lange wurde zu wenig in den Bildungssektor investiert. Wie wollen Sie Bildung in Deutschland wieder zukunftsfit machen?

Die Corona-Pandemie hat den notwendigen Modernisierungsschub in der Bildung schonungslos offengelegt. Deshalb müssen wir die Umsetzung des Digitalpakts beschleunigen. Dabei können Standardverfahren zur Antragstellung und Standardkonzepte zur Digitalisierung der Schulen helfen. Mit dem Digitalpakt 2.0 wollen wir die nächste Stufe der Digitalisierung erreichen. Die Schülerinnen und Schüler sind zu Recht ungeduldig. Wir sind es ihnen schuldig, schneller voranzukommen. Ich möchte darüber hinaus zu einer neuen Form der Zusammenarbeit mit den Ländern kommen. Wir brauchen ein Kooperationsgebot.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Präsenzunterricht für Schülerinnen und Schüler ist. Was wird getan, damit die Schulen offenbleiben können?

Der Präsenzunterricht ist ein hohes Gut, weshalb ich mich immer gegen Schulschließungen ausgesprochen habe. Auch gegen Omikron haben die bewährten Maßnahmen geholfen: Masken, Testen, Hygienekonzepte. Mit sinkenden Zahlen müssen aber auch Lockerungen in den Schulen kommen. Dabei sollte gewährleistet sein, dass wir den Präsenzunterricht nicht gefährden. Das ist auch eine Frage der Chancengerechtigkeit. Es sollte und muss regional differenziert gelockert werden. Konkret bedeutet das zum Beispiel ein reduziertes Testen und das Abnehmen der Maske am Platz. Unsere Kinder brauchen Normalität. Es muss aber auch Vorsorge für das neue Schuljahr getroffen werden. Deshalb brauchen wir auch im Frühling und Sommer niedrigschwellige Impfangebote an den Schulen. Darüber hinaus muss die Digitalisierung der Schulen dringend beschleunigt werden.

Wie kann auch die berufliche Bildung gestärkt werden?

Eine duale Ausbildung ist ein hervorragender Start ins Berufsleben und bietet vielfältige Karrierechancen. Deswegen ist mir ein wichtiges Anliegen, dass wir mehr junge Menschen für eine Ausbildung gewinnen. Ich plane insbesondere eine Exzellenzinitiative Berufliche Bildung, die der Aus-, Fort- und Weiterbildung einen neuen Schub geben soll. Damit sind wir gut aufgestellt, um auf der einen Seite den zukünftig steigenden Fachkräftebedarf zu decken und auf der anderen Seite allen Menschen die für sie bestmöglichen individuellen Bildungschancen zu eröffnen. Darüber hinaus wollen wir einen Pakt zur Stärkung und Modernisierung berufsbildender Schulen auflegen und die Berufsorientierung flächendeckend ausbauen.

Nicht nur von Schülern, Auszubildenden und Studenten wird erwartet, dass sie lernen, sich fortbilden und kreativ bleiben – auch Erwachsene müssen sich weiterentwickeln, um nicht zurückzubleiben. Wie kann das lebenslange Lernen gefördert werden?

Wir wollen allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft beste Bildungschancenbieten, um Teilhabe und Aufstieg zu ermöglichen. Unser Ziel muss sein, allen Bürgerinnen und Bürgern ein für sie passendes und interessantes Angebot für lebenslanges Lernen zu bieten, digital und vor Ort in ihrer Nähe. Wir haben uns deshalb vorgenommen, das Aufstiegs-BAföG auszubauen und noch um das neue Lebenschancen-BAföG zu ergänzen. Damit schaffen wir ein neues Instrument für die selbstbestimmte Weiterbildung für alle auch jenseits berufs- und abschlussbezogener Qualifikationen. Auch wollen wir das Nachholen eines Berufsabschlusses erleichtern, indem wir eine Bildungsteilzeit nach österreichischem Vorbild einführen. Die Nationale Online-Weiterbildungsplattform und die Bildungsplattform werden weiterentwickelt und verzahnt. Damit schaffen wir einen übersichtlichen Zugang zur Weiterbildung für alle.

Der Koalitionsvertrag enthält vieles zum Thema Hochschulen, Wissenschaft und Forschung. Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Die längst überfällige Reform des BAföG. Den kontinuierlichen Rückgang der Gefördertenzahlen können wir so nicht hinnehmen. Jede und jeder soll studieren oder eine schulische Berufsausbildung machen können. Ich möchte dem BAföG deshalb schnellstmöglich einen Schub geben. Wir haben kürzlich einen ersten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der jetzt abgestimmt wird. Mein Ziel ist, dass eine erste Reform bereits zum Wintersemester 2022/23 wirksam wird. Dazu werden spürbar höhere Freibeträge und Fördersätze gehören. In einem zweiten Schritt wollen wir das BAföG elternunabhängiger machen. In der Forschung ist mir vor allem wichtig, dass wir die herausragenden wissenschaftlichen Erkenntnisse schneller in die Praxis bringen, und zwar in allen Bereichen. Dazu werden wir die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation gründen, um soziale und technologische Innovationen zu fördern. Das hat auch mit Blick auf Herausforderungen wie den Klimawandel Priorität.

Was kann Ihr Ministerium, was kann Deutschland gegen den Klimawandel erreichen? Was sind Ihre Schwerpunkte?

Die Bewältigung des Klimawandels ist eine Menschheitsaufgabe. Wenn es uns gelingt, die CO₂-Emissionen ab 2050 auf unter „netto null“ zu senken, können wir ihn anhalten. Dies werden wir nur mit Forschung und Innovationen erreichen. Wir müssen schon heute im großen Stil CO₂ einsparen, das ist unbestritten. Wir müssen aber auch neue Technologien und Methoden entwickeln, zum Beispiel zur Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre. Wir müssen unsere Industrie auf Wasserstoff umstellen und die klimafreundliche Mobilität der Zukunft technologieoffen gestalten. Dazu gehören Elektroautos und alternative Kraftstoffe wie E-Fuels. Denn wir sollten lieber auf Technologien setzen als auf Verzicht. Ich verstehe mein Haus auch in dieser Frage als Chancenministerium. Denn mit Forschung und Innovationen haben wir die Chance, die Zukunft selbstbestimmt, nachhaltig und klimaneutral zu gestalten.

In Deutschland ist kürzlich der erste Quantenrechner in Betrieb gegangen. Welche spannenden Entwicklungen in Forschung und Technik können wir in den nächsten Jahren noch erwarten?

Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Jahren viele spannende und für unsere Wirtschaft wesentliche Entwicklungen sehen werden, zum Beispiel im Bereich der Künstlichen Intelligenz, in der Kommunikationstechnologie oder den Materialwissenschaften. Speziell in den Quantentechnologien gibt es beeindruckende Fortschritte. Quantencomputer haben das Potenzial, unseren Alltag besser zu machen, denn wir können sie beispielsweise zum Design von neuen, maßgeschneiderten Wirkstoffen in der Pharmazie oder zur Optimierung von Verkehrswegen einsetzen. Deutschland ist hier mit exzellenten Quantenphysikerinnnen und Quantenphysikern und einer Menge Know-how in einer guten Startposition. Auch das ist eine große Chance.