SCHMITT-Gastbeitrag: Wir brauchen „Made in Germany“ mit China-Speed
Daniela Schmitt MdL, Ministerin für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz und Mitglied im FDP-Präsidium schrieb für das „Handelsblatt“ (Montagsausgabe) folgenden Gastbeitrag:
Es gibt Begriffe, die bleiben im Kopf. Nicht weil sie schön sind, sondern weil sie ein Gefühl auslösen. „China-Speed“ ist so einer. Ich habe ihn in der letzten Woche oft gehört. Und ich gebe zu: Er wirkt nach. Denn wer bei rheinland-pfälzischen Unternehmen in Shanghai, Changzhou oder Guangzhou unterwegs ist, erlebt, was er bedeutet: Während wir in Deutschland noch Abstimmungen zwischen verschiedenen Behörden durchführen, läuft in China längst das Produktionsband. Wir starten Pilotprojekte, China skaliert. Geschwindigkeit, Mut, Wucht – das spürt man. Ich frage mich: Wollen wir das bewundern – oder wollen wir es uns vornehmen? China ist heute mehr als die Werkbank der Welt. Es ist Innovationsstandort. Die Unternehmen, die ich besucht habe – von BASF über Stabilus und Boehringer Ingelheim bis Renolit – sind nicht mehr nur mit Fertigung vor Ort. Sie forschen, entwickeln, investieren. Sie wissen: Wer hier den Anschluss verliert, verliert nicht nur einen Markt, sondern auch Tempo und Relevanz. Was das Land antreibt, ist mehr als Größe. Es ist ein Aufstiegsversprechen. Eine Gesellschaft, die sich über Bildung, Leistung und Fortschritt definiert. Menschen, die mit Disziplin arbeiten – nicht weil sie die politische Lage ideal finden, sondern weil sie sich ein besseres Leben erarbeiten wollen. Das erzeugt Wucht. Und es zeigt: In einem autoritären System wird mitunter mehr an die Zukunft geglaubt als in unseren freiheitlichen Demokratien. Das muss sich ändern.
Die Wahrheit ist: Freiheit und Wohlstand gehören zusammen. Aber Freiheit ist kein Schonraum. Sie braucht Energie, Haltung – und ein wirtschaftliches Fundament. Wenn wir also über Derisking sprechen, über strategische Autonomie, dann gehört auch unsere eigene Fähigkeit zur Transformation dazu. Wir brauchen eine neue Haltung zur Veränderung. In China läuft vieles, was bei uns kaum denkbar ist: Unternehmensgründung per App. Genehmigungen in Tagen. One-Stop-Shops für Bürger, Verwaltung, Unternehmen. Bei der Umstellung auf neue Energieformen gibt es extrem kurze Fristen. Effizienz ist dort Realität. Auch wir in Deutschland brauchen schnelle und verbindliche Fristen. Und wir brauchen zügige Entscheidungen. Wir sollten uns trauen, große Ziele zu setzen. Zum Beispiel, dass Genehmigungen in einer bestimmten Zeit kommen müssen. Wird ein Antrag nicht rechtzeitig bearbeitet, gilt er als genehmigt. Dazu müssen wir digitalisieren. Im Notfall müssen wir auch bereit sein, Regeln abzuschaffen. Das wäre ein Kulturwandel – aber ein überfälliger. Auch die chinesische Diktatur macht harte Auflagen, die jedoch oft über Jahrzehnte hinweg planbar sind. Damit können Unternehmen umgehen. Wir brauchen deshalb ein langfristiges Moratorium in den EU-Industriestrategien, konkret bei der REACH-Verordnung zu chemischen Stoffen, der IED-Richtlinie zu Industrieemissionen und der PFAS-Regulierung zu persistenten organischen Schadstoffen, die ganze Wertschöpfungsketten betreffen kann. Das EU-Lieferkettengesetz muss fallen.
Aktuell analysieren wir oft lange – und handeln langsam. Wir sagen, was nicht geht, statt Lösungen zu suchen. Dabei ist Geschwindigkeit kein Widerspruch zur Gründlichkeit. Sie ist ihr Partner. Wir brauchen deshalb einen neuen Pakt: „Made in Germany“ – ja. Aber mit „China-Speed“. Nicht als Abkehr von Prinzipien, sondern als Aufbruch. Prozesse straffen. Tempo wollen. Für mich ist klar: Wir stehen in einem Systemwettbewerb. Aber nicht gegen einen schwachen Gegner. Sondern gegen einen autoritären Hochleistungsstaat mit globalem Anspruch. Unser Vorteil ist die Freiheit. Aber sie muss sich behaupten. Das heißt: schneller, besser, mutiger werden. Für unsere Unternehmen. Für unseren Wohlstand. Für unsere Demokratie.
Die Reise nach China hat mir gezeigt: Wir dürfen nicht stehen bleiben. Denn andere tun es auch nicht. Ich habe in Shanghai einen jungen deutschen Ingenieur getroffen. Er arbeitet heute in einem chinesischen Entwicklungszentrum – weil ihn, wie er sagte, das „Tempo und die Freiheit in der Umsetzung“ faszinieren. Ich will, dass er diese Möglichkeiten auch bei uns hat. Am liebsten in Rheinland-Pfalz. Wir stehen im Systemwettbewerb – nicht ohnmächtig, aber herausgefordert. China ist zugleich strategischer Rivale, Partner und innovationsstarker, aggressiver Wettbewerber. Genug der Analyse, ran an den Wandel. Die China-Strategie der Bundesregierung war ein wichtiger Anfang, jetzt muss sie mit klarer Haltung, wirtschaftlicher Expertise und konkreten Maßnahmen fortgeschrieben werden. Derisking gelingt nur, wenn das Know-how derer einfließt, die das unternehmerische Risiko tragen. Klar ist: Wer den zweitgrößten Markt der Welt ignoriert, verliert den Anschluss. Ich will, dass wir diesen Wettbewerb annehmen. Und gewinnen – mit Qualität, Haltung, Veränderungsbereitschaft und dem festen Willen, Weltspitze zu bleiben.